Joni Mitchell: "Ich singe meine Sorgen und male mein Glück"
Gespräche mit Malka Marom
Aus dem kanadischen Englisch von Thomas Bodmer
Kampa Verlag, Zürich 2020
256 Seiten, 22 Euro
Ikonische Sängerin ganz ungefiltert
05:25 Minuten
Das Buch "Ich singe meine Sorgen und male mein Glück" beinhaltet Gespräche der kanadischen Ausnahmemusikerin Joni Mitchell mit der Journalistin Malka Marom aus vier Jahrzehnten. Die Offenheit Mitchells verblüfft - und ist bisweilen gar Marom zu viel.
"Ich fürchte mich vor Journalisten, sogar vor dir, und dabei bist du meine liebste Journalistin, und ich weiß, dass du mir gegenüber fair zu sein versuchst", heißt es in dem Buch "Ich singe meine Sorgen und male mein Glück" mit Gesprächen von Malka Marom mit Joni Mitchell.
Joni Mitchell hat ihre Furcht überwunden. In unterschiedlichsten Phasen ihres Lebens, über einen Zeitraum von 40 Jahren – von 1973 bis 2012 – gab sie Malka Marom über Tage hinweg lange Interviews, deren Intimität verblüfft. Was vor allem daran liegt, dass Marom über die Jahre eine enge Mitchell-Freundin wurde. Begegnet waren sich die beiden erstmals an einem kalten Novemberabend 1966 bei einem Café-Konzert in Toronto, bei dem Mitchell die Gitarre nach jedem Song neu stimmte.
"Ich habe nur zwei Songs in der gängigen Stimmung geschrieben", heißt es weiter in dem Buch. "Der eine ist ‚Urge For Going‘, der erste Song, der meiner Meinung nach etwas taugte. Viele meiner eigenen Stimmungen beruhen auf Suspended Chords. Ich kannte den Begriff damals noch nicht und nannte diese Akkorde deshalb Suchakkorde. Sie haben ein Fragezeichen in sich. Männer mögen sie deshalb nicht. Sie mögen Klarheit wie im richtigen Leben."
Eine klassische Mitchell-Antwort. Munter geht es hin und her zwischen musikalisch-handwerklichen Fragen und privaten Lebensweisheiten und Einsichten in den Gesprächen mit Marom. Mal geht es um die Entstehungsgeschichte von Songs und um die vielen Männern, die diese inspiriert haben. Mitchell spricht über Nietzsche und über den Buddhismus, über Umweltschutz oder über Licht- und Schattenseiten des Ruhms – aber auch über ihre Mutter, der sie zeitlebens nicht zu genügen schien:
"Irgendwann in ihren Achtzigern hat sie mir gesagt: Wir haben so viel Geld für deine Klavierstunden ausgegeben, und du hast es nicht durchgezogen. Ich hatte 15 Alben veröffentlicht. Es war lächerlich. Ich war in der Carnegie Hall aufgetreten. Ich habe nur gelacht."
Kreativer Output ihres Leids
Es war nicht zuletzt die schwierige Beziehung zur Mutter, die dazu beitrug, dass Joni Mitchell eine frühe Schwangerschaft verschwieg und ihr Kind zur Adoption gab. In den Interviews mit Malka Marom spricht sie über die Tragik ihres Lebens ähnlich sachlich wie in einem Fernsehinterview von 2013:
"Es war damals sehr verwirrend, eine junge Frau zu sein und zu entscheiden, was ist richtig. Die Pille gab es 1965 nicht, sodass viele uneheliche Kinder geboren wurden. Alle Heime waren voll. Es war schwer zu überleben. Ich war mittellos zu der Zeit, als ich sie bekam. Ich konnte sie nirgendwo hin mitnehmen."
Die emotionalen Minenfelder in ihrem Leben umschifft Joni Mitchell in den Interviews mit Malka Marom gern mit dem Verweis auf den kreativen Output ihres Leids.
"Unter dem Strich bin ich dankbar für alle Schwierigkeiten, die ich durchgemacht habe, wirklich: Rückblickend erkennst du, dass viel von dem Mist dein Schicksal verändert. Hätte ich keine Schwierigkeiten gehabt, hätte ich mich nicht der Musik gewidmet."
Die meist wohlwollenden, sanft nachhakenden Fragen von Malka Marom beantwortet Joni Mitchell mit dem Selbstbewusstsein einer Frau, die um ihre ikonische Wirkung weiß. Nicht wenig Eitelkeit schwingt mit, wenn sie ihren Einfluss speziell auf schwarze Musiker thematisiert, nicht nur auf ihren bekanntesten Verehrer Prince.
Man reibt sich dennoch verwundert die Augen, wenn sie ausgerechnet Billie Holiday und Nina Simone als Seelenverwandte bezeichnet. Letztere sei ihr aus Dank für einen Song um den Hals gefallen. "Wir haben sehr viel miteinander gemein. Warum sehen die Leute das nicht? Weil sie schwarz ist und ich weiß?"
Direktheit macht Qualität des Buches aus
Die vielen Verletzungen, die Trennungen, die Krankheiten in Joni Mitchells Leben haben Spuren hinterlassen. Harsch, fast verbittert klingt sie zuweilen – auch kleinlich, wenn sie sich ausführlich beschwert über ihr illoyales Hauspersonal oder über Menschen, die sich von ihr nur einladen lassen wollen. Selbst Malka Marom ist das manchmal zu viel, wenn sie ihre Verwunderung kundtut über Mitchells Offenheit, die sie "traurig mache". Und doch macht genau diese Direktheit die Qualität der Interview-Sammlung aus. Ihrer "liebsten Journalistin" zeigt sich Joni Mitchell ungefiltert.
"Stimmt schon, ich zensiere mich nach wie vor nicht. Vielleicht sollte ich ein besseres Unterscheidungsvermögen dafür entwickeln, was ich rauslassen kann und was nicht. Ich habe immer noch nicht das Gefühl, mich schützen zu müssen."