Anonymus: Deep Web – Die dunkle Seite des Internets
Blumenbar Verlag
224 Seiten, 17,99
Was bringt die digitale Revolution?
Bei der Lektüre dieser Sachbücher wird klar: Das staatliche Überwachungsbegehren - vor allem der USA - und die Interessen der Privatwirtschaft an unseren Geheimnissen machen es den politischen Akteuren schwer, auf die Herausforderungen der digitalen Revolution zu reagieren. Als einen Ausweg sehen die Autoren einen offensiven politischen Dialog über freie Software und Datenverschlüsselung.
„Überwachtes Netz. Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte“.
Übertrieben ist dieser Titel nicht, mit dem sich Markus Beckedahl und Andre Meister aus der Bloggosphäre in unsere Gutenberg-Galaxis wagen. Auf dem Cover ihres Sammelbandes findet sich das Portrait von Edward Snowden, Ton in Ton und leicht verfremdet wie ein Andy Warhol-Siebdruck. Der Kunsteffekt ist digital simuliert, eine echte Ikone ist Snowden aber schon.
Jeremie Zimmermann, Sprecher und Mitbegründer der französischen Bürgerrechtsorganisation "La Quadrature du Net", die Quadratur des Netzes, bestätigt den Snowden-Effekt selbst für hartgesottene Hacker. Er schreibt, die wichtigste Tatsache aus Snowdens Enthüllungen sei das schiere Ausmaß der von den Geheimdiensten abgeschöpften Daten:
"Die andere bedeutende Tatsache ist die aktive Mitarbeit von Google, Facebook, Apple, Microsoft und ähnlichen riesigen Internet-Konzernen: Ob sie durch Geheimgesetze und ein Geheimgericht zur Mitarbeit gezwungen wurden oder ob sie freiwillig kooperieren, tut nicht viel zur Sache."
Beiträge von Schock und Angst motiviert
So vielseitig die Beiträge auch sind, allen sitzt der Schock in den Knochen:
"Die staatliche Überwachung betrifft nicht mehr vorwiegend Personen, die krimineller oder terroristischer Handlungen verdächtig sind. Sie betrifft jeden, der das Internet nutzt, und sie ist global angelegt."
Peter Schaar, seit dem 17. Dezember 2003 Bundesbeauftragter für den Datenschutz.
"Die NSA schafft Sicherheitslücken in Software und nutzt diese auch, um unsere eigenen Rechner und Router zu infiltrieren. Wenn es sich dabei nicht um frei verfügbare und offene Software handelt, haben die Benutzer keine Möglichkeit, diese Lücken zu finden und zu schließen. Microsoft hat so beispielsweise die Sicherheit ihres Windows-Betriebssystems sabotiert, indem sie zunächst die NSA über Sicherheitslücken informierten, bevor die Lücken geschlossen wurden."
Richard Stallman, prominenter US-amerikanischer Aktivist, Befürworter und Entwickler freier Software.
In diesem hochinformativen Sammelband schreiben also keineswegs abgefreakte Nerds aus einem digitalen Sonderuniversum, sondern technische und netzpolitische Insider einer digitalen Gesellschaft, die Auswege aus dem Szenario der totalen Überwachung suchen: Sie drängen auf eine Restrukturierung des World Wide Web, auf einen offensiven politischen Dialog über freie Software und Datenverschlüsselung und auf die Souveränität des Verbrauchers über seine Hardware.
Insider-Bericht aus dem Silicon Valley
Wie die Hintertüren der Überwachung funktionieren, weiß auch der Programmierer, Netzwerkingenieur und Start-Up-Unternehmer Jaron Lanier. Er kritisiert die Monopole der digitalen Wirtschaft und vergleicht die Verfahren der NSA und ihrer Verbündeten mit den Datensammelstrategien großer Internetdienstleister, die er gleichermaßen als Spionagedienste betrachtet. Ihre Effektivität, mit der Milliarden verdient werden, basiere auf den immer machtvolleren "Sirenenservern", deren Anziehungskraft man sich kaum entziehen könne. Jaron Laniers neues Buch heißt "Wem gehört die Zukunft", der Untertitel lautet so:
"Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne, du bist ihr Produkt."
Lanier liefert einen ausführlichen Insider-Bericht über die Geschäftsmodelle der großen Player aus dem Silicon Valley. Er beschreibt konzise, wie zerstörerisch sich die Monopolmacht der Konzerne auf den Mittelstand ausgewirkt hat und weiter auswirken wird. Mit immer größerer Rechenleistung sogenannter "Sirenenserver" würden absolute Profitraten und Monopole angestrebt, was am Ende, wie schon im Finanzwesen, zu Katastrophen führe. Lanier will umverteilen. Er diskutiert ein Wirtschaftskonzept, das auf eine konsequente Monetarisierung jeglicher Datenproduktion im Internet abzielt, Geld fürs Klicken im Prinzip.
"Wie der Zeitriss, der die Neuzeit vom Mittelalter trennt"
An einer philosophischen Grundlegung der digitalen Zukunft scheitert Martin Burckhardt in seinem Buch "Die digitale Renaissance". Burckhardt liefert eine subjektiv-essayistische Erkundung zwischen Futur und Vergangenheit, wobei er die Phänomene einer digitalisierten Zivilisation mit philosophischen Konzepten der Moderne analysiert, zumindest teilweise. Ein Problem ist dabei die Gleichsetzung der historischen Renaissance als Zeitalter des Übergangs mit jener digitalen Renaissance, die hier als Zielpunkt der Geschichte erscheint. Burckhardt, der im Internet zum Mitschreiben einlädt, propagiert auch ein "Manifest für eine neue Welt", hier einige Programmpunkte:
"1. Digitale Renaissance. Mit der digitalen Revolution erleben wir eine Transformation, die so tief ist wie der Zeitrisss, der die Neuzeit vom Mittelalter getrennt hat
2. Staat. Der Nationalstaat ist Geschichte. Weil schon jetzt das Internet den politischen Handlungsraum definiert.
3. Geld. Geld ist zum leeren Zeichen geworden.
4. Arbeit. Was wir für Arbeit halten, wird im Museum der Arbeit verschwinden.
5. Ökonomie. Am Ende der Produkte angelangt, werden wir selber zur Währung."
