Interview mit Yasmina Reza

"Schriftsteller sind Diebe"

Die französische Autorin Yasmina Reza
Die französische Autorin Yasmina Reza © dpa / pa / Peer Grimm
Moderation: Ute Welty |
Yasmina Reza ist die Meisterin der Beziehungsdramen. Im Interview verrät sie, wo sie die Ideen für die Charaktere in ihren Büchern hernimmt. Die Expertin für zwischenmenschliche Beziehungen gibt sich bescheiden: "Ich habe keine Botschaft."
Ihr neues Buch heißt "Babylon", und auch in diesem Text stehen erneut die zwischenmenschlichen Beziehungen im Fokus. Yasmina Reza ist mit Beziehungseskalationsdramen bekannt geworden, ihr "Gott des Gemetzels" wurde von Roman Polanski verfilmt.
Im Interview mit Deutschlandfunk Kultur beschreibt sich Reza als Schrifstellerin, die das Intime schätzt und das Allgemeine meidet. An ausufernden Landschaftsbeschreibungen oder der Darstellung einer Epoche sei sie nicht interessiert, betonte sie.
Geschichten und Charaktere sammelt sie in ihrem Alltag zusammen. Der Anteil dessen, was sie aus ihrem eigenen Leben nehme, sei sehr groß, sagte Reza. Viele kleine Details, die sie beobachtet, helfen ihr, die "Figuren dichter wirken zu lassen". Ihr Fazit: "Schriftsteller sind Diebe."
Reza gibt kaum Interviews und möchte auch nicht "Handelsvertreterin in eigener Sache" sein. Ihre Bücher müssten für sich sprechen, so die Autorin. Jenseits dessen habe sie nichts zu sagen. "Ich werde Sie vielleicht enttäuschen, aber ich habe wirklich keinerlei, aber auch gar keine Botschaft." (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Ute Welty: Ein Bild, ein Käse, eine Schulhofkeilerei, und jetzt ist es ein Bio-Huhn – man möchte es kaum für möglich halten, aber jeder weiß es im Grunde genommen, dass solche Kleinigkeiten Beziehungen scheitern lassen.
Yasmina Reza macht aus diesen Kleinigkeiten große Bücher wie zum Beispiel "Der Gott des Gemetzels". Ihr neues Buch "Babylon" hat Yasmina Reza gerade auf dem internationalen Literaturfestival in Berlin vorgestellt und sie wird auch zu Gast sein im Oktober in Frankfurt, denn Frankreich ist Gastland der diesjährigen Buchmesse.
Ich habe Yasmina Reza zusammen mit Caroline Elias getroffen, die für uns übersetzt hat, und wir mussten uns erst ein bisschen sortieren: Zum einen was die Technik angeht, zum anderen auch, weil es durchaus unterschiedliche Definitionen des Begriffs Beziehung gibt! – Madame Reza, bienvenue au "Studio 9"!
Yasmina Reza: Merci!
Welty: "Der Gott des Gemetzels" hat ohne Zweifel Maßstäbe gesetzt, was das Genre des Beziehungsromans angeht. Warum ein weiteres Buch, was sich im weitesten Sinne um dieses Thema dreht? Was wollten Sie unbedingt noch erzählen?

"Ich bin ein wenig überrascht"

Reza: Ich bin ein wenig überrascht über diese Frage, weil mein vorhergehendes Buch, was ich in der Zwischenzeit, zwischen dem "Gott des Gemetzels" und dem jetzigen geschrieben habe, "Heureux les heureux", da geht es ja sehr viel stärker um eine Beziehungsgeschichte, um ein Paar. Und ich finde es interessant, dass alle immer wieder jetzt in dem neuen Buch schon wieder das Paarthema als Hauptthema identifizieren.
Welty: Können Sie sich erklären, warum das so ist?
Reza: Nein, das kann ich nicht, denn Sie haben das ja gerade vorgebracht!
Welty: Ich bin aber nicht die Einzige!
Reza: Ja, ich finde das sehr interessant, denn in Frankreich war die Rezeption auch nicht so, da wurde auch nicht ständig auf das Paar abgehoben. Und natürlich gibt es da zwei Paare im Buch, das stimmt. Aber der Fokus liegt doch viel stärker auf den Nachbarn, na ja, die eben als Haushalte, würde man sagen, zusammenleben. Aber die Freundschaft zwischen jemandem aus dem vierten Stock und aus dem fünften Stock scheint mir doch im Vordergrund zu stehen. Für mich ist es ein Buch, das vor allem von Freundschaft handelt und nicht so sehr von Paaren.
Welty: Wobei man natürlich Freundschaft auch als eine Art Beziehung definieren kann. Es ist ja auch eine Beziehung zwischen zwei Menschen. Es ist keine Paarbeziehung, aber es ist eine Beziehung.
Reza: Ja, das stimmt schon durchaus. In sehr vielen Büchern, in sehr vielen Werken, die ich veröffentlicht habe, geht es durchaus um eine Zweierbeziehung.

