Schutz gegen den digitalen Mob
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Redaktionen reagieren oft sehr unsicher, wenn ihre Journalisten im Netz bedroht und beschimpft werden – wie Richard Gutjahr vom Bayerischen Rundfunk. Der Netzaktivist Markus Beckedahl fordert in diesen Fällen den vollen Schutz durch die Institutionen.
Es passiert immer wieder. Journalisten werden im Internet gemobbt, bedroht, beleidigt. Nur weil sie ihren Beruf ausgeübt haben. Die beiden jüngsten Fälle: Der freie Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, Richard Gutjahr, klagt in einem Brief an seinen Arbeitgeber, dass dieser ihn nicht ausreichend gegen Hetze aus dem Netz geschützt habe. Gutjahr wird von Antisemiten und Rechtsextremen virtuell verfolgt, seit er vom islamistischen Anschlag in Nizza berichtet hat.
Der zweite aktuelle Fall: Der WDR löscht ein satirisches Video, in dem ein Kinderchor die Zeile "Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau" singt. Der zuständige Journalist erhält Morddrohungen.
Gestern prallt auf Heute und Morgen
Markus Beckedahl, Netzaktivist und Gründer von Netzpolitik.org, glaubt, dass sich im Umgang der Redaktionen mit der Hetze aus dem Internet auch ein Generationenkonflikt zeigt: "Wer in Institutionen von gestern groß geworden ist, verfügt möglicherweise nicht über die Erfahrung, um eine vollkommen veränderte mediale Umwelt von heute richtig einschätzen zu können." So pralle die Denkweise von gestern auf die Denkweisen von heute und morgen.
Dass die betroffenen Mitarbeiter nicht die notwendige Deckung ihrer Institutionen erhalten, sei eigentlich eine Frechheit, meint Beckedahl. Jedem Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der massiv bedroht wird, solle sämtlicher rechtlicher Schutz zur Verfügung stehen.
Die Wirkung von Hetze im Internet werde noch immer massiv unterschätzt, urteilt der 43-Jährige: "Hier hatte es im vergangenen Jahr durch den Mord an dem CDU-Politiker Lübcke etwas mehr Bewusstsein gegeben, aber 2020 müssen wir immer davon ausgehen, wenn es organisierte Hetzkampagnen im Netz gibt, dass es zu einem gewissen Prozentsatz auch in die analoge Welt rüberschreiten könnte." Man müsse die Journalisten besser schützen gegen "diesen Mob, der auch teilweise nicht zwischen digital und analog, zwischen Realität und Einbildung unterscheiden kann", meint Beckedahl.
Eine Scheindebatte zu einem Scheinproblem
Was ist also zu lernen aus dem Fall von Richard Gutjahr und dem satirischen Video beim WDR? Der Netzaktivist weist darauf hin, dass sehr rechte Kreise extrem gut organisiert sind: "Und zwar nicht nur in dem sichtbaren Teil des Internets, sondern auch in diesen ganzen unsichtbaren Teilen."
So werde immer wieder eine Welle kreiert, die von den Medien unbedarft aufgenommen werde: "Auch teilweise aus kommerziellem Eigeninteresse, weil es halt gut geklickt wird." Dann fühlten sich Politiker genötigt, sich zu äußern. "Und auf einmal hat man eine Scheindebatte zu einem Scheinproblem."
Das könne verhindert werden, indem besser darauf geachtet werde, wer diese Welle gestartet hat, so Beckedahl. Damit man den Falschen keine Macht gebe, "die Diskurse in unserer Gesellschaft zu manipulieren."
(beb)