Bericht des Weltklimarats

Eine Blaupause für Lösungen

Luftaufnahme auf einen Zug umgeben von Hochwasser
Der aktuelle Report ist gleichzeitig der letzte Sachstandsbericht, der uns den Weg aus der Krise weisen kann. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Michael Probst
Ein Kommentar von Sara Schurmann · 12.04.2022
Der neuste IPCC-Bericht hat es nicht einmal in die 20-Uhr-Tagesschau geschafft. Vielleicht verständlich angesichts des Ukraine-Kriegs. Doch es braucht ein umfassendes Bewusstsein für die Bedeutung der Klimakrise, mahnt die Journalistin Sara Schurmann.
Schauen wir doch mal, was drin steht im aktuellen Bericht des Weltklimarates, den Hunderte Wissenschaftler:innen auf Grundlage Tausender Forschungsarbeiten über Jahre zusammengetragen haben. Und schauen wir auch noch mal auf die absoluten Basics.

Erstens: 1,5 Grad Erderhitzung sind nichts Gutes. Schon sie werden in den kommenden Jahren massive Auswirkungen auf unser Leben haben, auch in Deutschland. Mit jedem Zehntelgrad werden diese Auswirkungen schlimmer, dennoch versuchen die Regierungen dieser Welt derzeit nicht einmal, die Erderhitzung auf diese Marke zu begrenzen.

Okay, zugegeben, das stand vor allem in Teil zwei, der vor einem Monat veröffentlicht wurde und aufgrund des Kriegsbeginns auch schon untergegangen ist. Aber ein Blick auf die Grundlagen ist wichtig, daher weiter mit zweitens: Um irgendwo in der Nähe von 1,5 Grad zu bleiben und das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten, müssen wir unsere Emissionen schon bis Ende des Jahrzehnts aktiv und massiv reduzieren. Momentan jedoch steigen sie weiter, der Ausstoß ist so hoch wie nie.

Im Bericht stehen konkrete Maßnahmen

Drittens zeigt der neuste Bericht erstmals, mit welchen konkreten Maßnahmen es möglich ist, das zu ändern und die Erderhitzung zu stoppen: weniger Autos, weniger Fliegen, weniger Fleisch, weniger Energie- und Ressourcenverbrauch. Schädliche Subventionen verbieten, keine neue fossile Infrastruktur bauen – schon die, die heute gebaut oder geplant ist, ist nicht mit dem Ziel vereinbar, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.

Denn genau darum geht es: unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Nicht darum, irgendwelche abstrakten Temperaturmarken einzuhalten. Die Mittel, um das zu schaffen, sind vorhanden und bekannt. Es braucht volle Kraft in den Ausbau der erneuerbaren Energien und einen massiven Boost für die Finanzierung der nötigen Transformationen. Es braucht weniger vermeintliche technologische Lösungen und mehr grundlegende strukturelle Veränderungen. Eine echte Energiewende, eine echte Verkehrswende, eine echte Agrar- und Ernährungswende, eine Bau- und Heizwende.

Transformation in den nächsten acht Jahren

Das kommt vielen vermutlich bekannt vor. Was gesellschaftlich aber offenbar nicht begriffen ist: Es braucht sie jetzt!

Ein wesentlicher Teil dieser Transformationen muss innerhalb der nächsten acht Jahre umgesetzt werden. Wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen, müssen wir alle spätestens 2030 sehr viel anders leben als heute. Dieser Klimabericht ist damit, viertens, nicht weniger als ein Aufruf zur Revolution.

Der aktuelle Report ist gleichzeitig der letzte Sachstandsbericht, der uns den Weg aus der Krise weisen kann. Das Zeitfenster, um zu handeln, schließt sich rapide. Tausende Wissenschaftler:innen machen unmissverständlich klar: Ernsthafte Klimaschutzmaßnahmen müssen dieses Jahr anfangen, nicht nächstes Jahr. Diesen Monat, nicht nächsten. Heute, nicht morgen.

Keine Zeit mehr für Ausreden

Dieser Bericht bietet also eine Blaupause für Lösungen – und damit, fünftens, auch dafür, die Ausreden der Regierungen zweifelsfrei offenzulegen. Jede politische und wirtschaftliche Entscheidung muss daraufhin geprüft werden, ob sie mit den Klimazielen vereinbar ist. Journalist:innen müssen das konsequent transparent machen und einordnen.

Der IPCC-Bericht liefert also keine ollen Kamellen, sondern Front-Page-News. Um dem die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, braucht es keine PR-Tricks. Es braucht ein umfassendes Bewusstsein für die Bedeutung dieser Krise und den historischen Moment in der Menschheitsgeschichte, an dem wir uns gerade befinden.

Solange dieses Bewusstsein nicht da ist, wird es auch kein angemessenes Handeln geben. Dieses Bewusstsein zu schaffen und so Handeln zu ermöglichen: Das kann und das muss Journalismus.

Dafür muss er zunächst bei sich anfangen: in den Redaktionen. Erst wenn dort eine Mehrheit ein entsprechendes Bewusstsein hat, schafft es die Klimakrise entsprechend ihrer Bedeutung auf die Hauptnachrichtenplätze – und das, ohne andere Krisen zu vernachlässigen.

Sara Schurmann ist Journalistin u.a. für den Tagesspiegel, Vice, Zeit-Online, ARD-Anstalten und arbeitete als Redaktionsleiterin und Textchefin. 2021 gründetet sie das Netzwerk Klimajournalismus Deutschland mit. 2022 erschien ihr erstes Buch „Klartext Klima“.

Porträt von Sara Schurmann
© Julia Steinigeweg
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