"Wie wollen Sie die Nachfrage verbieten?"
In Frankreich sollen Freier künftig bestraft werden, in Deutschland fordert Alice Schwarzer die Abschaffung der Prostitution. Das hält Beate Leopold vom Nürnberger Beratungsprojekt "Opera" für unrealistisch.
Frank Meyer: In Frankreich wird morgen ein Gesetz zur Abschaffung der Prostitution in die Nationalversammlung eingebracht. Wer dort in Zukunft zu Prostituierten geht, der soll bis zu 1.500 Euro Strafe zahlen müssen. In Deutschland war eine Änderung des Prostitutionsgesetzes Thema bei den Koalitionsverhandlungen, und nicht nur dort wurde in den letzten Tagen und Wochen über Prostitution gestritten: Maria Furtwängler, Senta Berger, Heiner Geißler – eine ganze Reihe von Prominenten hat sich auch bei uns für die Abschaffung der Prostitution eingesetzt, angeführt von Alice Schwarzer.
Zwangsprostitution, die ist illegal bei uns, das ist klar, aber was ist mit der legalen Prostitution, wenn Frauen freiwillig Sexarbeiterin sind, und gibt es das überhaupt, dass Frauen tatsächlich freiwillig Prostituierte sind? Darüber sprechen wir jetzt mit Beate Leopold. Sie hat sich wissenschaftlich mit Prostitution beschäftigt und sie leitet ein Modellprojekt in Nürnberg, bei dem Prostituierte beraten werden, wenn sie etwa den Beruf wechseln wollen. Seien Sie herzlich Willkommen, Frau Leopold!
Beate Leopold: Ja, guten Tag!
Meyer: Wie haben Sie das erfahren – gibt es Frauen, die tatsächlich aus ganz freien Stücken als Prostituierte arbeiten?
Leopold: Also wir beim Modellprojekt "Opera" in Nürnberg und auch in der Beratungsstelle "Kassandra" haben eigentlich zu 99 Prozent nur mit Klientinnen zu tun, die sich freiwillig entschieden haben, im Sexgewerbe zu arbeiten. Das wird sicherlich beim Klientenkreis der Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel anders aussehen. Wir haben jedoch im Modellprojekt mittlerweile über 100 Klientinnen, und die Kolleginnen der Beratungsstelle haben im Jahr zu über 1000 Sexarbeiterinnen im Raum Nürnberg Kontakt, und die Fälle, wo doch ein erkennbarer Druck von außen zu verzeichnen ist, sind an einer Hand abzuzählen.
Meyer: Kein Druck von außen, sagen Sie. Was ist mit ökonomischem Zwang, dass Frauen auf anderem Wege kein Geld verdienen können und deshalb in die Prostitution gehen? Zählt das für Sie auch als freiwillig?
Leopold: Ja, ein ökonomischer Zwang, dem sind wir ja alle ausgesetzt. Ich glaube, die Wenigsten von uns sind in der Lage, nur aus reiner Liebe zur Arbeit arbeiten zu gehen. Die meisten wählen doch einen Beruf, um sich zu ernähren. Auch bei den Frauen, die die Tätigkeit im Sexgewerbe wählen, sind natürlich vorrangig finanzielle Hintergründe zu verzeichnen. Aber ich würde, auch wenn es eine sehr prekäre finanzielle Situation ist, in dem Kontext wirklich nicht von einem Zwang sprechen, weil – ich habe doch die Entscheidungsfreiheit, ob ich beispielsweise Schulden durch vermehrte Tätigkeiten oder durch einen Zweitjob oder durch eine Arbeit auch mit einem weniger qualifizierten Hintergrund ausübe, ob ich mich zu Aldi an die Kasse setze, oder ob ich in der Sexbranche arbeite, wo die Verdienstmöglichkeiten natürlich eindeutig höher sind.
Meyer: Und die Frauen, mit denen Sie sprechen, die sagen das auch so – 'Ja, ich möchte Prostituierte sein, das ist meine freie Entscheidung'?