Am Ende sind es immer zwei

Das mag mal eine Dreiecksbeziehung gewesen sein oder es waren vier, aber am Ende, im Wesentlichen sind immer zwei daran beteiligt. Und ich gehöre nun zu der Gruppe der Schriftsteller, die jetzt nicht groß daran interessiert sind, in ausufernden Landschaftsbeschreibungen oder Darstellungen der Epoche oder sonstigen Allgemeinheiten sich zu ergehen, ich interessiere mich viel stärker – oder vielleicht kann ich es auch einfach nicht anders, das müssen andere beurteilen – für die eher intimeren Darstellungen.
Welty: Wenn Sie über Menschen schreiben, wenn Sie die Figuren für ihre Bücher entwickeln: Woher nehmen Sie Ihre Inspiration? Welche Beobachtungen aus dem persönlichen Umfeld vielleicht auch fließen da ein?
Reza: Also, der Anteil dessen, was ich aus dem eigenen Leben nehme, ist sehr groß. Sowohl metaphorische Bezeichnungen dessen, was ich mache, wie ich arbeite, aber auch ganz aktuell, so wie ich eben Dinge zusammenstelle, wie ich Sachen auseinandernehme, wie ich Dinge beobachte, meiner Umgebung stehle. Aber auch nicht nur meiner direkten Umgebung, auch vielen Begegnungen des Alltags entnehme ich sehr viel.
Und da ich doch Details überaus liebe, kann es sehr gut sein, dass ich mir eben sehr viele Dinge aufschreibe, mich sehr viele Dinge letztendlich inspirieren. Das kann etwas sein, wie jemand ausschaut, wie jemand in einer besonderen Art und Weise Sprache verwendet, wie jemand sich verhält oder dergleichen mehr.

Verliebt in Details

Und alle diese Punkte helfen mir dann, meine Figuren, die ich danach schreibe, dichter werden zu lassen. Das sind natürlich alles Personen und Figuren, die künstlich sind. Es gibt durchaus am Ende ein nicht mehr zu entwirrendes Kompositum aus verschiedensten Elementen, die meine Figuren am Ende ausmachen.
Welty: Wobei, wenn man sich die Konstellation anschaut, die Sie jetzt entworfen haben, da bekommt man ja schon auch ein bisschen Angst und fragt sich: Auf welche Partys geht diese Frau eigentlich?
Reza: Ja, Sie haben da zu Recht Angst, denn Schriftsteller sind Diebe! Und die Szene, wie die Dolmetscherin gerade mit dem Mikrofon und ihrer Brille gekämpft hat, das sind so kleine Momente, da kann ich sagen: So was inspiriert mich, so was könnte sich in einem der nächsten Bücher wiederfinden!
Aber der Abend, auf den Sie da anspielen, das war ja doch eine relativ allgemeine Beschreibung. Ich selbst gehe relativ wenig mit Menschen weg, solche großen Ansammlungen von Menschen meide ich inzwischen, ich treffe Leute eher in kleineren Dosen. Aber wir alle kennen solche Art von Abenden, wir alle haben sie erlebt und wir wissen auch, wie sie strukturiert sind.

Eine Party ähnelt der nächsten

Diese Abende ähneln sich dann letztendlich. Es finden sich Leute zusammen, die sich mehr oder weniger gut kennen, die dann zufällig nebeneinander auf einer Bank sitzen, den Teller auf den Knien balancieren und mehr oder weniger gute Sachen essen und über die letzten Ferien sprechen.
Also, das ist alles etwas, was wir kennen. Ich hatte aber auch ein bisschen die Sorge dabei, dass ich da zu viel bringe und dass ich letztendlich den Faden verliere und dem Leser zu viel an Details zumute. Ich will den Leser ja auch nicht in Details ertränken.
Welty: Empfinden Sie diese Zeit, in der wir leben und in der die Menschen miteinander umgehen, ob jetzt als Nachbarn, als Freunde oder als Paare, empfinden Sie diese Zeit als zunehmend kompliziert für die verschiedenen Arten von Beziehungen unter Menschen?
Reza: Ja, ich empfinde diese Epoche vor allem als unverständlich und irgendwie auch unbenennbar, weil alles möglich ist. Alle Stile sind heute quasi Mode, entsprechen dem Zeitgeschmack. Und unsere Epoche erlebt eine Geschwindigkeit, die noch nie vorher irgendwo mal stattgefunden hat.

