Internetzeit von Kindern stärker regulieren
Schon im Kindergartenalter seien Kinder heute regelmäßig am Computer oder im Internet aktiv, sagt Rudolf Kammerl, Erziehungswissenschaftler der Universität Hamburg. Es liege hier auch an den Eltern, einen kompetenten Umgang mit Medien zu erlernen.
Katrin Heise: Es ist nicht nur, aber doch sicher zu großen Teilen eine Altersfrage, ob man ein Digital Native oder ein angelernter Internetnutzer ist. Die einen sind mit dem Internet aufgewachsen, fühlen sich im World Wide Web zuhause, die anderen, geboren vor dem Einzug des Computers in jeden Haushalt, haben die Vorteile des Internet schätzen gelernt, sehen aber auch viele Gefahren, zum Beispiel schon allein in zu intensiver Nutzung von Computer und Internet, vor allem, wenn es die eigenen Kinder betrifft. Im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg, da wollte man das mal genauer wissen und hat 1.744 Jugendliche zuhause besucht und sie und ihre Eltern befragt in der Studie "Exzessive Internetnutzung in Familien". Nicht zuletzt ging es auch um medienerzieherisches Handeln in den Familien. Schönen guten Tag an Professor Rudolf Kammerl!
Rudolf Kammerl: Ja, guten Tag!
Heise: Was ist denn jetzt eigentlich exzessive Internetnutzung? Das ist ja wahrscheinlich ein sehr weiter Begriff.
Kammerl: Genau, und vor allem gibt es natürlich da auch unterschiedliche Sichtweisen drauf. Sie haben es schon angesprochen: Eltern haben da vielleicht andere Kriterien als die Jugendlichen. Wir sprechen davon, wenn beide Teile, also Eltern und Jugendliche, die Internetnutzung des Heranwachsenden als übermäßig und problematisch einschätzen, und darüber hinaus noch Kriterien dazukommen, die aus der Suchtforschung stammen, wie zum Beispiel, dass es schwerfällt, die eigene Zeit zu regulieren, oder dass andere Bereiche stark vernachlässigt werden, wie zum Beispiel Schule oder das Familienleben.
Heise: Das heißt, es ist ein sehr variabler und auf die Person auch zugeschnittener Begriff, exzessiv. Das kann beim einen das und beim anderen das bedeuten.
Kammerl: Genau, da gibt es unterschiedliche subjektive Konzepte darüber, und gerade Eltern und Jugendliche unterscheiden sich da häufig in der Sichtweise.
Heise: Ja, stimmt denn das Klischee, dass die Probleme exzessiver Internetnutzung vor allem in bildungsfernen Schichten größer sind?
Kammerl: Meistens ist eine Halbwahrheit dran, tatsächlich gibt es eine überzufällige Häufung in bildungsferne Schichten. Aber die Probleme finden sich tatsächlich über alle Schichten hinweg und in allen gesellschaftlichen Milieus.
Heise: So, Sie haben ja gesagt, die Jugendlichen sehen das naturgemäß ganz anders, was exzessiv ist, als ihre Eltern. Sie haben 1.744 Haushalte befragt oder Familien befragt - was ist denn dabei rausgekommen? Wie sind die Jugendlichen exzessiv in ihrer Internetnutzung?
Kammerl: Ja, zunächst mal muss man sagen, dass in rund 70 Prozent aller Familien mit einem Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren kein Problem vorzuliegen scheint. Darüber hinaus gibt es aber eine Gruppe von ungefähr sechs Prozent, wo die Kriterien, die ich vorhin genannt habe, alle erfüllt sind, das heißt also, der Jugendliche selber gibt ein Problem an, aus der Perspektive der Suchtforschung scheint ein Problem vorzuliegen und die Eltern nehmen auch dieses Problem war. Da würden wir also von intersubjektiv feststellbaren Problemen mit exzessiver Medien- und Internetnutzung vor allem hier sprechen.