Leopold: Also wir im Modellprojekt haben ja überwiegend mit den Frauen zu tun, die sich beruflich neu umorientieren möchten. Die haben, wie gesagt, zu 99 Prozent sich dafür entschieden vor unterschiedlich langer Zeit, in diesem Bereich zu arbeiten, und entscheiden sich jetzt aus unterschiedlichen Gründen dazu, einen neuen beruflichen Weg einzuschlagen. Und auch bei den Kolleginnen der Beratungsstelle sieht das Bild vergleichbar aus.
Freiwilligkeit differenziert betrachten
Meyer: Es ist immer schwierig, Zahlen zu bekommen über diesen Bereich Prostitution in Deutschland.
Leopold: Ja.
Meyer: Da ist vieles im Dunkeln. Aber was würden Sie schätzen, das, worüber wir jetzt reden, freiwillige Prostitution – wie hoch ist der Anteil der Freiwilligen in diesem ganzen Gewerbe?
Leopold: Oh, dieses ganze Gewerbe – da kommt es drauf an, was Sie da alles drunter fassen. Das ganze Gewerbe ist ja sehr, sehr vielschichtig und differenziert zu betrachten. Also wenn man jetzt beispielsweise den Bereich der Drogenprostitution reinnimmt, da würde ich das Thema Freiwilligkeit noch mal ein bisschen differenzierter betrachten. Und überhaupt ist es mit Zahlen sehr, sehr schwierig. Man weiß einfach nicht genau, wie viele Frauen in Deutschland überhaupt – oder auch Männer – der Prostitution nachgehen.
Meyer: Ich mache es mal anders herum. Alice Schwarzer sagt ja zum Beispiel: Der überwiegende Anteil von Prostituierten in Deutschland sind Zwangsprostituierte. Stimmen Sie ihr da zu?
Leopold: Nein, natürlich nicht. Also mich würde sehr interessieren, wie Frau Schwarzer zu dieser Aussage kommt. Wie gesagt, aus meinen Erfahrungen im langjährigen Kontakt und wissenschaftlichen Arbeit auch zu dem Thema kann ich das nicht bestätigen, und aus der praktischen Erfahrung erst recht nicht. Also wie gesagt, wir sind vielleicht in den letzten Jahren mit einer Hand voll Klientinnen konfrontiert worden, wo das anzuzweifeln wäre.
Meyer: Könnte es auch daran liegen, dass diese Frauen sich bei Ihnen nicht melden, weil Sie nicht der richtige Ansprechpartner für diese Frauen sind, die unter Druck stehen, die unter Zwang in die Prostitution gebracht wurden?
Leopold: Na ja, wir sitzen ja nicht nur hier am Schreibtisch und warten darauf, dass die kommen. Die Kolleginnen machen ja eine sehr ausführliche Streetwork und suchen die potenziellen Klientinnen und Sexarbeiterinnen natürlich am Arbeitsplatz auf. Und, wie gesagt, letztes Jahr haben sie allein durch die Streetwork Kontakt zu ungefähr 1000 Frauen gehabt, das ist schon eine sehr große Menge, da sind ungefähr zwei Drittel der in der Metropolregion Nürnberg tätigen Frauen kontaktet worden – und auch dort maximal eine Hand voll, wo man etwas zweifeln könnte.
Meyer: Frau Leopold, Sie haben ja auch gerade gesagt, Drogenprostitution, da würden Sie noch mal besonders drauf schauen wollen, was da freiwillig bedeutet. Wie sieht es da aus mit der Freiwilligkeit für Sie?
Leopold: Ja, ich denke, da ist natürlich der Zwang ein anderer. Viele Frauen, die Drogen konsumieren, denken, dass es ein leichterer Weg ist, in der Prostitution ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Aber aus meinen Erfahrungen haben auch diese Frauen eine Entscheidungsgewalt.