Womit wir noch einmal Jaron Lanier zitieren können:
"Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne, Du bist ihr Produkt."
Lanier schafft es immerhin, in seinem Buch anregend und genau darzustellen, wie der Effekt der Verführung funktioniert, die "Sirenenserver" sind ein eingängiger und brauchbarer Begriff. Martin Burckhardt aber, dessen Buchpremiere bei Microsoft Deutschland in Berlin stattfand, tönt etwas zu prophetisch:
"10. Der Mensch. Dürfen wir unser Leben dem Programm der Maschine unterwerfen? Nur wenn wir uns von der Sucht nach Kontrolle befreien und aufhören, Institutionen, Formeln und Maschinen zu fetischisieren, wenn wir uns selbst finden können."
Die illegitimen Mega-Späher
Nein, der Mensch darf sich absolut nicht dem Programm einer Maschine unterwerfen, insbesondere nicht der amerikanischen Überwachungsmaschine mit ihrem erklärten Ziel einer digitalen Informationsvorherrschaft.
Wie diese konkret ausgerichtet ist und wie sie funktioniert, beschreiben die Journalisten Marcel Rosenbach und Holger Stark in ihrem wahrlich furchterregenden Buch "Der NSA-Komplex". Monatelang haben sie Edward Snowdens geleakte Informationen aus dem Inneren der NSA analysiert. Alleine die technische, finanzielle und personelle Ausstattung dieses Geheimdienstes überschreite jegliche demokratisch begründbare Legitimität.
Aber die Autoren stellen den Horror der totalen Überwachung auch in den belegbaren Kontext eines regierungspolitischen Willens. Nicht nur verteidigt die Regierung Obama die Hacker vom Dienst und ihre absolute Informationshegemonie in einer Weise, die eine perfide Doppelmoral entblößt. Auch ergibt sich mit den "Five Eyes", also dem Spionageverbund von USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien ein geopolitischer Machtakteur, der seine eigene demokratische Legitimation ebenso destruiert wie die Souveränität anderer Staaten und der Vereinten Nationen.
Back to the roots
Angesichts dieses Goliaths mag man als Digital Native wieder von vorne anfangen und geht in diesem Sinn noch ein Stück mit einem David, der im Untergrund nach Schutz und Anonymität sucht, im Deep Web:
"Tiefes Netz. Es setzt sich zusammen aus Datenbanken, alten abgeschalteten und neuen Seiten, die noch nicht online sind oder nicht gefunden werden, weil keine Schlagworte auf sie verweisen. Auch Inhalte, die über Anmeldungen geschützt oder kostenpflichtig sind, liegen hier: zum Beispiel Datenbanken von Universitäten und Forschungsinstituten, auf die nur Studenten oder Mitarbeiter mit einem Passwort Zugriff haben. Datenbanken von Versicherungen oder Banken. Kundendateien. Die Datenbestände der NASA."
Leider auch massenhaft Missbrauchsfilme, Angebote von Waffen- und Sklavenhändlern oder die Kontaktbörse Silk Road, die vom FBI dicht gemacht wurde, weil sie eben doch nicht so anonym war. Der Kontakt zwischen Händlern und Kunden verlief über drei Server, die eine Rückverfolgung der IP-Adresse unmöglich machen. Das ist eine Anonymisierungstechnik, die von den Routern des Hackerkollektivs "Tor" ermöglicht wird und die auch Dissidenten, Journalisten, Politiker, Ermittler und nicht zuletzt die Missbrauchsopfer selbst zu schätzen wissen.
Auf diesen Wegen tastet sich der Rechercheur, der auch als Buchautor anonym bleibt, immer tiefer ins Deep Web. Was am Anfang wie ein zu heiß gekochtes Rechercheprojekt aussieht, wird mit zunehmender Spannung zu einer heißen Gonzo-Story über schwierige Kompromisse, üble Burschen und die Lücken der totalen Überwachung. Wenn in diesem Buch sinnlich spürbar wird, wie ein Autor an die Grenzen der persönlichen Belastbarkeit gehen muss, um etwas über die Geheimnisse des Internets zu erfahren, so machen die anderen Titel deutlich, wie sehr staatliches Überwachungsbegehren und privatwirtschaftliches Interesse an unseren Geheimnissen bereits jegliche politische Belastbarkeit überschreiten.
Markus Beckedahl, Andre Meister (Hrsg.): Überwachtes Netz: Edward Snowden und der größte Überwachungsskandal der Geschichte
newthinking communications
324 Seiten, 14,90 Euro
Martin Burckhardt: Digitale Renaissance. Manifest für eine neue Welt
Metropol Verlag Berlin
224 Seiten, 20,00 Euro
Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft. Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.
Hoffmann & Campe
480 Seiten, 24,99 Euro
Marcel Rosenbach/Holger Stark: Der NSA-Komplex. Edward Snowden und der Wegin die totale Überwachung.
DVA
384 Seiten, 19,99 Euro