Heise: Woran merken die Eltern das?
Kammerl: Die merken das zum Beispiel dadurch, dass die schulischen Leistungen vernachlässigt werden, dass die Jugendlichen zum Teil dann auch in der Nacht aufstehen, um Computerspiele zu spielen oder in Foren aktiv zu sein, und dass sie vielleicht auch Hobbys, die sie bislang hatten, stark vernachlässigen, und unter anderem auch, dass natürlich es den Jugendlichen schwerzufallen scheint, tatsächlich auch die Zeit abzuschätzen, um selber die Tätigkeit aufzuhören.
Heise: Wie Sie gesagt haben, sehen Eltern das aber insgesamt doch auch problematischer als ihre Sprösslinge. Heißt das, Eltern übertreiben da in ihrer Sorge, oder sind die Jugendlichen da einfach nicht problembewusst?
Kammerl: Wir haben eine Gruppe bei den Eltern, ungefähr neun Prozent in allen Familien, die ein Problem wahrnehmen, wo es aber über den subjektiven Eindruck der Eltern hinaus jetzt keine weiteren Anhaltspunkte gibt, dass tatsächlich ein Problem vorliegt. Das heißt also, da sind also weder die Jugendlichen der Meinung, dass ein Problem vorliegt, aber auch aus Perspektive der Suchtforschung, was jetzt objektive wissenschaftliche Kriterien anbelangt, gibt es jetzt keine weiteren Anhaltspunkte, dass tatsächlich schon ein Problem manifestiert wäre. Das könnte jetzt natürlich sein, dass wir hier zum einen eine Gruppe haben von Eltern, die da zu kritisch sind, was die digitalen Medien anbelangt, sicherlich sind in der Gruppe aber auch Eltern möglicherweise enthalten, die recht sensible Wahrnehmung haben, die vielleicht also schon ein Problem erkennen, das vielleicht noch gar nicht so schwerwiegend ist.
Heise: Heißt das eigentlich, wenn die Probleme nicht so gravierend sind, dass auch kein Konfliktpotential in den Familien, was diese Frage angeht, drinsteckt? Weil ich nehme das eigentlich anders wahr.
Kammerl: Also Konfliktpotential steckt natürlich drin, da gibt es auch wieder Unterschiede bezogen auf die Familien beispielsweise. Wir haben natürlich Familien, in denen generell häufiger gestritten wird, und wir haben Familien, die harmonischer sind, da gibt es einen Zusammenhang, und zum anderen kommt es natürlich auch drauf an, wie stark das Problem ist, also wie häufig tatsächlich gestritten wird. Da gibt es auch große Unterschiede von Familien, wo es ab und zu mal vielleicht so eine Meinungsverschiedenheit gibt, und Familien, die berichten, dass täglich darüber gestritten wird.
Heise:Aber das ist die Minderheit, ja?
Kammerl: Das ist die Minderheit.
Heise: Würden Sie sagen, insgesamt kann man Entwarnung geben?
Kammerl: Na ja, also wir schlagen natürlich eine differenzierte Betrachtungsweise vor, also wollen wir das schon ernst nehmen. Also diese sechs Prozent sind zunächst mal eine kleine Zahl, aber andererseits gibt es offensichtlich massive Erziehungsprobleme, und man muss natürlich speziell für diese Familien auch Hilfen geben, also Erziehungshilfen, bis hin zu Fällen, die tatsächlich dann also suchtähnliches Verhalten zeigen, wo vielleicht eine Therapie angefragt ist, darüber hinaus gibt es aber natürlich einen großen Bedarf von Eltern, die berichten, sie sind einfach unsicher, was das Thema anbelangt. Und da ist natürlich auch Aufklärung zu leisten und vielleicht auch Material zu erstellen, wo man sich dann ein bisschen näher informieren kann, wann ein Problem vorliegt und wie sich so was entwickeln kann.