Ich kenne etliche Fälle, wo Drogenkonsumentinnen gesagt haben, nein, ich werde mich nicht hinstellen, auf die Straße stellen und anschaffen gehen, ich mache dann lieber irgendwas anderes, und sei es eine kriminelle Handlung wie Scheckbetrügereien. Also natürlich ist das dann etwas eingeschränkter noch mal, diese Entscheidungsfreiheit, aber grundsätzlich gehe ich schon davon aus, dass Menschen über sich entscheiden können, und würde das auch akzeptieren, weil sonst nehme ich die ja nicht ernst.
Viele steigen aus, weil sie Mutter werden
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen über Prostitution als freiwillige Arbeit mit Beate Leopold vom Prostituierten-Beratungsprojekt "Opera". Sie haben ja schon gesagt, Sie beraten Männer und Frauen, Frauen vor allem, die aussteigen wollen oder sich beruflich anders orientieren wollen. Was bringt die aber dazu, nicht mehr Prostituierte sein zu wollen?
Leopold: Na, in der Regel das Gleiche, was sie auch dazu bringt, in den Job einzusteigen, nämlich die finanzielle Situation. Sie verdienen einfach nicht mehr so viel, dass es für einen vernünftigen Lebensunterhalt reicht, sie haben teilweise auch Schulden angehäuft, oder sie haben auch ein bestimmtes Alter erreicht, sodass es ihnen schwieriger fällt, ihren Verdienst zu erzielen. Das sind so die Hauptgründe. Oder persönliche Veränderungen auch: Bei jüngeren Frauen ist es, dass sie beispielsweise eine neue Partnerschaft eingehen oder Mutter werden. Das ist auch ein häufiger Grund, um sich umzuorientieren.
Meyer: Viele haben ja die Vorstellung, dass eine Arbeit in diesem Gewerbe, seinen Körper zu verkaufen, wie man immer so sagt, dass das eine Art Trauma hinterlässt. Ist das richtig?
Leopold: Also Prostitution, Sexarbeit – wir sprechen ja von Sexarbeit, weil das mehr umfasst als nur Prostitution, Sexarbeit ist ja Arbeit in der gesamten Sexbranche – ist sicherlich keine Arbeit, die für jeden geeignet ist. Das ist aber bei anderen Berufen auch so. Nicht jeder fühlt sich befähigt beispielsweise, im Schlachthaus zu arbeiten oder Pädagoge zu werden und Kinder zu unterrichten. Bei dem Job in der Sexarbeit ist es ganz, ganz wichtig, Grenzen setzen zu können, sich wirklich darüber klar zu werden, bis wohin gehe ich, was mache ich, was biete ich an, und wo sage ich nein, und dann natürlich auch das Nein-sagen-Können. Das ist nicht immer ganz einfach.
Meyer: Ich habe es vorhin schon erwähnt: In Frankreich wird jetzt ein Gesetz eingebracht, mit dem man Prostitution abschaffen will, und bei uns wird das ja auch gefordert von Alice Schwarzer und anderen. Was halten Sie von solchen Forderungen oder Versuchen, Prostitution abzuschaffen?
Leopold: Ja, ich glaube, die Beweggründe dahinter sind bestimmt sehr ehrenwert, aber ich halte das doch für sehr unrealistisch und frage mich wirklich, wie das denn umgesetzt werden soll. Also die Sexarbeit funktioniert ja deswegen, weil die Nachfrage da ist. Wie wollen Sie denn die Nachfrage verbieten?
Meyer: In Frankreich versucht man das, indem man die Freier bestraft.
Leopold: Ja, aber deswegen ist die Nachfrage ja trotzdem da. Wir kennen das ja aus Schweden: Auch dort gibt es die sogenannte Freierbestrafung. Das führt dazu, dass Prostitution im illegalen Bereich stattfindet und somit die Frauen deutlich ungeschützter sind.
Meyer: Legale, freiwillige Prostitution – darüber haben wir mit Beate Leopold vom Prostituierten-Beratungsprojekt "Opera" gesprochen. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Leopold: Ja, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.