"Spüre die Angst auch schon in Deutschland"
Der Journalist Boris Reitschuster wurde in Moskau bedroht, verfolgt und verprügelt. Dahinter steckt wohl der russische Geheimdienst FSB. Sein Vergehen: Er recherchierte und schrieb über die wirtschaftlichen Verflechtungen von Präsident Wladimir Putin.
Korbinian Frenzel: Man wirft Russland in diesen Tagen ja immer wieder vor, es mache Machtpolitik im ganz alten Stile. Das ist sicher nicht verkehrt, das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die russische Regierung ganz wunderbar die modernen Instrumente der Macht zu nutzen weiß. Ab heute müssen alle Internetprovider Geräte installieren, mit denen sie den Internetverkehr zwölf Stunden lang speichern können. Der FSB, der russische Inlandsgeheimdienst, kann dann, kann so ungehindert auf alle Daten zugreifen. Ich spreche jetzt mit einem Mann, der selbst erlebt hat, wie es ist, im Visier der russischen Behörden zu sein, Boris Reitschuster, lange Jahre Leiter des Redaktionsbüros des "Focus" in Moskau. Guten Morgen!
Boris Reitschuster: Guten Morgen!
Frenzel: Sie leben nicht mehr in Moskau, Sie haben die Stadt 2012 nach 16 Jahren verlassen. Und das nicht ganz freiwillig, richtig?
Reitschuster: Ja, das ist auch sehr bitter für mich, ich empfinde Moskau als zweite Heimat, ich fühle mich jetzt ein bisschen wie im Exil. Der Grund waren massive Drohungen und Psychoterror, dem ich ausgesetzt war.
Frenzel: Was ist da konkret passiert?
"Habe ich mein Todesurteil unterzeichnet"
Reitschuster: Man hat mir gesagt, mit meinem Buch "Putins Demokratur" habe ich mein Todesurteil unterzeichnet, und zwar vor allem, so hieß es, weil ich um die geschäftlichen Verbindungen von Wladimir Putin mich gekümmert habe, um seine Vergangenheit in Petersburg und um die Geschäftsleute um ihn herum, die Milliarden verdienen. Und da sagte man mir, das sei viel schlimmer als die politische Kritik.
Frenzel: Haben Sie Hinweise darauf, Informationen, dass das von offizieller Seite kam oder zumindest initiiert wurde?
Reitschuster: Das weiß ich, und zwar ging es so weit, dass da auch ein ehemaliger Botschafter Moskaus in Deutschland hier ganz massiv mitgemacht hat. Ich kann nicht sagen, dass es direkt aus dem Kreml kam, aber es kam zumindest aus dem Apparat, das ist eindeutig.
Frenzel: Was waren die schlimmen, die schlimmsten Erfahrungen, die Sie gemacht haben mit dem Geheimdienst?
Reitschuster: Das waren die Situationen, in denen ich verfolgt wurde, es gab regelrechte Verfolgungsjagden. Ich wurde einmal festgenommen, ich wurde einmal umgefahren von einem Auto, absichtlich, wo man sagte, ich stehe ich Weg. Man hat mich dann umgefahren. Ich wurde einmal verprügelt. Man wird richtig ängstlich, ich spüre diese Angst inzwischen auch schon in Deutschland, wenn ich jemand sehe mit einer Kunstlederjacke und mit einem bestimmen Haarschnitt, dann fange ich schon an nervös zu werden, obwohl es hier in Deutschland natürlich Fehlalarm ist.
Frenzel: Ja, Sie sagen Angst, das ist auf jeden Fall ein sofort nachvollziehbares Gefühl. Was war da mehr, hat das bei Ihnen Wut ausgelöst oder hat das vielleicht auch sogar so etwas wie Paranoia ausgelöst, dass Sie manchmal Dinge gesehen haben, die vielleicht so gar nicht waren?
"Was einen psychisch sehr belastet"
Reitschuster: Es gibt den alten russischen Witz, der nicht von ungefähr entstanden ist, der heißt: Die Tatsache, dass ich Verfolgungswahn habe, besagt nicht, dass ich nicht verfolgt werde! Und das ist tatsächlich ein großes Spannungsfeld, weil, auf der einen Seite weiß man, man wird beobachtet, die sind hinter einem her, andererseits möchte man aber auch nicht paranoid werden. Und man kann eben sehr, sehr schwer abschätzen, woran das liegt. Und das ist etwas, was einen psychisch sehr belastet, wenn heute jemand um die Ecke kommt und es dunkel ist, dann macht man sich schon ein bisschen Sorgen. Und man versucht es, mit Humor zu überspielen, glaube ich, man macht viele Witze darüber. Und ich fürchte, dieser Humor ist nur ein Mittel, um nicht zu weinen. In Wirklichkeit wären es eher Tränen, die man wahrscheinlich hätte.
