Internet-Entwicklungsland Brandenburg

Große Löcher in der digitalen Versorgung

14:37 Minuten
Blick auf einen Kabelstrang auf einer Wiese.
Kabelende im Niemandsland - in Brandenburg ist die digitale Versorgung in viele Landesteilen sehr lückenhaft. © imago / Manngold
Von Vanja Budde und Annika Jensen |
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Unternehmerinnen, Golfer und Lehrer in Brandenburg haben eines gemeinsam: Sie dürsten nach einem schnellen Internet. Doch das lässt in weiten Teilen des Landes auf sich warten. Der zögerliche Netzausbau könnte jedoch bald Arbeitsplätze kosten.
Seit 26 Jahren leitet Klaus Benthin die Heimvolkshochschule am Seddiner See. Eine gemeinnützige Bildungsstätte, malerisch gelegen auf zweieinhalb Hektar Land, mitten im Grünen, eine Viertelstunde Autofahrt südlich von Potsdam. Sie ist auf die Themen "Landwirtschaft" und "ländlicher Raum" spezialisiert. Freundlich blickt der kräftige 62-Jährige durch seine Brillengläser.
"Die Entscheidung für eine Bildungsstätte ist inzwischen deutlich davon abhängig, ob der Teilnehmer, der sich möglicherweise für mehrere Tage hier aufhält, auch digital erreichbar ist. Wir haben es mit Betriebsleitern landwirtschaftlicher Unternehmen zu tun und für die ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass sie während dieses Seminars und während dieser Tage ihre Emails checken können und, und, und."

Glasfaserkabel sehr weit entfernt von den Abnehmern

Noch vor zwei Monaten waren die Gäste hier aber fast komplett von der digitalen Außenwelt abgeschnitten. In den Gebäuden und auf dem Gelände der Heimvolkshochschule ging in Sachen Internet-Empfang so gut wie nichts.
Zwar liegen Glasfaserkabel bis zur Grundstücksgrenze, doch das brachte den Mitarbeitern und Gästen kaum etwas. Es fehlten noch 120 Meter. Zu weit. Benthin musste nachbessern, um die zwei 100 Mbit-Leitungen für das Gelände nutzbar zu machen:
"Wir haben festgestellt, dass wir allein über Funk nicht das ganze Gelände versorgen können und so haben wir also eine Strategie gefahren, dass wir zunächst einmal Glasfaserkabel bis in die jeweiligen Gebäude – wir verfügen über insgesamt vier Gebäude – verlegen und dass wir dann die Verteilung innerhalb der Gebäude über WLAN realisieren. Und dafür dienen dann diese Hot Spots oder Access Points."
Klaus Benthin, Leiter der Heimvolkshochschule Seddiner See
Klaus Benthin, Leiter der Heimvolkshochschule Seddiner See, konnte mit viel Mühe und Fördergeldern das schnelle Internet an seine Schule holen.© Deutschlandradio / Annika Jensen
Die Lösung war teuer, doch Klaus Benthin hatte es geschafft, einen Fördertopf der Landesregierung anzuzapfen: 31.000 Euro hat das Bildungsministerium bereitgestellt, damit Gäste und Mitarbeiter endlich vernünftigen Zugang zum Internet bekommen. Benthin hat 8.000 Euro dazu gezahlt.
Ohne die Unterstützung des Bildungsministeriums wäre der Internet-Ausbau in der Heimvolkshochschule nicht möglich gewesen, sagt er. Klaus Benthin ist mit der rot-roten Landesregierung in diesem Fall zufrieden, doch er kennt auch andere Stimmen.
"Wir machen Seminare zur ländlichen Entwicklung, zur Dorferneuerung und zur Regionalentwicklung. Da ist die Breitbandversorgung inzwischen ein zentrales Thema. Und: Bei den Betroffenen ist da viel Verbitterung, weil sie endlich an diese modernen Medien ran wollen und merken, dass die gesamte ländliche Entwicklung an dieser Stelle ausgebremst wird. Diese sollten zunächst einmal bedient werden, bevor wir hier die Luxusklasse ansteuern."

