Intime Einblicke
"Die Zukunft der Physik" von Lee Smolin gewährt dem Leser intime Einblicke in den Laborcharakter dieses Faches. Es zeigt, dass in den letzten 30 Jahren so viele Konzepte, Hypothesen und Vermutungen in der theoretischen Physik erzeugt wurden wie zu keiner Zeit zuvor.
Lee Smolin, selbst ein prominenter Wissenschaftler, erzählt in seinem Buch an einer Stelle kurz jene Geschichte, als er sich vor wenigen Jahren mit einem jungen italienischen Physiker in Rom traf. In einem Café diskutierten die beiden eine neue Idee zur Stringtheorie, die der junge Mann, Juan Maldacena mit Namen, kurz vorher veröffentlicht hatte. Diese Idee verbreitete sich in Windeseile in der Gemeinschaft der Stringtheoretiker und wurde auch gleich mit einem Namen belegt: als "Maldacena-Vermutung" kursierte sie fortan unter den Physikern.
Diese Episode beleuchtet die eigentliche Stärke dieses Buches über die Zukunft der Physik: Es gewährt dem Leser intime Einblicke in den Laborcharakter dieses Faches. Wie zu keiner Zeit vorher wurden in den letzten 30 Jahren so viele Konzepte, Hypothesen und Vermutungen in der theoretischen Physik erzeugt. Und alle sind mit Namen belegt, hinter allen stehen konkrete Personen, die unsere Zeitgenossen sind. Man könnte hier nun zu Recht fragen, ob diese Einblicke nicht besser in ein klar ausgewiesenes Fachbuch gehörten, das von der aktuellen Erkenntnisgeschichte der hohen Physik handelt.
Denn manchmal geht es zu wie beim populären Meinungsstreit über Autokonzepte und -marken, über Hybrid-, Elektro- und Wasserstoffantriebe – mit dem Unterschied, dass hier vertraute Objekte behandelt werden. Die Antwort darauf ist eindeutig: Die theoretischen Physiker unserer Tage ringen um eine große Theorie, die alles, vom Kosmos bis hin zu den Bestandteilen der Atome, erklären kann. Und der Autor zählt darauf, dass es genügend Menschen gibt, die wissen möchten, was in dieser sonst ziemlich abgeschlossenen Wissenschaftlergemeinde passiert beim Lösen des Weltgeheimnisses. Wer sich auf diese nicht leichte Kost einlässt, der bekommt eine Geschichte geboten, die so spannungsvoll wie ein Krimi ist.
Smolin erzählt in seinem Buch vom immerwährenden Streben der Physiker, die unterschiedlichen Phänomene in der physikalischen Natur zu vereinheitlichen. Im 19. Jahrhundert gelang das mit der elektrischen und der magnetischen Kraft. Albert Einstein vereinte in seiner allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitationskraft der Massen mit dem Raum, aus der eine neue Kosmologie hervorging. Die Quantenphysik lieferte immer tiefere Kenntnisse über die Atome. Bald wusste man, dass es vier Grundkräfte in der Natur gibt und viele, viele Teilchen, jedes mit anderen Eigenschaften. Nun dauerte es Jahrzehnte bis es den theoretischen Physikern gelang, einigermaßen Ordnung in ihr Haus zu bringen.
In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelten sie für ihr Vereinheitlichungsstreben das sogenannte Standardmodell. Es ist bis heute gültig und führt alle Teilchen auf nur zwölf Grundbausteine zurück. Ein ganz wichtiges Problem aber wurde nicht gelöst: die Gravitation blieb in diesem Modell unberücksichtigt. Hier beginnt die Geschichte der Stringtheorie, die sich von dem Gedanken der punktförmigen Teilchen löst und an ihre Stelle Strings-Saiten, also eindimensionale Objekte setzt. Dieser Geschichte widmet Smolin in seinem Buch den größten Raum und er breitet dabei für den Leser gute Argumente aus, die anzeigen, dass im Fach etwas aus dem Ruder gelaufen ist.
Eine bestechende Idee, so scheint es, hat sich verselbstständigt. Warum wurde in den letzten 30 Jahren für keines der exzellenten theoretischen Konzepte der Nobelpreis vergeben? Die Antwort lautet: weil nie eine Voraussage experimentell bestätigt werden konnte - und noch schärfer: weil nie eine experimentell nachprüfbare Voraussage gemacht wurde. Smolin geht es nicht um eine völlige Ablehnung der Stringtheorie, was er im Blick hat, ist der Forschungsstil in den letzten Jahrzehnten. Aus dem Pioniergeist ihrer Väter, die ohne Rücksicht auf Posten und Einkommen ihre Idee verteidigten, ist heute eine überaus dominante vielköpfige Gemeinde der Stringtheoretiker geworden, die riesige Forschungsmittel empfängt, ungestüm weiter vorwärts drängt und philosophischen Fragen misstraut.
Aber was heißt eigentlich vorwärts, wenn die Natur nicht antworten darf und junge Physiker, jedenfalls gilt das laut Smolin für Amerika, auf die Stringtheorie eingeschworen werden? Aus solchen Überlegungen heraus stellt sich für den Autor die Frage nach der Zukunft der Physik nicht ohne die Frage nach der Soziologie der Physik. Hier schließt sich der Kreis, denn Smolin steht in der Tradition von Einstein, steht für die Vielfalt und die Achtung der unterschiedlichsten Ideen. Und seit Einstein ist bekannt, dass der Raum und seine Geometrie veränderlich sind, abhängig von den Massen – genau damit hat die Stringtheorie ihr großes Problem.
