Inzest im Gottesstaat
Spätestens seit Freud gilt der ägyptische Pharao Echnaton als Schöpfer der ersten monotheistischen Religion, als Vorläufer von Moses, Jesus und Mohammed. Doch stimmt das wirklich? Franz Maciejewski versucht sich an der Korrektur eines Mythos.
Heute zählt Echnaton zu den berühmtesten Pharaonen. Dabei galt er in der frühen Ägyptologie wegen seiner androgynen Züge, dem unverstandenen Sonnenkult und sonstigen Auffälligkeiten noch als Freak. Die Übersetzung des "Großen Sonnenhymnus" Ende des 19. Jahrhunderts führte zur Neubewertung. Echnaton wurde zum Stifter des ersten Monotheismus, der "Armana-Religion" erklärt.
Freud sprach vom "vielleicht reinsten Fall einer monotheistischen Religion in der Menschheitsgeschichte". In der Gegenwart hat der Ägyptologe Jan Assmann die Monotheismus-These so populär gemacht, dass sie bis zu Touristen auf Nil-Dampfern vordringt. Oft wird Echnaton als religionshistorischer Vorläufer von Moses, Jesus und Mohammed angesehen.
Für Franz Maciejewski ist die Armana-Religion indes ein korrekturbedürftiger "Mythos". Um eine "alternative Sinngeschichte" zu formulieren, untersucht der Privatgelehrte die Macht-, Sexual- und Religionspolitik zur Zeit Echnatons – und er schickt viele starke Thesen voraus.
Die treibende geschichtliche Kraft der Armana-Zeit war laut Maciejewski nicht die Erfindung des Monotheismus, sondern die Ambition des Hauses Juja, das den Dynastie-Wechsel anstrebte. Die herrschenden Thutmosiden praktizierten zum Machterhalt krassen Inzest. Echnatons Großtat war die Errichtung des "ersten Gottesstaates". Die Kurzzeit-Theokratie soll Jahrhunderte später im Gottesstaat des Amun traumatisch wiedergekehrt sein. Nicht im biblischen Moses, sondern in König Ödipus könnten sich Erinnerungsspuren Echnatons erhalten haben.
Der Leser versteht: Würde das alles zutreffen, verlöre der Monotheismus seinen vermeintlichen Urvater, Echnatons Biografie wäre umzuschreiben. Die Fachwelt müsste "Nachsitzen über Amarna" (so eine Kapitelüberschrift).
Franz Maciejewski, der seine Gedankengänge gern durch eingestellte Fragen voranbringt, ist ein guter Stilist. Dennoch verlangt es äußerste Konzentration, die voraussetzungsreiche Geschichte von "Kabale und Liebe, Intrige und Inzest" (Umschlagtext) tatsächlich als konsistente Beweisführung zu entziffern. Echnaton erscheint zunächst schwach. Es sind Frauen um seine Mutter Teje, die laut Maciejewski die Kulturrevolution vorantreiben und den Sonnengott Aton mit der Pharaonen-Familie zur "heiligen Familie von Amarna" verschmelzen.
Andererseits soll Echnaton aus Gründen der Dynastie-Sicherung mit seinen Töchtern und der Mutter Kin¬der gezeugt haben. Armana erscheint schließlich als Fluchtort ("eine Variation über das Paradies-Thema"), in dem der sexuell missbrauchte und vom leiblichen Vater gedemütigte Echnaton als Sohn des Sonnengottes regieren und regenerieren kann.
Die fachliche Bewertung von Echnaton steht Ägyptologen zu. Als Laie staunt man über Maciejewskis profunde Kenntnisse. Das Buch überzeugt, wo es altägyptische Geschichte und neuzeitliche Forschung souverän ausbreitet. Oft aber ist die Gedankenführung verwirrend, Spe¬kulationen und heikle psychoanalytische Herleitungen machen stutzig.
Die Faszination, die von Echnaton ausgeht, bleibt davon unbeschadet. Wer die neuzeitliche Karriere des Pharaos mit dem Gesicht "eines jungen Engländers von etwas ausgeblühtem Geschlecht" (Thomas Mann) bisher verfolgt hat, wird Echnaton mit Spannung lesen. Die Monotheismus-These aber bleibt aktuell.
