Fiston Mwanza Mujila: Tram 83
Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller
Paul Zsolnay Verlag, Wien
206 Seiten, 20 Euro
Mit "Tram 83" schreiend zum Erfolg
Fiston Mwanza Mujila will so schreiben, wie ein Jazz-Saxophonist musiziert. Jetzt hat der kongolesische Autor für seinen äußerst rhythmischen Debütroman "Tram 83" den Internationalen Literaturpreis - Haus der Kulturen der Welt gewonnen. Gemeinsam mit den Übersetzerinnen Katharina Meyer und Lena Müller.
5. Juni 2016 beim Poesiefestival Berlin: Während eines wissenschaftlichen Kolloquiums zu Fluchterfahrungen in der Literatur lesen Forscher ihre Ergebnisse vom Papier ab. Die Besucher drohen einzuschlafen. Aber dann erhebt sich der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila vom Podium.
Der kongolesische Autor lacht und schreit seine Gedichte ins Publikum. Eine kraftvoll-verrückte Performance mit viel Drive, geradezu musikalisch. Und mit einem Mal gibt es kein wissenschaftliches Kolloquium mehr, sondern nur noch Fiston Mwanza Mujila.
Eineinhalb Monate später sitzt der Autor auf dem Sofa seiner Wohnung in Graz, dem Ort seines Exils, und spricht über seinen Debütroman "Tram 83".
Alle Wege führen zur Tram 83
Fiston Mwanza Mujila: "Wenn ich sage 'Ich schreie diesen Roman', dann meine ich damit: Die Schrift ermöglicht mir nicht, alles auszudrücken, was ich möchte. Ich brauche also den Mund, die Rezitation, um zu so etwas wie der letzten Beschreibung zu gelangen.
Außerdem bin ich in Lubumbashi aufgewachsen. Und als ich mit dem Schreiben anfing, habe ich meine Texte an belebten Orten vorgetragen, in Bars oder draußen auf der Straße. Und da musste ich einfach den Text schreien, brüllen, bellen, um mir Gehör zu verschaffen. Da ist nämlich überall Lärm und Musik."
Mit "Tram 83" hat sich Mwanza Mujila durch den Lärm des Literaturbetriebs hindurch zum Erfolg geschrien. Im Zentrum der Geschichte steht das Tram 83, eine Mischung aus Bar und Bordell. Ein fiktiver Ort irgendwo in Äquatorialafrika Anfang des 21. Jahrhunderts: Das so genannte Stadtland hat sich militärisch vom Hinterland losgesagt. Es wird von einem abtrünnigen General regiert, der auch die Macht über die Diamantenminen hat.
Fiston Mwanza Mujila: "Am Anfang war das Sprichwort 'Alle Wege führen nach Rom'. Und das wollte ich anwenden auf eine Wirklichkeit, die vollkommen kongolesisch oder afrikanisch ist. Ich habe also geschrieben: 'Alle Wegen führen ins Tram 83'. In einer Bananenrepublik wie dem Kongo führen alle Wege zum Sich-Betrinken, zum Sex, zur Korruption, zur Vergewaltigung, zum Diebstahl, zur Kriminalität. 'Alle Wege führen ins Tram 83' heißt also: Alle Wege führen zur Sünde."
Das Buch sollte "afrikanisch" bleiben
Im Tram 83 kommen Minen-Arbeiter, Studenten, Kindersoldaten und Touristen mit Prostituierten, auch minderjährigen, zusammen. Der Sex wird zwischen zwei Bieren auf den Gemeinschaftstoiletten verrichtet. Über seinen ehemals besten Freund Requiem, einen skrupellosen Gauner, gerät auch der im Hinterland politisch verfolgte Schriftsteller Lucien in die dreckige und laute Bordellbar. Als er dort mitten in der Nacht eine Lesung macht, wollen die Gäste ihn nur noch loswerden.
Viele Rückschläge auf dem Weg zur Veröffentlichung seines Bühnenepos muss Lucien einstecken in diesem fulminanten, rhythmischen, formal äußerst gewagten Roman voller Einschübe, Aufzählungen und bewusster Wiederholungen. Jahrelang suchte auch der 1981 geborene Fiston Mwanza Mujila einen Verlag für "Tram 83". Interessierte Verlage verlangten vom Autor, den Roman den europäischen Lesegewohnheiten anzupassen. Aber Mwanza Mujila weigerte sich. Das Buch bleibe so afrikanisch, wie es sei.
Als er im Kongo aufwuchs, sagte ihm sein Vater, der Fluss Kongo gehöre später ihm, Fiston, persönlich. Da solle er sich schon mal überlegen, was er mit dem Fluss mache.
Fiston Mwanza Mujila: "Als Kind hatte ich manchmal das Gefühl, mit dem Kongo-Fluss schwanger zu sein. Wenn ich viel Wasser getrunken hatte, dachte ich, der Kongo-Fluss sei in meinem Bauch.
Ich habe auch das Gefühl, mit einem Text schwanger zu sein. Ich versuche also, den Text über den Mund zu gebären."