"Die Zukunft der Physik" ist ein hochaktuelles Buch, leider mit zu vielen kleinen ärgerlichen Druckfehlern, das dem interessierten Leser gestattet Anschluss an ein neues Denken über die physikalischen Welträtsel zu gewinnen, vor dem er sonst demutsvoll zurückschreckt.
Rezensiert von Peter Kirsten
Lee Smolin: Die Zukunft der Physik
Probleme der String-Theorie und wie es weitergeht
DVA München 2009
400 Seiten, 24,95 Euro
Diese Episode beleuchtet die eigentliche Stärke dieses Buches über die Zukunft der Physik: Es gewährt dem Leser intime Einblicke in den Laborcharakter dieses Faches. Wie zu keiner Zeit vorher wurden in den letzten 30 Jahren so viele Konzepte, Hypothesen und Vermutungen in der theoretischen Physik erzeugt. Und alle sind mit Namen belegt, hinter allen stehen konkrete Personen, die unsere Zeitgenossen sind. Man könnte hier nun zu Recht fragen, ob diese Einblicke nicht besser in ein klar ausgewiesenes Fachbuch gehörten, das von der aktuellen Erkenntnisgeschichte der hohen Physik handelt.
Denn manchmal geht es zu wie beim populären Meinungsstreit über Autokonzepte und -marken, über Hybrid-, Elektro- und Wasserstoffantriebe – mit dem Unterschied, dass hier vertraute Objekte behandelt werden. Die Antwort darauf ist eindeutig: Die theoretischen Physiker unserer Tage ringen um eine große Theorie, die alles, vom Kosmos bis hin zu den Bestandteilen der Atome, erklären kann. Und der Autor zählt darauf, dass es genügend Menschen gibt, die wissen möchten, was in dieser sonst ziemlich abgeschlossenen Wissenschaftlergemeinde passiert beim Lösen des Weltgeheimnisses. Wer sich auf diese nicht leichte Kost einlässt, der bekommt eine Geschichte geboten, die so spannungsvoll wie ein Krimi ist.
Smolin erzählt in seinem Buch vom immerwährenden Streben der Physiker, die unterschiedlichen Phänomene in der physikalischen Natur zu vereinheitlichen. Im 19. Jahrhundert gelang das mit der elektrischen und der magnetischen Kraft. Albert Einstein vereinte in seiner allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitationskraft der Massen mit dem Raum, aus der eine neue Kosmologie hervorging. Die Quantenphysik lieferte immer tiefere Kenntnisse über die Atome. Bald wusste man, dass es vier Grundkräfte in der Natur gibt und viele, viele Teilchen, jedes mit anderen Eigenschaften. Nun dauerte es Jahrzehnte bis es den theoretischen Physikern gelang, einigermaßen Ordnung in ihr Haus zu bringen.
In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelten sie für ihr Vereinheitlichungsstreben das sogenannte Standardmodell. Es ist bis heute gültig und führt alle Teilchen auf nur zwölf Grundbausteine zurück. Ein ganz wichtiges Problem aber wurde nicht gelöst: die Gravitation blieb in diesem Modell unberücksichtigt. Hier beginnt die Geschichte der Stringtheorie, die sich von dem Gedanken der punktförmigen Teilchen löst und an ihre Stelle Strings-Saiten, also eindimensionale Objekte setzt. Dieser Geschichte widmet Smolin in seinem Buch den größten Raum und er breitet dabei für den Leser gute Argumente aus, die anzeigen, dass im Fach etwas aus dem Ruder gelaufen ist.
Eine bestechende Idee, so scheint es, hat sich verselbstständigt. Warum wurde in den letzten 30 Jahren für keines der exzellenten theoretischen Konzepte der Nobelpreis vergeben? Die Antwort lautet: weil nie eine Voraussage experimentell bestätigt werden konnte - und noch schärfer: weil nie eine experimentell nachprüfbare Voraussage gemacht wurde. Smolin geht es nicht um eine völlige Ablehnung der Stringtheorie, was er im Blick hat, ist der Forschungsstil in den letzten Jahrzehnten. Aus dem Pioniergeist ihrer Väter, die ohne Rücksicht auf Posten und Einkommen ihre Idee verteidigten, ist heute eine überaus dominante vielköpfige Gemeinde der Stringtheoretiker geworden, die riesige Forschungsmittel empfängt, ungestüm weiter vorwärts drängt und philosophischen Fragen misstraut.
Aber was heißt eigentlich vorwärts, wenn die Natur nicht antworten darf und junge Physiker, jedenfalls gilt das laut Smolin für Amerika, auf die Stringtheorie eingeschworen werden? Aus solchen Überlegungen heraus stellt sich für den Autor die Frage nach der Zukunft der Physik nicht ohne die Frage nach der Soziologie der Physik. Hier schließt sich der Kreis, denn Smolin steht in der Tradition von Einstein, steht für die Vielfalt und die Achtung der unterschiedlichsten Ideen. Und seit Einstein ist bekannt, dass der Raum und seine Geometrie veränderlich sind, abhängig von den Massen – genau damit hat die Stringtheorie ihr großes Problem.
"Die Zukunft der Physik" ist ein hochaktuelles Buch, leider mit zu vielen kleinen ärgerlichen Druckfehlern, das dem interessierten Leser gestattet Anschluss an ein neues Denken über die physikalischen Welträtsel zu gewinnen, vor dem er sonst demutsvoll zurückschreckt.
Rezensiert von Peter Kirsten
Lee Smolin: Die Zukunft der Physik
Probleme der String-Theorie und wie es weitergeht
DVA München 2009
400 Seiten, 24,95 Euro