Besprochen von Arno Orzessek
Franz Maciejewski: Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus. Zur Korrektur eines Mythos
Osburg Verlag, Berlin 2010
336 Seiten, 24,90 Euro
Freud sprach vom "vielleicht reinsten Fall einer monotheistischen Religion in der Menschheitsgeschichte". In der Gegenwart hat der Ägyptologe Jan Assmann die Monotheismus-These so populär gemacht, dass sie bis zu Touristen auf Nil-Dampfern vordringt. Oft wird Echnaton als religionshistorischer Vorläufer von Moses, Jesus und Mohammed angesehen.
Für Franz Maciejewski ist die Armana-Religion indes ein korrekturbedürftiger "Mythos". Um eine "alternative Sinngeschichte" zu formulieren, untersucht der Privatgelehrte die Macht-, Sexual- und Religionspolitik zur Zeit Echnatons – und er schickt viele starke Thesen voraus.
Die treibende geschichtliche Kraft der Armana-Zeit war laut Maciejewski nicht die Erfindung des Monotheismus, sondern die Ambition des Hauses Juja, das den Dynastie-Wechsel anstrebte. Die herrschenden Thutmosiden praktizierten zum Machterhalt krassen Inzest. Echnatons Großtat war die Errichtung des "ersten Gottesstaates". Die Kurzzeit-Theokratie soll Jahrhunderte später im Gottesstaat des Amun traumatisch wiedergekehrt sein. Nicht im biblischen Moses, sondern in König Ödipus könnten sich Erinnerungsspuren Echnatons erhalten haben.
Der Leser versteht: Würde das alles zutreffen, verlöre der Monotheismus seinen vermeintlichen Urvater, Echnatons Biografie wäre umzuschreiben. Die Fachwelt müsste "Nachsitzen über Amarna" (so eine Kapitelüberschrift).
Franz Maciejewski, der seine Gedankengänge gern durch eingestellte Fragen voranbringt, ist ein guter Stilist. Dennoch verlangt es äußerste Konzentration, die voraussetzungsreiche Geschichte von "Kabale und Liebe, Intrige und Inzest" (Umschlagtext) tatsächlich als konsistente Beweisführung zu entziffern. Echnaton erscheint zunächst schwach. Es sind Frauen um seine Mutter Teje, die laut Maciejewski die Kulturrevolution vorantreiben und den Sonnengott Aton mit der Pharaonen-Familie zur "heiligen Familie von Amarna" verschmelzen.
Andererseits soll Echnaton aus Gründen der Dynastie-Sicherung mit seinen Töchtern und der Mutter Kin¬der gezeugt haben. Armana erscheint schließlich als Fluchtort ("eine Variation über das Paradies-Thema"), in dem der sexuell missbrauchte und vom leiblichen Vater gedemütigte Echnaton als Sohn des Sonnengottes regieren und regenerieren kann.
Die fachliche Bewertung von Echnaton steht Ägyptologen zu. Als Laie staunt man über Maciejewskis profunde Kenntnisse. Das Buch überzeugt, wo es altägyptische Geschichte und neuzeitliche Forschung souverän ausbreitet. Oft aber ist die Gedankenführung verwirrend, Spe¬kulationen und heikle psychoanalytische Herleitungen machen stutzig.
Die Faszination, die von Echnaton ausgeht, bleibt davon unbeschadet. Wer die neuzeitliche Karriere des Pharaos mit dem Gesicht "eines jungen Engländers von etwas ausgeblühtem Geschlecht" (Thomas Mann) bisher verfolgt hat, wird Echnaton mit Spannung lesen. Die Monotheismus-These aber bleibt aktuell.
Besprochen von Arno Orzessek
Franz Maciejewski: Echnaton oder Die Erfindung des Monotheismus. Zur Korrektur eines Mythos
Osburg Verlag, Berlin 2010
336 Seiten, 24,90 Euro