Srđan Dragojević über "Der Schein trügt"

"Göttliche Gnade erreichen nur Verrückte"

10:58 Minuten
Filmszene mit dem Hauptdarsteller Goran Navojec aus "Der Schein trügt", Regie: Srdan Dragojevic, 2021.
Wir alles noch schlimmer werden? Goran Navojec in "Der Schein trügt" von Srđan Dragojević © Neue Visionen
Srđan Dragojević im Gespräch mit Patrick Wellinski · 11.12.2021
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In seinem Film "Der Schein trügt" setzt sich Srđan Dragojević mit den großen Fragen des Seins auseinander. Gibt es einen Gott? Wie sieht Gerechtigkeit aus? Im Interview verrät der Filmemacher, was teuflisch ist an der Idee von Kunst.
Patrick Wellinski: Glauben Sie an Wunder?
Srđan Dragojević: Ich glaube an das Wunder der Kunst. Ich glaube daran, dass Kunst einen selbst und die Gesellschaft verändern kann. Ich glaube auch an das Wunder der Liebe. Aber wenn es um die Wunder in meinem Film geht, dann muss ich sagen, dass es sich um sogenannte McGuffins handelt; also um Symbole, die ganz konkrete gesellschaftliche Probleme darstellen sollen.
Der Film spielt in einem nicht konkret benannten osteuropäischen Land, in dem die Bevölkerung plötzlich lernen muss, nach 50 Jahren Staatskommunismus christlich zu leben. Dieser Lernprozess ist häufig lustig und skurril, weil die Bevölkerung unterschiedliche Rituale mischt. Das ist natürlich als Filmthema heikel, weil es gewisse religiöse Gefühle angreifen könnte. Aber wissen Sie: Meine Schwester ist eine orthodoxe Nonne. Ich gab ihr das Drehbuch, weil ich an ihrer Meinung interessiert war. Sie sagte mir: „Das ist ein sehr christlicher Film. Es gibt nichts Blasphemisches. Du sprichst von Hoffnung und Glaube in einem sehr ernsten und christlichen Sinn." Sie nannte den Film eine christliche Komödie, ich war über ihr Urteil sehr erleichtert.
Ich habe den Film auch katholischen und orthodoxen Bischöfen gezeigt. Auch sie fanden ihn gut. Also kann man sowohl gläubig sein als auch einen Sinn für Humor besitzen. Das fand ich beruhigend. Es gibt aber auch sehr viele politische Metaphern im Film. Diese wurden von unterschiedlichen Gruppen bislang akzeptiert, was mich sehr freut.

