Auf der Spur der Raubkunst
Verschleppt, versteckt, verschollen: Die Magdeburger Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste ist seit 20 Jahren auf der Suche nach von den Nazis geraubten Kunstwerken. Seit dem Gurlitt-Fall ist das Interesse an ihrer Datenbank so groß wie noch nie.
"Wir hatten im letzten Jahr so ein Maximum von 50.000 Zugriffen am Tag. Das ist schon ganz schön viel."
Erzählt die promovierte Kunsthistorikerin Andrea Baresel-Brand. Sie ist die stellvertretende Leiterin der "Koordinierungsstelle Magdeburg für Kulturgutdokumentation und Kulturgutverluste", wie es ganz offiziell heißt. Sitz der weltweit größten Lost Art Internet-Datenbank. Deren Aufgabe es ist, die bis heute unzähligen Kunstwerke zu dokumentieren, die während des Nationalsozialismus - ob nun aus öffentlichen Einrichtungen oder privater Hand – verschleppt wurden und nun verschollen sind.
"Im November ist es explodiert. Da sind wir dann an einem Tag, bis die Server ausfielen, da hatten wir 5,2 Millionen Zugriffe. Das kam natürlich durch das Bekanntwerden des Gurlitt-Falls."
Die meisten Zugriffe kamen und kommen aus den USA und Israel. Man sieht sich bei der in Magdeburg angesiedelten Lost Art Database als Vermittler. Will Suchende und Findende zusammenbringen, Kunst wieder seinem rechtmäßigen Besitzer zurückbringen. Kein einfaches Unterfangen.
"Man muss dann immer im Einzelfall schauen, wie ist das Objekt, wie ist die Provenienz-Geschichte, die Herkunftsgeschichte. Man muss sie versuchen, so gut wie möglich, zu rekonstruieren. "
Doch das geht nicht immer ganz ohne Konflikte. So wurde das Online-Portal Lost Art erst kürzlich durch das Oberverwaltungsgericht Magdeburg gezwungen, einen Eintrag zu löschen, nachdem der Ort eines verschollenen Bildes bekannt wurde. Damit sei der Auftrag der Koordinierungsstelle erfüllt, argumentierten die Richter, auch wenn die Besitzverhältnisse nicht geklärt seien. Unverständlich für Kunsthistorikerin Andrea Baresel-Brand.
"Das Werk wird ja dann frei handelbar. Der Raubkunstfall ist aber Teil seiner Geschichte und das sollte man auch weiterhin so bekannt machen."
Gegründet wurde der Rot-Kreuz-Suchdienst für Kunstwerke vor genau 20 Jahren, finanziert durch Bund und Länder. Jahresetat: 500.000 Euro. Man verfolgt eine Art moralische Selbstverpflichtung, indem man etwas vom Leid und Schrecken des Nationalsozialismus wieder gutmachen wolle.
"Ein häufiger Fall, ist, dass sich Privatleute an uns wenden, mit sogenannten Dachbodenfunden. Und dass sie sich von uns dann Hilfe versprechen. Wenn der Verdacht besteht, dass es sich um ein Stück Beutekunst handeln könnte, rege ich an, oder schlage ich vor, dass man das als Fundmeldung über Lost Art publiziert. Diese kann ja auch der Klärung der Herkunft des Werkes dienen."
150.000 Einzelobjekte im Online-Archiv
Noch bis in die 1990er Jahre haben die Vertriebenen beim Bonner Innenministerium ihre zurückgelassenen Kunstwerke gemeldet. Immer ging es dabei um die Verluste der Deutschen, nie darum, was man jüdischen Besitzern angetan hatte. Restitution war in der öffentlichen Wahrnehmung eine völlig unbekannte Vokabel. Das hat sich seit der Wiedervereinigung, auch begünstigt durch Institutionen wie der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, grundlegend geändert. Unterstreicht Kunsthistorikerin Baresel-Brand, deren Arbeit manchmal ganz rührende Geschichten zutage bringt.
"Das ist oft der Weg, was kann ich denn tun. Und es entspannt sich ein Dialog. In diesem Fall kam es auch zu einer Fundmeldung. Dieser Herr ist schon sehr betagt. Sein Vater war als Wehrmachtsoffizier in der Ukraine und hat von dort eine Ikone mitgebracht. Und er hat sich mit dem Kunstwerk auseinandergesetzt. Hat es begutachten lassen, hat versucht die Geschichte aufzuklären. Und hat dann auch Tagebuchaufzeichnungen seines Vaters gefunden. Er wollte es aufklären. Er hat alles drangesetzt , in dem Fall eine Nachfolgegemeinde in der Ukraine zu finden, um dieses Stück wieder in sein Herkunftsland zu bringen. Das ist eine sehr bewegende Sache."
Der andere, der entgegengesetzte Fall:
"Menschen fragen uns, wie können wir die verlorene Kunst aus unserer Familie finden. Das kann in Polen gewesen sein, in Frankreich. Überall wo das Hitler-Regime seine Spuren hinterlassen hat. Ja, dann beraten wir sie. Und dann können wir die Dinge auch in die Datenbank stellen."
Aktuell sind 150.000 Einzelobjekte im Online-Lost Art Archiv verzeichnet, das in Magdeburg beim sachsen-anhaltischen Kultusministerium angesiedelt ist. Darunter etwa 500 Werke aus dem Schwabinger Kunstfund, der Sammlung Gurlitt, die in einem speziellen Eintrag zu sehen sind. Mit der Offenlegung ist man auch den Forderungen der Jewish Claims Conference nachgekommen.
"Lost Art hat prinzipiell ein Melder-Prinzip. Das heißt: Verantwortlich für den Inhalt jeglicher Meldungen ist der Melder. Das kann eine Privatperson sein, ihre Vertreter oder eine Institution."
Das jedoch gerade Magdeburg der Sitz der Koordinierungsstelle vor 20 Jahren wurde, hat sicherlich auch damit zu tun, dass während des Krieges, in diversen mitteldeutschen Salzbergwerken und abgelegenen Schlössern Beute -und Raubkunst im großen Stil eingelagert wurde.
"Wir nehmen hier keine Kunstwerke an oder lagern etwas. Die Objekte sind an der Stelle, wo sie identifiziert werden. Und da bleiben sie auch bis zur Klärung. Wir haben auch kein Mandat Expertisen oder Gutachten zu erstellen, wir sind keine Forschungsstelle. Sondern wir dokumentieren, wir beraten, wir versuchen zu helfen."