Heise: Also von Online-Exzessen kann nicht die Rede sein. Rudolf Heise, Medienpädagoge von der Uni Hamburg ist hier im "Radiofeuilleton" zu hören. Herr Heise, Sie haben gerade darüber gesprochen, dass die Familien aber doch unsicher sind, die Eltern unsicher sind. Wie kann denn also medienpädagogisch in Familien gehandelt werden? Also gehandelt, heißt das aushandeln, ist es das, größere Zeitkontingente erarbeiten, muss man damit wirken?
Kammerl: Ja, man muss da vor allem auch frühzeitig jetzt hier einsteigen in die Thematik. Es beginnt ja wesentlich früher, die Internetnutzung und Computernutzung, bei den meisten schon im Kindergartenalter, spätestens dann mit der Grundschule sind Kinder heute eigentlich regelmäßig am Computer oder auch im Internet unterwegs. Und ich muss da als Elternteil natürlich dazu beitragen, dass die da auch einen kompetenten Umgang erlernen, das heißt unter anderem auch, dass die erlernen müssen, eben so eine Zeit abzuschätzen oder auch abzuschätzen, ob tatsächlich der Computer, das Internet überhaupt das leistet, was ich von ihm erwarte. Das ist ja auch nicht immer der Fall. Das heißt aber bei den kleinen Kindern, dass man zum Beispiel eben auch mit Zeitfenstern arbeitet, die man zunächst mal dann als Elternteil noch stärker reguliert, und dann mit anwachsendem Alter würde man dann auch zum Beispiel ein Wochenbudget vielleicht vorschlagen können, das dann mit Bildschirmmedien verbracht werden kann. Und irgendwann geht man natürlich davon aus, dass Jugendliche dann ganz kompetent selber ihre Zeit auch reflektieren.
Heise: Ja, wobei man dieses Budget ja auch nicht unbedingt kontrollieren kann, man sitzt ja nicht immer daneben.
Kammerl: Genau, vor allem auch mit Smartphones ist das natürlich dann eine Entwicklung, wo es mal irgendwann unmöglich ist, das noch zu kontrollieren. Aber das sollte natürlich dann schon so weit entwickelt sein, dass ich sehe, ich kann es noch selbst kontrollieren, wenn eben die Jugendlichen dann auch mit diesen Geräten dann ständig im Netz sind. Und bei Kindern gibt es natürlich die Möglichkeit noch der Kontrolle.
Heise: Aber die Voraussetzung ist erst mal, dass sich auch die Eltern über ihre Mediennutzung klar werden, oder? Dass man eine gemeinsame Gesprächsbasis hat: Der eine weiß, wovon der andere spricht.
Kammerl: Genau, ganz wichtig. Also es kam auch in unserer Studie raus, dass gerade in den Familien, in denen ein massives Problem vorliegt, Eltern ihre Medienkompetenz generell auch geringer einschätzen, als Eltern in anderen Familien. Da scheint es offensichtlich schon einen Zusammenhang zu geben.
Heise: Der Datenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Edgar Wagner, der rief dieses Jahr zum Facebook-Fasten auf, also zum zeitweiligen Verzicht auf Facebook oder Internet. Was halten Sie davon?
Kammerl: Ja, Fasten ist ja zunächst mal ein Verzicht auf Genussmittel, und da muss man auch natürlich sehen, dass ein Teil der Internetnutzung heute, vor allem natürlich auch in der Erwachsenengeneration, vielleicht gar nicht so vom Genuss geprägt ist, sondern eine berufliche Notwendigkeit ist, das ist vielleicht noch mal ein eigenes Kapitel. Zum anderen, glaube ich, ist es auch eine gute Idee, dass man sich Gedanken drüber macht, wie man die Zeit, die Lebenszeit investiert, gerade auch im Bereich von Medien, und natürlich auch im Bereich von digitalen Medien, ob das tatsächlich jetzt ja wirklich eine gut angelegte Zeit ist oder ob man da vielleicht auch kontrollieren muss. Und wenn ich Kinder habe und Heranwachsende habe, die da regelmäßig drüber nachdenken, dann ist da, glaube ich, schon viel erreicht.