Frenzel: Nun sind Sie Journalist, Sie haben recherchiert, Sie haben so die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Wie ist es für den ganz normalen Russen, die Menschen dort? Ist da der Inlandsgeheimdienst eine ständig präsente Größe?
Reitschuster: Ich denke, spätestens in dem Moment, wo man sich politisch äußert über die eigenen Wände hinaus. Wenn Sie in Ihrer Küche etwas sagen, dann wird sich der FSB wenig dafür interessieren. Ich spüre aber umgekehrt, dass die Menschen im Umgang mit mir, auch Freunde, inzwischen schon große Angst haben, weil sie natürlich wissen, ich werde als Ausländer abgehört. Und bei mir ist es leider so, dass die Mehrzahl der Freundschaften deswegen zerbrochen ist. Es ist etwas, was ganz stark ins Persönliche auch hineinragt.
Frenzel: Nun sind ja unsere Augen alle geöffnet, wenn es um Geheimdienstarbeit geht, seit den Enthüllungen von Edward Snowden, da sehen wir eben auch im Westen ist viel passiert, von dem wir nicht wussten, das wir gar nicht geahnt hatten. Und man kann ja fast zu dem zynischen Schluss kommen, diesen dunklen, diesen verdeckten Teil der Macht, den betreiben alle gleichermaßen. Würden Sie da Unterschiede machen mit Ihrer Erfahrung, die Sie in Russland gemacht haben? Ist das noch eine Stufe schärfer dort?
"Was wir in Russland haben, das ist ein Unrechtsstaat"
Reitschuster: Ich würde sagen, das kann man überhaupt nicht vergleichen. In Amerika wird tatsächlich abgehört, und das kann man verurteilen, ich bin auch kein Freund davon, aber es wird nicht für Psychoterror eingesetzt gegen Leute, die gegen die Regierung sind. Ich denke, was wir im Westen haben, sind Auswüchse in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat, die man verurteilen kann; was wir in Russland haben, das ist ein Unrechtsstaat, der gezielt das Recht verletzt, der gezielt seine Bürger abhört, um daraus dann Nutzen zu schlagen. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge in meinen Augen – ohne das Amerikanische rechtfertigen zu wollen.
Frenzel: Sind die Dinge schlimmer geworden in Russland in der Zeit, die Sie beobachten konnten, die 16 Jahre, die Sie in dem Land gelebt haben
Reitschuster: Ganz, ganz stark. Bei meinem ersten Buch hatte ich eigentlich noch keine Probleme, es war auch kritisch, man hat mir gesagt, gut, du bist da zu weit gegangen, aber das ist in Ordnung. Inzwischen herrscht eine regelrechte Hysterie, es geht bis ins Private, wenn man mit Freunden zusammen ist, dann hört man zehnmal, dass man doch Spion sei und dass man doch für den BND arbeite. Die Stimmung dort macht mir riesige Angst, in den Medien wird eine richtige Hysterie geschürt. Es wird den Leuten immer eingeimpft, Russland sei bedroht, Russland habe nur Feinde, der Westen wolle Russland zerstören. Und es ist etwas, was einen den Tränen nahebringt, das zu erleben, wenn man Russland liebt und jetzt sieht, wie dieses geliebte Russland immer stärker auf diese Abwege gerät.
Frenzel: Und nun gibt es ab heute diese neue Regelung im Internetbereich, ich habe es anfangs erwähnt. Was bedeutet das für Russland? Ist das das endgültige Ende eines freien Internets?
"Unter Extremismus wird jede Kritik an Putin verstanden"
Reitschuster: Das haben wir schon seit zehn Jahren, seitdem wir Putin haben, vor elf Jahren schon, diese völlige Überwachung per UKs angeordnet, jetzt wird es per Gesetz legitimiert. Ich glaube, der Hintergrund dafür ist, dass man neue Gesetze eingeführt hat gegen Kritik im Internet, zum Beispiel müssen sich Blogger jetzt registrieren. Wenn man Extremismus betreibt – und unter Extremismus wird jede Kritik an Putin verstanden –, dann kann man dafür für Jahre ins Gefängnis kommen. Und damit man das anwenden kann, braucht man auch Legalisierung dieser Überwachung, die man bisher auch schon betrieben hat, aber durch dieses Gesetz macht man das jetzt sozusagen offiziell, damit man die Kritiker im Zweifelsfall auch ins Gefängnis bringen kann.
Frenzel: Der Russland-Kenner und Journalist Boris Reitschuster, gerade frisch in zweiter Auflage erschienen ist das Buch, das ihm so viel Schwierigkeiten gebracht hat: "Putins Demokratur" heißt es. Herr Reitschuster, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Reitschuster: Ich danke Ihnen!
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