"Interview with the Vampire", sieben Folgen auf Englisch, auf AMC (USA), Staffel 2 ist in Arbeit. Starttermine bei anderen, deutschen Streamingdiensten stehen noch nicht fest.
Serie "Interview mit einem Vampir"
Politischer, kritischer, psychologischer als der Kinofilm: Die Neubearbeitung als Serie von "Interview with the Vampire" (mit Bailey Bass, Jacob Anderson und Sam Reid in den Hauptrollen) überzeugt Kritiker Stefan Mesch. © AMC/Alfonso Bresciani
Schwarz, queer, Vampir
05:46 Minuten
Rund 30 Jahre nach der Hollywood-Verfilmung läuft „Interview mit einem Vampir“ jetzt als Serie. Darin sind die beiden Vampire Louis und Lestat ein Paar, Themen wie Rassismus, Queerness und Gewalt in Partnerbeziehungen stehen im Fokus.
Tom Cruise als fieser Vampir und Verführer Lestat und Brad Pitt als melancholischer, vergrübelter Untoter mit Tötungshemmung: 1994 waren die beiden Stars das Dream-Team in "Interview mit einem Vampir", der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Anne Rice.
Jetzt ist eine Neuverfilmung zu besichtigen – als Serie beim US-Streamingdienst AMC. Und das, was Anne Rice in ihrer Romanvorlage nur andeutete und in dem Hollywoodfilm nur am Rande thematisiert wurde – Queerness und die Liebe und Begehren zwischen den beiden Hauptfiguren – steht jetzt im Mittelpunkt.
Politischer und psychologischer als der Roman
"Interview mit einem Vampir" ist kein schwuler Roman. Denn obwohl dort Männerpaare zusammenleben und sich körperlich und seelisch an einzelnen Stellen extrem nah sein wollen, fragt das 400-Seiten-Buch niemals: "Was bedeutet es für mein Selbstbild und für meine Stellung in der Gesellschaft, dass ich als Mann die Liebe eines Mannes suche?"
Diese Frage wird jetzt in einer neuen Serienversion in allen Varianten klug durchdacht und problematisiert: "Interview with the Vampire" ist politischer, kritischer, psychologischer und offen queerer als der Kultroman von Anne Rice, erschienen 1976.
Endlich verstehen sich zwei Vampire, die von Fans seit fast 50 Jahren meist als schwul verstanden (und gefeiert) wurden, auch selbst als queere Männer: Lestat (Sam Reid), geboren in Frankreich vor der Revolution, ist bisexuell. Der junge Unternehmer Louis (Jacob Anderson) lebt in New Orleans und will, anders als im Buch, Sex mit Männern, am liebsten mit Lestat.
Raubtier voll Lebenshunger
In bisher sieben Folgen zeigt die Serie, wie die Männer in New Orleans zusammenleben, wie Lestat Louis beißt und zum Vampir macht und, wie sie ein sterbendes Kind, die junge Claudia (Bailey Bass), unsterblich machen und bald überfordert sind mit Claudias Sinnsuche und nihilistischem Weltbild: Das Mädchen sieht sich als Raubtier voller Lebenshunger, die drei Figuren passen immer weniger zusammen.
Ein wichtiger Unterschied zur Buchvorlage ist der Zeitrahmen: Das Buch spielt im 19. Jahrhundert, Louis besitzt eine Plantage und hält Sklaven. Doch weil Anne Rice die Geschichte in fünf Wochen hastig und in vieler Hinsicht unüberlegt zu Papier brachte, sind Rassismus, Klassenfragen und Louis' Gewaltsamkeit und Unterdrücker-Sein gar kein Thema.
Die neue Serie spielt ab 1910, Louis führt Bars und Bordelle – und in der Serie sind Claudia und Louis schwarz, sie erfahren Rassismus, und immer wieder vergiften auch Frauenhass (gegen Claudia) und Queerfeindlichkeit (gegen Louis) Freundschaften und Zukunftschancen.
Die neue Vielfalt schadet der Geschichte nicht
Durch diese neue Vielfalt geht, verglichen mit Romanvorlage und Erstverfilmung, auf keinen Fall etwas verloren. Die Serie hat neben ihrer Machtkritik einen anderen Fokus: Dass Lestat Louis vor allem schadet, machte zwar schon das Buch überdeutlich.
Doch dort taucht später der Vampir Armand auf, und wer Motive der Romantik sucht, Schwulst, romantische Männerliebe und die Überhöhung eines Partners wie in viktorianischen "Gothic Horror"-Romanen, findet im Buch viele Romance-Klischees nach Schema F.
Staffel 1 der Serie dagegen handelt von Partnerschaftsgewalt, von Trauma, von falschen Erinnerungen und Hörigkeit. Das heißt nur auch: Wer in eine große schwule Liebesgeschichte investieren will, liegt damit in jeder Version falsch. Das Buch ist zu vage, der 90er-Jahre-Film blendet zu viel aus.
Und die aktuelle Serie ist intensiv, sexy, scharfsinnig und bohrend, doch zeigt sie Lestat als Täter und Louis als jemanden, dem es nie gelingt, sich selbst zu lieben.
Vampire und der Holocaust
Eine zweite Staffel soll im Zweiten Weltkrieg in Europa spielen. Die überragende Sorgfalt der Menschen vor und hinter der Kamera lässt hoffen: Sieben Folgen dieses Teams über Vampire und den Holocaust, das klingt unendlich viel besser als Anne Rices kaum halb fertige Gedanken zu Puppen, Sklaverei, Geschlecht und Gewalt.
Eine intensive, liebevolle, schwule Serie. Nur ein Paar, das man anfeuern kann, gibt es nicht. Denn bisher geht es um Gewalt statt Liebe.