Heise: Rudolf Kammerl, Medienpädagoge der Universität Hamburg zur Internetnutzung Jugendlicher. Sein Fachbereich hat dazu eine große Befragung durchgeführt. Herr Kammerl, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Kammerl: Ja, ich danke Ihnen! Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rudolf Kammerl: Ja, guten Tag!
Heise: Was ist denn jetzt eigentlich exzessive Internetnutzung? Das ist ja wahrscheinlich ein sehr weiter Begriff.
Kammerl: Genau, und vor allem gibt es natürlich da auch unterschiedliche Sichtweisen drauf. Sie haben es schon angesprochen: Eltern haben da vielleicht andere Kriterien als die Jugendlichen. Wir sprechen davon, wenn beide Teile, also Eltern und Jugendliche, die Internetnutzung des Heranwachsenden als übermäßig und problematisch einschätzen, und darüber hinaus noch Kriterien dazukommen, die aus der Suchtforschung stammen, wie zum Beispiel, dass es schwerfällt, die eigene Zeit zu regulieren, oder dass andere Bereiche stark vernachlässigt werden, wie zum Beispiel Schule oder das Familienleben.
Heise: Das heißt, es ist ein sehr variabler und auf die Person auch zugeschnittener Begriff, exzessiv. Das kann beim einen das und beim anderen das bedeuten.
Kammerl: Genau, da gibt es unterschiedliche subjektive Konzepte darüber, und gerade Eltern und Jugendliche unterscheiden sich da häufig in der Sichtweise.
Heise: Ja, stimmt denn das Klischee, dass die Probleme exzessiver Internetnutzung vor allem in bildungsfernen Schichten größer sind?
Kammerl: Meistens ist eine Halbwahrheit dran, tatsächlich gibt es eine überzufällige Häufung in bildungsferne Schichten. Aber die Probleme finden sich tatsächlich über alle Schichten hinweg und in allen gesellschaftlichen Milieus.
Heise: So, Sie haben ja gesagt, die Jugendlichen sehen das naturgemäß ganz anders, was exzessiv ist, als ihre Eltern. Sie haben 1.744 Haushalte befragt oder Familien befragt - was ist denn dabei rausgekommen? Wie sind die Jugendlichen exzessiv in ihrer Internetnutzung?
Kammerl: Ja, zunächst mal muss man sagen, dass in rund 70 Prozent aller Familien mit einem Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren kein Problem vorzuliegen scheint. Darüber hinaus gibt es aber eine Gruppe von ungefähr sechs Prozent, wo die Kriterien, die ich vorhin genannt habe, alle erfüllt sind, das heißt also, der Jugendliche selber gibt ein Problem an, aus der Perspektive der Suchtforschung scheint ein Problem vorzuliegen und die Eltern nehmen auch dieses Problem war. Da würden wir also von intersubjektiv feststellbaren Problemen mit exzessiver Medien- und Internetnutzung vor allem hier sprechen.
Heise: Woran merken die Eltern das?
Kammerl: Die merken das zum Beispiel dadurch, dass die schulischen Leistungen vernachlässigt werden, dass die Jugendlichen zum Teil dann auch in der Nacht aufstehen, um Computerspiele zu spielen oder in Foren aktiv zu sein, und dass sie vielleicht auch Hobbys, die sie bislang hatten, stark vernachlässigen, und unter anderem auch, dass natürlich es den Jugendlichen schwerzufallen scheint, tatsächlich auch die Zeit abzuschätzen, um selber die Tätigkeit aufzuhören.
