Info: Auszeichnung für die kroatische Romanschriftstellerin Ivana Sajko und ihre Übersetzerin Alida Bremer: Beide erhalten den Internationalen Literaturpreis vom Haus der Kulturen der Welt in Berlin - und zwar für "Liebesroman".
Wie prekäre Verhältnisse die Liebe ersticken
Ivana Sajko war eine Teenagerin, als der Jugoslawien-Krieg ausbrach. Die Gewalt des Krieges hatte sie in ihrem Romandebüt "Rio Bar" und zahlreichen Theaterstücken verarbeitet. Und auch ihr neues Buch "Liebesroman" zeigt einen Krieg zwischen zwei Menschen.
Berlin, Haus der Kulturen der Welt: Ivana Sajko, fragil, die dunklen Haare nach hinten gebunden, erholt sich bei einem Kaffee. Zwei Stunden hat sie gerade für ein Fernsehporträt vor der Kamera gestanden. Mit Bildern arbeitet sie auch selbst intensiv: als Autorin, Regisseurin und Performerin. Doch sie sei vor allem ein Ohrenmensch.
Ivana Sajko: "Als ich am Theater war, habe ich habe immer mit Musikern gearbeitet - selten mit Schauspielern, immer mit Musikern! Wir haben unseren Stoff dabei nicht aus Sicht der Charaktere heraus erarbeitet, sondern entlang der musikalischen Qualität der Texte. Musik war immer so was wie ein Haus für den Text. Sie liefert zusätzliche Emotionen oder einen Kontrapunkt … nicht illustrativ, sondern im Dialog mit den musikalischen Komponenten des Textes."
1975 wurde Ivana Sajko in Zagreb geboren. Dort wuchs sie auf und studierte später Dramaturgie und Philosophie. Dazwischen lag die prägende Erfahrung ihres Lebens: der Jugoslawien-Krieg.
Sajko: "Ich war ein Teenager. Der Krieg begann, als Laurie Anderson nach Zagreb kommen wollte, um ein Konzert zu geben. Jetzt erst, mit Anfang 40, verstehe ich, welche Bedeutung dieser Krieg hatte. In jungen Jahren habe ich beim Schreiben nie zurückgeschaut. Erst mit dem Roman Rio Bar ist das passiert. Vorher hatte ich Stücke geschrieben, die absolut nichts mit Kroatien zu tun hatten. Sie waren politisch, aber nicht an die Situation im Land oder in Ex-Jugoslawien gebunden. Aber der Krieg in Syrien hat mich sehr an damals erinnert."
Der Titel als pure Ironie
Ivana Sajkos Romandebüt erschien hierzulande 2008. "Acht Monologe über den Krieg für acht Schauspielerinnen in Brautkleidern." Erinnerungen an Bomben, Schutzkeller und Verbandszeug aus zerschnittenen Hochzeitskleidern, dazu Minenfelder im Kopf. Auch der jetzt preisgekrönte "Liebesroman" bildet einen Krieg ab: den zwischen zwei Menschen im Käfig ihrer Wohnung.
Liebesroman? Der Titel ist die pure Ironie. Die Liebe des namenlosen Paares im Künstlermilieu von Zagreb ist längst an ihren prekären Verhältnissen erstickt. An unerfüllten privaten Träumen, an unbezahlten Rechnungen, an einer beschädigten Außenwelt.
Sajko: "Die Ausgangsidee war der Versuch, über Gesellschaft auf kleinster Ebene zu sprechen. Nicht aus der Position der großen Geschichte, sondern mit Blick auf die kleinen Ereignisse, die kleinen Geschichten, um zu begreifen, was sie mit einem machen. Wer wirklich die Narben trägt, wenn eine Gesellschaft auseinanderfällt, wenn sie keine Solidarität und keine Sicherheiten mehr bieten kann."
Atemlose Monologe
Wie ausufernde Soli in einem Jazz-Stück klingen die atemlosen Monologe der beiden Hauptfiguren. Ein langes Poem, rhythmisierte Sprache, die seitenlang ohne Punkt auskommt, um dann von kurzen heftigen Beats unterbrochen zu werden - empörten Sätzen wie: "Schuld sind dieser beschissene Staat und Jesus." Das Ende bleibt offen - es führt ans Meer. Ein heilsamer Ort auch für Ivana Sajko:
"Das Meer ist für mich so ein 'Punto de Fuga' - ein Fluchtpunkt. Und das war schon immer so, seit meiner Kindheit. Vor allem nach dem Krieg, als Kroatien so depressiv und verschlossen war und ich das Gefühl hatte, es gäbe überhaupt keine Möglichkeiten für mich, hier rauszukommen. Das Meer hat mir immer Raum gegeben und auch die Mentalität ist eine andere, die Zeit vergeht dort anders. Man kann klar denken. Wenn ich in Kroatien bin, ziehe ich es vor, am Meer zu leben. In Zagreb habe ich keine Wohnung mehr, ich wohne dann in Pula, einer Küstenstadt."
Seit zwei Jahren lebt Ivana Sajko mit ihrem siebenjährigen Sohn überwiegend in Berlin. Der wiedererstarkte Nationalismus in Kroatien, die neue Religiösität, die Korruption sind nur einige der Gründe, warum sie ihre Heimat verlassen hat.
Sakjo: "Ich habe verstanden, dass man außerhalb seiner Muttersprache leben kann, ohne seine Identität in Frage stellen zu müssen. Und darüber hinaus bin ich wirklich sehr froh, dass sich mir durchs Deutschlernen eine völlig neue Welt eröffnet."