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Patrick Wellinski: Das ist interessant, weil sie moralisch durchaus provokante Ideen in den Raum stellen. In der ersten Episode lernen wir einen Mann kennen, der einen Heiligenschein plötzlich über dem Kopf hat. Um ihn endlich loszuwerden, beginnt er zu sündigen. Er ist erfolgreich. Ist die Sünde der Weg zum Erfolg?
Srđan Dragojević: Ja, das haben Sie gut erkannt. Es bringt uns aber wieder zurück zur Doppeldeutigkeit von Wundern. Denn die Frage ist: Woher wissen wir denn, ob ein Wunder ein Zeichen Gottes ist oder nicht eine Verführung Satans? Hier wird das Gedankenspiel im Film interessant. Wir wissen es einfach nicht.
Das Helle und Dunkle, diese Dualität existiert in uns allen. Mich als Geschichtenerzähler interessiert das. Darum geht es in der ersten Episode des Films.
In der dritten Episode geht es um die - für mich dann eher teuflische - Idee von Kunst als Nahrung. Allein der Anspruch, der an Künstler gestellt wird, ist höllisch. Nur Kunst, die Nahrung für die Seele ist, ist gute Kunst. Der Gedanke quält mich selbst. Dies ist mein neunter Spielfilm. Manche meiner Filme waren Publikumshits. Dann frage ich mich: Warum ist das so? Mache ich "nur" Unterhaltung? Ist das nicht kunstfertig genug? Mache ich etwas falsch?
Auf der anderen Seite will ich mich mit der letzten Episode meines Films auch über das Konzept der sogenannten Kreativindustrie lustig machen. Allein schon der Begriff ist eine pure Erfindung eines neoliberalen Zeitgeists, der Kunst nur dann als erfolgreich bezeichnet, wenn sie Geld macht. Das ist Schwachsinn.
Aber das Konzept hat sich durchgesetzt. Ich muss mich auch ständig fragen: Für wen mache ich den Film. Für mich? Für die Produzenten oder für die Förderanstalten? Es ist die Hölle. Deshalb habe ich die Episode auch in einer nicht allzu fernen Zukunft angesiedelt, weil ich denke, es wird noch schlimmer werden.
Filmszene mit dem Hauptdarsteller Goran Navojec aus "Der Schein trügt", Regie: Srđan Dragojević, 2021.
Das Helle und Dunkle, diese Dualität existiert in uns allen, sagt Srđan Dragojević. Genau darum gehe es ihm in "Der Schein trügt".© Neue Visionen
Patrick Wellinski: Das ist sehr pessimistisch.
Srđan Dragojević: Das sehe ich anders. Wieso denn pessimistisch? Für mich handelt der Film darüber, ob wir Gott erreichen können. Es geht um eine Opferbereitschaft. Wie kann ich göttliche Gnade erfahren? Was sind die Wege dahin?
Ich denke, dass es über eine pure Reinheit geht. Aber das erreichen nur Verrückte. Alle anderen merken schnell, dass wir etwas opfern müssen, um diesen Zustand des Guten oder Göttlichen zu erreichen. Daher denke ich nicht, dass es eine pessimistische Haltung ist.
Patrick Wellinski: Aber können wir diesen Zustand wirklich erreichen ohne die Vorgaben der Ideologien, die sie uns vermitteln? Ich meine, Sie haben es erklärt, dass das Christentum in ihrem Film den Kommunismus ablöst. Eine Ideologie löst die andere ab. Können wir dem überhaupt entkommen?

Srđan Dragojević: Ideologien sind die Mauern, in denen wir leben. Ich versuche dem aber nicht, aus dem Weg zu gehen. In meinem Film kritisiere ich die Auswüchse der modernen Gesellschaft: die Geldgier, den ständigen Konsumismus, die flache Unterhaltungsindustrie, die Unterforderung durch die Medien. Das sind alles Dinge, die ich auch im Blick habe.
Es muss aber auch in dieser Welt spirituelle Momente geben, die auf etwas Größeres verweisen. Vielleicht passiert es, wenn man ein abstraktes Gemälde betrachtet und man sich plötzlich fragen muss, ob wir nicht nur einer dieser Punkte sind in einem größeren, göttlichen Plan.

Ich würde von mir behaupten, dass ich ein extrem linker Regisseur bin. Vielleicht würde ich mich einen christlichen Marxisten nennen.