Heise: Wie Sie gesagt haben, sehen Eltern das aber insgesamt doch auch problematischer als ihre Sprösslinge. Heißt das, Eltern übertreiben da in ihrer Sorge, oder sind die Jugendlichen da einfach nicht problembewusst?
Kammerl: Wir haben eine Gruppe bei den Eltern, ungefähr neun Prozent in allen Familien, die ein Problem wahrnehmen, wo es aber über den subjektiven Eindruck der Eltern hinaus jetzt keine weiteren Anhaltspunkte gibt, dass tatsächlich ein Problem vorliegt. Das heißt also, da sind also weder die Jugendlichen der Meinung, dass ein Problem vorliegt, aber auch aus Perspektive der Suchtforschung, was jetzt objektive wissenschaftliche Kriterien anbelangt, gibt es jetzt keine weiteren Anhaltspunkte, dass tatsächlich schon ein Problem manifestiert wäre. Das könnte jetzt natürlich sein, dass wir hier zum einen eine Gruppe haben von Eltern, die da zu kritisch sind, was die digitalen Medien anbelangt, sicherlich sind in der Gruppe aber auch Eltern möglicherweise enthalten, die recht sensible Wahrnehmung haben, die vielleicht also schon ein Problem erkennen, das vielleicht noch gar nicht so schwerwiegend ist.
Heise: Heißt das eigentlich, wenn die Probleme nicht so gravierend sind, dass auch kein Konfliktpotential in den Familien, was diese Frage angeht, drinsteckt? Weil ich nehme das eigentlich anders wahr.
Kammerl: Also Konfliktpotential steckt natürlich drin, da gibt es auch wieder Unterschiede bezogen auf die Familien beispielsweise. Wir haben natürlich Familien, in denen generell häufiger gestritten wird, und wir haben Familien, die harmonischer sind, da gibt es einen Zusammenhang, und zum anderen kommt es natürlich auch drauf an, wie stark das Problem ist, also wie häufig tatsächlich gestritten wird. Da gibt es auch große Unterschiede von Familien, wo es ab und zu mal vielleicht so eine Meinungsverschiedenheit gibt, und Familien, die berichten, dass täglich darüber gestritten wird.
Heise:Aber das ist die Minderheit, ja?
Kammerl: Das ist die Minderheit.
Heise: Würden Sie sagen, insgesamt kann man Entwarnung geben?
Kammerl: Na ja, also wir schlagen natürlich eine differenzierte Betrachtungsweise vor, also wollen wir das schon ernst nehmen. Also diese sechs Prozent sind zunächst mal eine kleine Zahl, aber andererseits gibt es offensichtlich massive Erziehungsprobleme, und man muss natürlich speziell für diese Familien auch Hilfen geben, also Erziehungshilfen, bis hin zu Fällen, die tatsächlich dann also suchtähnliches Verhalten zeigen, wo vielleicht eine Therapie angefragt ist, darüber hinaus gibt es aber natürlich einen großen Bedarf von Eltern, die berichten, sie sind einfach unsicher, was das Thema anbelangt. Und da ist natürlich auch Aufklärung zu leisten und vielleicht auch Material zu erstellen, wo man sich dann ein bisschen näher informieren kann, wann ein Problem vorliegt und wie sich so was entwickeln kann.
Heise: Also von Online-Exzessen kann nicht die Rede sein. Rudolf Heise, Medienpädagoge von der Uni Hamburg ist hier im "Radiofeuilleton" zu hören. Herr Heise, Sie haben gerade darüber gesprochen, dass die Familien aber doch unsicher sind, die Eltern unsicher sind. Wie kann denn also medienpädagogisch in Familien gehandelt werden? Also gehandelt, heißt das aushandeln, ist es das, größere Zeitkontingente erarbeiten, muss man damit wirken?
