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Mit Luther gegen die Online-Überwachung

Denkmal für den deutschen Reformator Martin Luther auf dem Marktplatz der Lutherstadt Wittenberg
Ein Denkmal Luthers in Wittenberg © dpa / picture alliance / Jens Wolf
Von Klaus-Rüdiger Mai · 18.02.2015
Im Internet geben wir freiwillig unsere persönlichen Daten preis. Damit verstoßen wir gegen den modernen Freiheitsbegriff, der einst vom Martin Luther geprägt wurde, meint der Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai.
Wittenberg war auch in den Maßstäben des 16. Jahrhunderts eine kleine Stadt. Vom Schwarzen Kloster zur Schlosskirche, die am anderen Ende lag, benötigt man eine Viertelstunde. Und dennoch hat ein Mönch aus Wittenberg die Zentrale der damaligen Welt, Rom, in eine tiefe Krise gestürzt und das Tor zur Freiheit aufgestoßen.
In der Reichsstadt Worms stand er 1521 vor den Mächtigen des Reiches, weil er seine Kritik an der Ablasspraxis widerrufen sollte. Mit der Melodie "Spenden gegen Sündenvergebung" sollte Geld eingetrieben werden, um Albrecht finanziell zu retten, der sich in Rom verschuldet hatte, um Erzbischof von Mainz zu werden.
Die Summe hatten die Fugger als Banker vorgeschossen und die Deutschen sollten die Zeche bezahlen. Ein Geschäft zu Lasten Dritter. Den Geldtransfer empfand Martin Luther als korrupt, das religiöse Heilsversprechen als unsäglich. Er wollte nicht dulden, dass gläubige Menschen betrogen und verhöhnt werden.
Luther verteidigt das schutzlose Individuum
Seine Kritik fiel auf fruchtbaren Boden, weil die Deutschen sich schon seit Jahren beklagten, den Zahlmeister der römischen Bürokratie abzugeben. Man nannte das die Gravamina der deutschen Nation. Nur im Vatikan interessierten diese Beschwerden niemanden. Und – das war ein zweiter Fehler – die Kurie unterschätze den kleinen Mönch aus der Provinz, der ebenso elegant lateinisch wie drastisch deutsch formulieren konnte.
Wie sehr die Herrschenden, Kirche wie Adel, auf Bauern, Bergleute, Handwerker, Kaufleute und Bürger herabblickten, ihr Volk verachteten, indem sie bedingungslos Gehorsam verlangten, belegt das Ansinnen an den Kritiker Luther, sein Gewissen fahren zu lassen. Und zur Sternstunde von Worms gehört, dass er gegenüber Kaiser Karl V. die Christus-Worte zitiert, er sei nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Wenn nichts von Martin Luther bliebe als diese Zivilcourage, für seine Überzeugung einzustehen, so wäre es schon überreichlich. Er verteidigt das schutzlose Individuum gegen das Establishment und wirft ihm den Fehdehandschuh hin. Um Christi Willen! Um des Menschen Willen.
Denn Religion hat nur einen einzigen Zweck: das Band des Menschen zu Gott zu sein. Religion ist dort, wo der Mensch in seinem Gewissen Gott findet. Und findet er Gott, dann findet er sich, den Menschen. Dann übernimmt er Verantwortung für sich und für die Schöpfung. Die oft kolportierte Frage, wie bekomme ich einen gnädigen Gott, lautet eigentlich: Wie lebe ich richtig in einer Welt, die dem Menschen nicht freundlich ist?
Wir dürfen uns die bürgerlichen Rechte nicht nehmen lassen
Die Antwort beschreibt den Bogen aus dem 16. Jahrhundert der Reformation in das 21. Jahrhundert der Informationstechnologie. Seither wurden Menschenrechte in Verfassungen verankert, mit Demokratie politische Teilhabe und Rechtsschutz eingeführt. Aber unverändert sieht sich der Bürger zum Objekt von ihm fremden Interessen degradiert, die mächtig wurden, weil er sich nicht, oder im Sinne von Martin Luther noch nicht zu wehren versteht.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff nennt eine Form moderner Menschenverachtung den "Überwachungskapitalismus" des Internets. Martin Luther lehrt uns, nicht danach zu gieren, uns freiwillig zu versklaven, also nicht bereitwillig unsere persönlichen Daten preiszugeben. Stattdessen fordert er uns auf, sich die Freiheit des Christenmenschen zu nehmen - ins Heute übersetzt, sich nicht die bürgerlichen Rechte nehmen zu lassen.
Luther hat den modernsten Freiheitsbegriff geschaffen. Freiheit verbindet er mit Verantwortung und Gewissen. Freiheit ohne Verantwortung bedeutet Verwahrlosung. Man denke nur an das Problem der Wohlstandsverwahrlosung. In einer Zeit, in der wir technisch und wissenschaftlich mehr können, als wir moralisch zu verantworten vermögen, müssen die Freiheit der Forschung und die politische Macht vom Gewissen eingehegt werden.
Klaus-Rüdiger Mai, geboren 1963, lebt als Schriftsteller in der Nähe von Berlin. Sein Interesse gilt der Geschichte Europas, besonders der Renaissance, des Barocks und der Aufklärung. Seine Biographie über Benedikt XVI., sowie sein Bestseller "Der Vatikan, Geschichte einer Weltmacht im Zwielicht" wurden in viele Sprachen übersetzt. In der Familienbiographie der Bachs und der zuletzt erschienen Biographie Martin Luthers erzählt er die Geschichte Mitteldeutschlands. Unter dem Namen Sebastian Fleming schreibt er historische Romane.
Der Autor Klaus-Rüdiger Mai
Der Autor Klaus-Rüdiger Mai© privat
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