Srđan Dragojević, Regisseur

Aber vielleicht liegt es an mir selbst: Ich bin jetzt in meinen 50ern und habe schon viele Filme über unterschiedliche Themen gemacht: Kriminalität und über LGBTQ-Rechte. Jetzt bin ich in einer Phase, in der ich mir andere Fragen stelle, Fragen über Gott und Religion. Bin ich nur ein Punkt auf diesem abstrakten Gemälde des Lebens? Gilt das auch für meine Filme?
Patrick Wellinski: Für Ihre Filme gilt, dass sie visuell immer sehr unterschiedlich sind. Das gilt auch für „Der Schein trügt“. Wie haben sie den Stil der unterschiedlichen Episoden erarbeitet?
Srđan Dragojević: Alle Episoden sind anders gestaltet. Man könnte sagen, der Stil ist sehr eklektisch. Das war mir wichtig. Ich wollte unterschiedliche Formen zusammenfügen, seien es Genres oder Erzähltempi. Ich habe Psychologie studiert und sogar eine Zeit lang als Therapeut gearbeitet. Deshalb probiere ich, meine Erfahrung und mein Wissen aus dem Bereich der Psychoanalyse für meine Filme zu verwenden. Ich will - in einem positiven Sinne - das Publikum manipulieren, ihre Aufmerksamkeit beeinflussen.
Die erste Episode zum Beispiel sollte ausufernd und deftig sein, wie eine klassische italienische Komödie. Die zweite Geschichte handelt von Machtmissbrauch, Strafe und Verbrechen. Deshalb ist alles wesentlich düsterer und kälter gefilmt. Schließlich, die dritte Episode, handelt von Kunst. Deshalb ist sie wärmer, expressiver. Sie unterscheidet sich daher auch vom serbischen Kino allgemein.
Wissen Sie, wir machen keine Filme über Kunst und Künstler. Unser Kino scheint sich nur für Gangster und die Mafia zu interessieren. Ich versteh das nicht. Ich habe auch mal so einen Film gemacht und im Zuge der Recherche einige Mafiosi getroffen. Der einzige Gedanke, den ich hatte, war: Diese Menschen sind absolut uninteressant. Sie sind banal. Wozu Geschichten über sie erzählen? Es ist traurig, dass sich meine Regiekollegen mehr für diese prosaischen Gangster interessieren und nicht für ihre eigenen Kollegen.
Es gibt also eine Lücke, die ich mit diesem Film füllen wollte: Warum entsteht Kunst? Können wir etwas Schaffen, nur aufgrund eines reinen Schaffensdrangs oder muss es immer schon ein Teil einer Industrie sein?
Patrick Wellinski: Das ist aber eine politische Haltung. Entweder Kunst aus reinem Kunstwillen produzieren oder Dinge ansprechen und thematisieren, die die Öffentlichkeit bewegen oder bewegen sollten?
Srđan Dragojević: In gewisser Weise haben Sie recht. Ich würde von mir behaupten, dass ich ein extrem linker Regisseur bin. Vielleicht würde ich mich einen christlichen Marxisten nennen.
Patrick Wellinski: Wie Pasolini?
Srđan Dragojević: Genau, wie Pasolini. Ich glaube immer noch daran, dass Kunst die Gesellschaft ändern kann. Nicht mehr so enorm wie es damals Pasolini, Costa-Gavras oder Fellini mit ihren Filmen gelang. Das passiert so nicht mehr.
Meiner Meinung nach liegt es daran, dass die sozialen Medien die Bedeutung des Kinos einfach dezimiert haben. Ich habe den Film "Parade" gemacht. Dieser Film hat viele Menschen in homophoben Gesellschaften berührt und zum Umdenken bewegt. In dem Film geht es um eine Regenbogen-Parade, die verboten werden soll und sich eine Schutzkolonne von rechtsradikalen Schlägern organisiert.
Nach der Vorstellung des Films auf der Berlinale, sagte ein Zuschauer, dass er aus Bosnien fliehen musste, weil er schwul ist und seine Familie den Kontakt zu ihm abbrach. Nachdem seine Familie „Parade“ gesehen hat, rief ihn der Vater an und sagte, dass er ihn jetzt verstehe und ihn liebe. Solche Geschichten sind für mich der wahre Lohn meiner Arbeit. Da bekommt die ganze Qual, der man sich als Regisseur aussetzt, eine Bedeutung. So was macht mich stolz.
Filme können vielleicht keine ganzen Gesellschaften ändern, aber jeden Einzelnen, der sie sieht. Das ist eine große Kraft. Ich hoffe, dass mein aktueller Film „Der Schein trügt“ auch einige Menschen beeinflussen kann. Ich weiß aber noch nicht, in welche Richtung das sein wird. Die meisten Aspekte des Films probieren das Publikum davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, ein guter Mensch zu sein. Das ist nicht das Schlechteste.

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