Ein weißer Fleck auf der Mobilfunkkarte

Und doch ist auch die Heimvolkshochschule von Klaus Benthin weit von der Luxusklasse entfernt: Trotz der Nähe zur Landeshauptstadt ist das gesamte Gelände einer der in Brandenburg noch zahlreichen weißen Flecken auf der Mobilfunk-Karte. Mit dem Handy telefonieren ist hier so gut wie unmöglich.
"Wir haben Funklöcher, und wir haben auch noch weiße Flecken bei der breitbandigen Internetversorgung. Das ärgert uns auch. Und: Uns könnte das auch schneller gehen, dass diese Löcher geschlossen werden. Wir werden in den nächsten Jahren etwa eine halbe Milliarde allein an Steuergeldern von Bund und Land zur Verfügung stellen, um die weißen Flecken bei der Breitbandversorgung zu schließen", sagt Thomas Kralinski, früherer Chef der Staatskanzlei in Potsdam, jetzt ist er der Digitalkoordinator des Landes.
Er soll die Verbitterung mindern und den Aufbruch in die digitale Zukunft des Landes steuern. Noch stöhnen ein Drittel aller Landeskinder über langsames Internet. Die Industrie- und Handelskammern warnen: Unternehmen trügen sich mit Abwanderungsgedanken, weil sie wegen des schneckenlangsamen Internets von Kunden, Lieferanten und Partnern als rückständig wahrgenommen werden. SPD-Politiker Thomas Kralinski weiß das. Die Politik will handeln, aber es gibt neue Probleme.
"Es ist keine Frage mehr des Geldes, sondern es ist jetzt eine Frage der Unternehmen, die Tiefbauarbeiten machen und Leitungen verlegen. Und da im Moment die Konjunktur so gut ist, wie sie ist - was ja erst mal gar nicht schlecht ist -, haben wir ein bisschen Schwierigkeiten, die Firmen zu finden, die das möglichst schnell tun. Deswegen dauert es im Schnitt noch ein, zwei, drei Jahre, bis die Löcher geschlossen werden."
Drei Jahre – wenn Martin Westphal so etwas hört, ballt er die Faust in der Tasche. Er ist an einem sonnigen Abend im Mai zum "Digitalen Stammtisch" ins Digitalwerk in der Kleinstadt Werder gekommen. Martin Westphal hat nämlich ein Problem:
"Wir betreiben hier eine Golfanlage, haben 34 Mitarbeiter und sind angewiesen auf eine schnelle Verbindung zu unseren Servern, die nicht mehr bei uns auf der Anlage sind. Und das ist total wuselig, also geht gar nicht. Die Übertragungsgeschwindigkeiten sind zu niedrig, wir können das auch gar nicht belasten und wenn dann in der Umgebung die Dörfer noch Kapazitäten abschöpfen, dann haben wir einen totalen Ausfall bei uns."

Auch die Golfer wollen online sein

Seine 55.000 Besucher im Jahr melden sich zu 84 Prozent online an, erklärt Westphal. Weil das Internet so langsam ist, gibt es Schwierigkeiten bei der Terminvergabe. Außerdem steuert die Software auch die Zugänge zum Golfplatz, überall drohen Verzögerungen.
"Wir haben eine IT-Firma, die uns berät, die eben unseren Server mit verwaltet. Die fallen um. Die sagen: Oh Gott, das geht gar nicht!. Was nervt, ist einfach die Geschwindigkeit, die Reaktionsgeschwindigkeit derjenigen, die so was dann eben auch an den Start bringen müssten. Und die ist brutal langsam. Es ist auch demoralisierend, muss ich ganz ehrlich sagen. Und ich als Unternehmer verlasse mich nicht auf die Landesregierung."
Auch die oppositionelle CDU im Potsdamer Landtag schimpft, dass die rot-rote Landesregierung den Breitbandausbau nicht schnell genug vorantreibe. Am 1. September sind Landtagswahlen, die CDU will den Machtwechsel schaffen, die seit der Wende regierende SPD ablösen.
Am vergangenen Freitag machte die CDU im Landtag Druck: Mit einem Antrag unter dem Titel "Kick-Start für ein Digitales Brandenburg" forderte sie, die neue Digitalstrategie so schnell wie möglich umzusetzen. Rot-rot lehnte den Antrag ab.
Diese Strategie hatte Digitalkoordinator Thomas Kralinski im Dezember vorgestellt. Die Zukunftsvision: Flächendeckendes schnelles Internet "an jeder Milchkanne"; E-Government, also Online-Verwaltung, der Bürger muss nicht mehr aufs Amt; gratis WLAN an öffentlichen Plätzen; Vernetzung der Schulen in einer eigenen Cloud. Mit dieser Strategie sei Brandenburg bundesweit Vorreiter, meint Kralinski:
"Also im Moment – das heißt, das sind die Zahlen von letztem Jahr, also aus 2018 – sind wir bei knapp unter 70 Prozent mit über 50-Mbit-Versorgung im Land. Das ist wirklich nicht so schlecht. Wir sind dabei auch Spitzenreiter im Osten. Die Bundesregierung hat bis 2025 das Gigabit-Ziel ausgegeben und das hoffen wir natürlich, dass wir das auch hinkriegen bis dahin."

