"Angriffe auf Frauenrechte sind auch Angriffe auf Freiheitsrechte"
Seit 30 Jahren widmet sich das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln den Werken von Filmemacherinnen. Die künstlerische Leiterin Silke Räbinger sieht zwar mehr Chancen für Frauen beim Film, aber noch lange nicht genug.
Mit dem Motto "Alles unter Kontrolle" hat das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln in diesem Jahr ein brisantes Thema gewählt, sagt die künstlerische Leiterin, Silke Räbinger, im Deutschlandradio Kultur. "Auf der einen Seite leben wir in einer Gesellschaft, wo jeder versucht, alles Mögliche zu kontrollieren", sagte Räbinger. "Auf der anderen Seite leben wir politisch in einer Welt, die ja wirklich aus den Fugen gerät und wo gerade aktuell wir den Eindruck bekommen, dass da einiges außer Kontrolle gerät." Das Festival bietet bis zum 9. April ein vielfältiges Programm mit 120 Filmen, aber auch Diskussionsveranstaltungen und Performances.
Das Interview im Wortlaut:
Eckhard Roelcke: Ganz allmählich kommt Bewegung in die Filmszene, denn auch Frauen rücken immer mal wieder in den Fokus. Vorbei sind die Zeiten, da zum Beispiel bei den Filmfestspielen in Cannes kaum Filme von Regisseurinnen gelaufen sind. Es gab Proteste und Aktionen – sie zeigen Wirkung. Solcher Kritik war das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund/Köln selbstverständlich nie ausgesetzt. Dort sind ausschließlich von Frauen gedrehte Filme zu sehen. Seit nunmehr 30 Jahren gibt es das Festival, in diesem Jahr findet es in Dortmund statt, heute beginnt es, und die künstlerische Leiterin und Gründerin des Festivals, Silke Räbiger, die begrüße ich am Telefon. Einen schönen guten Abend, Frau Räbiger!
Silke Räbiger: Ja, schönen guten Abend!
Roelcke: Habe ich meine Anmoderation vielleicht zu positiv formuliert? Hat sich denn in den vergangenen Jahren die Lage für Filmemacherinnen wirklich merklich positiv verändert?
Räbiger: Also sie hat sich positiv verändert, aber merklich, das würde ich durchaus noch infrage stellen. Auch Cannes, was Sie angesprochen haben, da laufen sicherlich jetzt mehr Filme von Frauen insgesamt auf dem Festival, aber wenn Sie sich den Wettbewerb von Cannes – das ist natürlich das Filetstück des Festivals – anschauen, dann werden Sie auch mitbekommen haben, dass in den vergangenen Jahren der Anteil der Frauen nicht wirklich gewachsen ist. Also da haben wir dann mal, wenn es hoch kommt, zwei, drei Filme von Frauen im Wettbewerb, und das ist nicht wirklich etwas, wo man sagen könnte, das ist eine ausgeglichene Bilanz.
Ungleiche Berufschancen
Roelcke: Diese allmählichen Veränderungen, treffen sie die gesamte Branche, also sämtliche Bereiche der Produktionen?
Räbiger: Viele Bereiche. Wir haben 2001 angefangen, einen nationalen Wettbewerb für Bildgestalterinnen hier zu machen und können mit Fug und Recht sagen, dass ein großer Teil der in Deutschland arbeitenden Kamerafrauen hier bei uns auch auf dem Festival gewesen ist, aber der Anteil von Kamerafrauen beispielsweise, der liegt derzeit bei ungefähr 17 Prozent. Das hat sich schon gesteigert, also in der Tat, das ist ein bisschen mehr geworden. Wenn Sie in den Bereich der Filmkomposition gehen, da werden Sie nicht über zwei oder drei Prozent kommen.
Im Bereich von Schnitt, also digitalem Schnitt, da sieht es auch nicht besonders gut aus. Es ist einfach noch nicht so, dass Frauen die gleichen Berufschancen wie die Männer haben. Und es ist letztendlich ja auch immer ein Kampf um Arbeitsplätze – ich nenne es jetzt auch Kampf –, es geht darum, den Beruf, den man gelernt hat, auch ausüben zu können. Ich denke, an einer Quote kommen wir einfach nicht vorbei.
Das ist ein Vehikel, das ist sicherlich eine Übergangslösung, aber sie wäre zumindest ein Schritt dahin, deutlich zu machen, Frauen können diesen Job auch machen oder die verschiedenen Jobs auch machen, und man kann Frauen das auch zutrauen. Und ich glaube, es bedarf einfach so einer positiven Unterstützung auch gegenüber Produktionsfirmen, auch vor allen Dingen in Fernsehanstalten, dass gesagt wird, versucht es doch mal mit den Frauen.
Aktuelle Themen im Programm
Roelcke: Vor zwei Jahren waren in Dortmund, glaube ich, so ungefähr 90 Filme zu sehen, jetzt sind es 120 Filme, das ist rein quantitativ natürlich ein beachtliches Wachstum.
Räbiger: Ja, das muss man ein bisschen relativ sehen. In diesen 120 Filmen sind sozusagen … vom Videoclip bis zum über Zweistundenfilm ist da alles versammelt. Das liegt auch so ein bisschen daran, wie viele Kurzfilmprogramme man hat. Das würde ich jetzt nicht überbewerten, aber ich würde sagen, so rund 100 Filme ist das, was wir regelmäßig in unseren Programmen zeigen.