Kammerl: Ja, man muss da vor allem auch frühzeitig jetzt hier einsteigen in die Thematik. Es beginnt ja wesentlich früher, die Internetnutzung und Computernutzung, bei den meisten schon im Kindergartenalter, spätestens dann mit der Grundschule sind Kinder heute eigentlich regelmäßig am Computer oder auch im Internet unterwegs. Und ich muss da als Elternteil natürlich dazu beitragen, dass die da auch einen kompetenten Umgang erlernen, das heißt unter anderem auch, dass die erlernen müssen, eben so eine Zeit abzuschätzen oder auch abzuschätzen, ob tatsächlich der Computer, das Internet überhaupt das leistet, was ich von ihm erwarte. Das ist ja auch nicht immer der Fall. Das heißt aber bei den kleinen Kindern, dass man zum Beispiel eben auch mit Zeitfenstern arbeitet, die man zunächst mal dann als Elternteil noch stärker reguliert, und dann mit anwachsendem Alter würde man dann auch zum Beispiel ein Wochenbudget vielleicht vorschlagen können, das dann mit Bildschirmmedien verbracht werden kann. Und irgendwann geht man natürlich davon aus, dass Jugendliche dann ganz kompetent selber ihre Zeit auch reflektieren.
Heise: Ja, wobei man dieses Budget ja auch nicht unbedingt kontrollieren kann, man sitzt ja nicht immer daneben.
Kammerl: Genau, vor allem auch mit Smartphones ist das natürlich dann eine Entwicklung, wo es mal irgendwann unmöglich ist, das noch zu kontrollieren. Aber das sollte natürlich dann schon so weit entwickelt sein, dass ich sehe, ich kann es noch selbst kontrollieren, wenn eben die Jugendlichen dann auch mit diesen Geräten dann ständig im Netz sind. Und bei Kindern gibt es natürlich die Möglichkeit noch der Kontrolle.
Heise: Aber die Voraussetzung ist erst mal, dass sich auch die Eltern über ihre Mediennutzung klar werden, oder? Dass man eine gemeinsame Gesprächsbasis hat: Der eine weiß, wovon der andere spricht.
Kammerl: Genau, ganz wichtig. Also es kam auch in unserer Studie raus, dass gerade in den Familien, in denen ein massives Problem vorliegt, Eltern ihre Medienkompetenz generell auch geringer einschätzen, als Eltern in anderen Familien. Da scheint es offensichtlich schon einen Zusammenhang zu geben.
Heise: Der Datenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Edgar Wagner, der rief dieses Jahr zum Facebook-Fasten auf, also zum zeitweiligen Verzicht auf Facebook oder Internet. Was halten Sie davon?
Kammerl: Ja, Fasten ist ja zunächst mal ein Verzicht auf Genussmittel, und da muss man auch natürlich sehen, dass ein Teil der Internetnutzung heute, vor allem natürlich auch in der Erwachsenengeneration, vielleicht gar nicht so vom Genuss geprägt ist, sondern eine berufliche Notwendigkeit ist, das ist vielleicht noch mal ein eigenes Kapitel. Zum anderen, glaube ich, ist es auch eine gute Idee, dass man sich Gedanken drüber macht, wie man die Zeit, die Lebenszeit investiert, gerade auch im Bereich von Medien, und natürlich auch im Bereich von digitalen Medien, ob das tatsächlich jetzt ja wirklich eine gut angelegte Zeit ist oder ob man da vielleicht auch kontrollieren muss. Und wenn ich Kinder habe und Heranwachsende habe, die da regelmäßig drüber nachdenken, dann ist da, glaube ich, schon viel erreicht.
Heise: Rudolf Kammerl, Medienpädagoge der Universität Hamburg zur Internetnutzung Jugendlicher. Sein Fachbereich hat dazu eine große Befragung durchgeführt. Herr Kammerl, ich danke Ihnen recht herzlich für dieses Gespräch!
Kammerl: Ja, ich danke Ihnen! Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.