Der Aufbruch in die Zukunft verzögert sich

Doch leider verzögert sich der Aufbruch in die Zukunft: Eine Digitalagentur als neue Landesgesellschaft soll die Umsetzung der Strategie steuern, den großen Beratungsbedarf von Kommunen und Unternehmen stillen.
Gegründet ist die Tochter der Investitions- und Landesbank, 20 Mitarbeiter sind eingeplant, an der Spitze soll ein renommierter Digitalexperte stehen. Aber: Solche Leute seien schwer zu finden, stellt die Landesregierung überrascht fest. Die ILB suche deswegen mit Headhuntern nach potenziellen Kandidaten.
Eine der Firmen, die wegen des lahmen Internets die Abwanderung in Erwägung ziehen, ist Cadimension. Dabei hat das CAD-Unternehmen für rechnerunterstütztes Konstruieren seinen Sitz nur fünf Kilometer vom Zentrum der Landeshauptstadt Potsdam entfernt.
"Wenn sich die Probleme nicht lösen sollten, wird es darauf hinauslaufen, dass Potsdam kein attraktiver Standort für unser Unternehmen mehr sein wird", sagt Geschäftsführerin Nadine Rossow, Technikerin für Heizungs-, Klima- und Lüftungsanlagen. Sie und ihre 13 Mitarbeiter kümmern sich darum, wo und wie in Gebäuden die Haustechnik am besten untergebracht werden sollte. Dafür braucht das Unternehmen eine schnelle und zuverlässige Internetanbindung. Doch die hat Nadine Rossow nicht.
Nadine Rossow, Geschäftsführerin des Unternehmens CADimension Potsdam
Nadine Rossow, Geschäftsführerin des Unternehmens CADimension Potsdam© Deutschlandradio / Annika Jensen
Ludger Rossow, der für sämtliche Computer zuständig ist, sah sich genötigt, eine Umleitung zu basteln, auf der die Mitarbeiter mehr schlecht als recht ins Internet finden:
"Momentan ist unsere Backup-Lösung, die wir hier haben, für den unzuverlässigen Kabelanschluss eine Hybrid-Lösung der Telekom. Das heißt, wir haben eine relativ langsame DSL-Anbindung, die über eine LTE-Verbindung geboostet wird. Wenn mehr Bedarf ist, wird über Funk mehr Datenvolumen oder Datengeschwindigkeit bereitgestellt. Aber es ist halt 'ne Mobilfunk-Anbindung. Das heißt, die schwankt irgendwo zwischen 10 und 50 Mbit, je nachdem, was gerade am Mast zur Verfügung steht."