Roelcke: Thema dieses Jahr, "Alles unter Kontrolle", was meinen Sie damit, welche Kontrolle meinen Sie?
Räbiger: "Alles unter Kontrolle", das ist natürlich ein ganz brisantes Thema. Auf der einen Seite leben wir in einer Gesellschaft, wo jeder versucht, alles Mögliche zu kontrollieren, sei es sozusagen das Haus, das Licht, die Energieströme im Haus per App und wie auch immer oder sozusagen den eigenen Körper unter Kontrolle zu halten, und auf der anderen Seite leben wir politisch in einer Welt, die ja wirklich aus den Fugen gerät und wo gerade aktuell wir den Eindruck bekommen, dass da einiges außer Kontrolle gerät.
Wir können uns die Flüchtlingsströme anschauen, diese Frage von Migration, die vielen Menschen Angst macht und vermeintlich gefährlich sind und wo versucht wird, Europa wieder zur Festung zu machen. Wir können uns politische Situationen anschauen wie in den USA, wo auch Frauenrechte oder auch Rechte von Wissenschaftlern, wie auch immer, gerade massiv wieder infrage gestellt werden. Also insofern ist das ein ganz aktuelles Thema, und mit diesen politischen Fragen, gerade auch mit Fragen der Migration, beschäftigen wir uns sehr intensiv.
Roelcke: Wenn man sich jetzt das Programm ansieht, das gesamte Programm, dann bemerkt man, dass es neben den Filmen, neben den Diskussionen auch relativ viele, na ja, Live Events, Performances gibt. Ist das eine Entwicklung weg vom reinen Filmfestival, so ein bisschen zumindest?
Räbiger: Das würde ich jetzt nicht sagen, aber wir verstehen das als Ergänzung. Es ist eben so, die einzelnen Filmgenres, die verwandeln sich, und was wir versuchen, ist, über den Film ein wenig hinauszuschauen. Also ganz, sag ich jetzt schon mal, traditionelles Beispiel für das Dortmunder Festival ist der Stummfilm mit Livemusik, das ist eben auch ein Live Event, aber wir versuchen eben auch zunehmend, Performances, die mit Bewegtbild arbeiten, in das Programm aufzunehmen.
Morgen früh geht es los mit einem Symposium zur Künstlerin Niki de Saint Phalle, wo wir gemeinsam mit dem Museum Ostwall hier in Dortmund ein Symposium durchführen, wo eben auch Filmwissenschaftlerinnen daran beteiligt sind, also wo der Versuch gemacht wird, die bildende Kunst und eben die angrenzenden Wissenschaften und Künste auch miteinzubeziehen. Es ist eigentlich der Versuch, Grenzen auszuloten und das Spektrum einfach zu erweitern.
Roelcke: Also auch eine Zusammenarbeit in die Stadt hinein, also Niki de Saint Phalle, eine Ausstellung im Dortmunder U parallel dazu, das ist natürlich kein Zufall.
Räbiger: Nein, das ist kein Zufall. Niki de Saint Phalle ist sicherlich auch mit ein Anlass gewesen für unsere Themenwahl. Niki de Saint Phalle ist eine Künstlerin, eine Ausnahmekünstlerin gewesen, die ja sehr früh sehr stark darauf geachtet hat, wie ihr Bild in der Öffentlichkeit war, sie hat es sehr stark kontrolliert, und unser Thema ist nicht ohne Grund sehr stark an diese Künstlerin auch angelehnt.
Neue Angriffe auf Frauenrechte
Roelcke: Ich möchte jetzt noch mal zurückkommen auf den Anfang unseres Gesprächs, Frau Räbiger. Jetzt könnte ich polemisch fragen, ist es das Ziel des Frauenfilmfestivals, irgendwann mal überflüssig zu werden, wenn nämlich Frauen in der Filmbranche flächendeckend adäquat repräsentiert sind?
Räbiger: Ja, dann machen wir unsere Türen zu. Aber ich glaube, bis dahin ist noch wirklich ein weiter Weg. Als wir in den 80er-Jahren begonnen haben, haben wir schon gedacht, dass es ein Auslaufmodell sein könnte, aber wenn ich mir die heutige Situation angucke, wo also wirklich die Angriffe auf Frauenrechte wieder hoffähig gemacht werden – und ich muss einfach sagen, Angriffe auf Frauenrechte sind auch Angriffe auf Freiheitsrechte –, dann muss ich doch wirklich große Zweifel hegen, dass wir bald überflüssig werden.
Roelcke: Da bringen Sie mich jetzt ein bisschen in die Bredouille. Soll ich Ihnen jetzt noch mal weitere 30 Jahre Festival wünschen?
Räbiger: Ja, tun Sie das ruhig. Vielleicht erreichen wir das Ziel ja früher, aber eine langfristige Perspektive ist immer nicht schlecht, und wenn wir das in der Hälfte der Zeit schaffen würden, das wäre natürlich super.
Roelcke: Bis Sonntag dauert das Internationale Frauenfilmfestival Dortmund. Silke Räbiger war das, die Gründerin und Festivalleiterin. Frau Räbiger, vielen Dank und alles Gute für Ihr Festival!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.