Darin zeigte sich auch eine gewisse Selbstüberschätzung des Westens. So nach dem Motto: Wir geben ihnen Facebook – und jetzt bricht die Revolution aus.
Soziale Medien in Iran
Über soziale Medien können Protestierende im Iran auch international auf ihre Aktionen aufmerksam machen. © picture alliance / AA / Mert Alper Dervis
Freiheits- und Kontrollinstrument
17:36 Minuten
In Iran ist das Internet stark eingeschränkt, Instagram zum Beispiel nicht mehr erreichbar. Für eine Einschätzung, wie wichtig die sozialen Medien für die Protestbewegung sind, lohnt sich ein Blick zurück auf den "Arabischen Frühling".
Seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Jina Amini demonstrieren in Iran die Menschen gegen das Regime. Der Protest findet nicht nur auf der Straße statt. Viele vernetzen sich online, weshalb die iranische Regierung Internetsperren veranlasste. Im Iran zeigen sich viele Parallelen zum sogenannten “Arabischen Frühling”, wo die sozialen Netzwerke einen großen Einfluss auf die Ereignisse hatten.
Wichtige Rolle als Informationsinstrument
Allerdings war die Bedeutung des Internets für die damaligen Protestbewegungen nicht nur von Land zu Land unterschiedlich, sie wird heute auch anders bewertet: Mehrere Studien legen nahe, dass soziale Medien zwar eine wichtige Rolle bei der Informationsverbreitung spielten – insbesondere in westliche Länder hinein. Doch sie waren nicht die mobilisierende Kraft bei den Aufständen.
In Ägypten beispielsweise wuchs der Aktivismus aus einer langen Geschichte von Gewerkschaftsarbeit und Arbeiterprotesten, sagte die Politikwissenschaftlerin Dalia Fahmy gegenüber der Nachrichtenagentur Middle East Eye.
Zudem veränderte sich die Rolle des Internets im Laufe des „Arabischen Frühlings“: In vielen anderen Staaten ist das Internet inzwischen von einem Instrument der Freiheit zum Kontrollinstrument verkommen. Ein Regimewechsel sowie ein anhaltender Demokratisierungsprozess gelangen nur in Tunesien.
Überschätzte Rolle des Internets
„Aber damals war die Sicht auf das Internet noch viel positiver", erklärt der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Marcus Michaelsen, der zu Themen wie Internet-Zensur und Überwachung in autoritär regierten Ländern forscht. "Ihm wurde eine viel ursächlichere Wirkung zugeschrieben", weswegen die Proteste des „Arabischen Frühlings“ auch als „Facebook-Revolution“ bezeichnet werden.
„Die eigentlichen Ursachen der Aufstände wurden damit unterschlagen", sagt Michaelsen. "Heute sind wir da sicherlich weiter, weil sich auch unser Blick aufs Internet verändert hat. Wir wissen viel besser, dass es auch zur Überwachung, für politische Machtzwecke und zur Einschränkung von Freiheit eingesetzt werden kann.“
Warnungen per Messenger
Das Internet spielt bei aktuellen Protesten im Iran dennoch eine zentrale Rolle: Soziale Netzwerke und Messenger-Dienste sind wichtig für die Kommunikation der Protestierenden untereinander, zum Beispiel, um sich zu koordinieren, vor den Schlägertrupps der Regierung zu warnen, aber auch um die Motivation und den Zusammenhalt aufrechtzuerhalten.
„Wenn man sieht, dass viele andere genauso denken und sich trotz der Gewaltbereitschaft des Staates immer noch auf die Straße trauen, dann findet man vielleicht selbst wieder den Mut rauszugehen“, erklärt Michaelsen.
Bilder erzeugen Entrüstung
„Gleichzeitig erzeugen Bilder von dem brutalen Vorgehen gegen Demonstranten auch eine Form der Entrüstung innerhalb der Gesellschaft, fördern die Ablehnung des Regimes, sodass sich immer mehr Leute den Protesten anschließen“, sagt der Kommunikationswissenschaftler.
Die Iraner und Iranerinnen äußern sich über Twitter oder Facebook, auch Instagram ist sehr wichtig. Es war das letzte frei zugängliche Netzwerke, wurde nun aber auch gesperrt und ist nur noch über Umwege erreichbar.
Pressezensur und verhaftete Journalisten
Das Internet ist ebenfalls wichtig für Verbindungen außerhalb des Landes: um internationale Medien und die internationale Öffentlichkeit über die Ereignisse zu informieren. Denn momentan ist eine unabhängige Berichterstattung quasi nicht mehr möglich, lokale Journalisten werden reihenweise verhaftet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der Organisation "Reporter ohne Grenzen" belegt das Land Platz 178 von 180.
„Deswegen spielen die Bilder und Videos aus dem Internet eine wichtige Rolle, um Menschenrechtsvergehen der Regierung zu dokumentieren. Die iranische Regierung weiß all das natürlich und schränkt deshalb die Internetverbindung massiv ein“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Marcus Michaelsen.