Die tägliche Sorge um die Leitung

Eine wackelige Notlösung: Jeden Tag stehen alle Beteiligten vor der Frage, wann die Leitung wieder zusammenbricht? Das heißt, sie müssen viel Geduld beweisen.
"Es gibt Zeiten, in denen acht Konstrukteure vor ihren Arbeitsplätzen sitzen und dem Upload ihrer Daten quasi zugucken können. Und das ist für auch aus wirtschaftlicher Sicht überhaupt nicht tragbar, weil das kostet bares Geld."
Doch nicht nur für die tägliche Arbeit braucht Nadine Rossow schnelles Internet. Auch, um als Arbeitgeberin attraktiv zu bleiben, wäre eine gute Anbindung hilfreich. Um sich am Markt zu behaupten, braucht Cadimension qualifizierte, zuverlässige Mitarbeiter:
"Durch schnelles Internet wären wir in der Lage, unseren Mitarbeitern auch Homeoffice anzubieten, sodass die Mitarbeiter von zu Hause sich auf unserem Server einloggen könnten. Die Daten bleiben nach wie vor auf unserem Server. Sie könnten aber von zu Hause ganz normal arbeiten und hätten den täglichen Arbeitsweg nicht. Auch bei der Mitarbeitergewinnung wäre das ein sehr attraktiver Aspekt für den Bewerber."
Wenige Minuten Fußweg von Rossows Unternehmen Cadimension entfernt liegt die Potsdamer Zentrale des Software-Giganten SAP. Die Leute da haben natürlich Glasfaserkabel, erzählt Ludger Rossow. Die hätten das Geld, um sich selbst zu versorgen. Seine Erwartungen an die künftige Landesregierung sind klar: Er möchte, dass auch das Unternehmen seiner Frau so ausgestattet wird. Derzeit liegt nur Kupferkabel vor dem Haus:
"Ich würde mir wünschen, dass wir bis ins Haus hier Glasfaser haben und das auch korrekt angeschlossen wird und mit der maximalen Anbindung, die irgendwie möglich ist. Und nicht immer nur auf irgendwelche politisch gewollten Mindestbandbreiten reduziert, um möglichst breit zu streuen, sondern wirklich auch mal das Maximale, was möglich ist, technisch, zur Verfügung gestellt zu bekommen."

"Coole Lösung" statt volle Abdeckung der "unendlichen Weiten"

Eine Maximalforderung, die in Potsdam nachvollziehbar ist. Doch auch im ganzen Rest des größten aller neuen Bundeländer? 16. Januar 2019: In der Kleinstadt Werder eröffnet im alten, sanierten Bahnhofsgebäude das Digitalwerk: ein von der EU und vom Land gefördertes Zentrum für die Digitalisierung speziell kleiner und mittlerer Handwerks-Firmen. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach, SPD, hält die Eröffnungsrede:
"Es gibt niemanden in dieser Landeregierung, der den ländlichen Raum an der Stelle abhängen will oder sich nicht um den kümmern will und sehen will, dass wir, ob es jetzt graue Löcher sind, ob es weiße Löcher sind, die so schnell wie möglich versuchen wollen aus dem Weg zu schaffen."
Leiterin des Digitalwerkes ist Michaela Scheeg. Sie forscht an der Technischen Hochschule Brandenburg zur Digitalisierung von kleinen und mittleren Unternehmen und lehrt Design Thinking. Scheeg plädiert für maßgeschneiderte, individuelle Internet-Lösungen vor allem in den sehr ländlichen Gebieten am Rand Brandenburgs:
"Ich denke, dass wir da mit den neuen Technologien auch mit den Ausbaugeschichten relativ gut aufschließen werden. Ich glaube aber nicht, dass wir erwarten können, dass wir überall flächendeckend in den unendlichen Weiten unseres Flächenlandes die volle Abdeckung haben können und auch müssen."
Denn manche Problemlösungen könnten auch offline funktionieren, regt Wissenschaftlerin Scheeg an. Wenn man dann wieder in einer Gegend mit Netzabdeckung ist, könne man die Software synchronisieren. An solchen individuellen Lösungen für kleine Firmen sieht sie nichts Verkehrtes und auch kein Versagen der Politik.
"Und wenn ich sage, ich kann nur diese Lösung bauen, wenn ich alles Geld der Welt habe und eine perfekte Netzabdeckung, dann ist vielleicht auch keine coole Lösung? Dann muss die vielleicht smarter gedacht werden. Und ich denke, dass wir uns da an der einen oder anderen Stelle auch ein bisschen vom Deutschen, ganz Preußischen, vielleicht 100-Prozent-genau lösen müssen und mal sagen müssen: Wir probieren mal was aus und wir gucken mal, ob wir ein paar smarte Lösungen finden, mit denen wir auch gut leben können."
Das werden viele Bürgermeister in der Peripherie und Ortsvorsteher abgelegener Dörfer nicht gerne hören: Für sie steht fest, dass schnelles Internet heute ein ebenso zentraler Teil der Infrastruktur ist, wie Strom oder fließendes Wasser.
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