Keine Zeit mehr für Sinn

Und die Dinge haben auch gar keine Zeit mehr, irgendeinen Sinn zu bekommen, oder wir nehmen uns keine Zeit mehr, den Dingen ihren Sinn zuzuschreiben.
Wir sind ständig dabei, uns an Werte zu erinnern, aber auch letztendlich in einer schrecklichen Art und Weise, ohne dass das irgendwelche Erfolge zeitigen würde. Und ich erlebe diese Epoche als irrsinnig unscharf, ich habe große Schwierigkeiten, sie wirklich wahrzunehmen, sie zu sehen und sie auch letztendlich als etwas Kohärentes zu empfinden. Nein, diese Epoche ist nicht kohärent.
Welty: Erleben Sie auch so etwas wie einen Rückzug ins Private, weil die Welt da draußen eben so schnell geworden ist und die Politik eben auch so kompliziert und so vielfältig geworden ist?
Reza: Ja, darauf kann ich nicht einfach so antworten, denn ich bin keine Soziologin und ich bin ja nicht mal eine objektive Beobachterin unserer Zeit. Ich sage immer, dass Schriftsteller keine Intellektuellen sind, die mit der Ratio ihre Umwelt beobachten und dann alles wunderbar beschreiben.
Nein, ich bin da sehr subjektiv. Und aus meiner subjektiven Beobachtung erlebe ich schon diesen Rückzug, dieses Cocooning überall. Aber ich glaube auch, dass wir gar nicht heutzutage Beziehungen in großer Anzahl leben, sondern dass das Wesentliche in der Qualität, in der kleinen, in der vertieften Art und Weise des Lebens miteinander liegt. Und das ist meine Empfindung. Ob das mit der Epoche zusammenhängt, das kann ich wirklich nicht sagen.
Welty: Sie sind jetzt zu Besuch in Berlin, Sie werden zu Gast sein auf der Buchmesse in Frankfurt am Main, wo Frankreich das Gastland ist. Da kommt Ihnen natürlich als öffentliche Person auch eine repräsentative Rolle zu. Wie möchten Sie die definieren, was ist Ihnen wichtig?

"Ich hasse Autogrammstunden"

Reza: Ja, ich bin nur heute in Berlin und am Abend natürlich. Und genauso wird es sich in Frankfurt verhalten, da komme ich auch nur einen Abend zu einer Publikumslesung. Und ich mache nicht, was viele Schriftsteller machen, das heißt Diskussionen, regelmäßig mit Journalisten viele Gespräche führen, Autogrammstunden und Ähnliches, das mache ich eigentlich nie. Ich hasse das sogar.
Ich möchte ungern Handelsvertreterin in eigener Sache sein und ich muss das auch gar nicht, da bin ich sehr glücklich. Ich kann mich also sehr zurückhalten, ich kann diskret sein, ich gebe keine Fernsehinterviews, ich bin mit der Presse auch sehr zurückhaltend, und natürlich wie hier jetzt ab und zu mal Radio, das durchaus schon.
Aber ich bin eben der Meinung, dass ich absolut nichts zu sagen habe jenseits der Bücher und Stücke, die müssen für sich sprechen. Und ich habe auch keine Stimme jenseits dessen, was ich da als literarische Autorin von mir gebe.

"Ich habe keinerlei Botschaft"

Und natürlich kommen dann die Verleger und sagen, sie hätten mich gerne eingeladen und nach hier oder nach dort verbracht und das Publikum ist auch zufrieden, das bekomme ich ja durchaus auch alles mit und ich mache dann auch gerne mal da ein wenig mit und fahre dahin, aber ich werde Sie vielleicht enttäuschen, ich habe wirklich keinerlei, aber auch gar keine Botschaft, die ich irgendwie zu überbringen hätte!
Welty: Und was für keine Botschaft! Yasmina Reza im exklusiven "Studio 9"-Gespräch. Ihr neues Buch heißt "Babylon", übersetzt von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel, die 224 Seiten sind bei Hanser erschienen und kosten 22 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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