Irak

Menschen mit Waffen beschützen

Der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm spricht am 05.08.2014 in München (Bayern) mit Journalisten der Deutschen Presse-Agentur. Als Landesbischof in Bayern ist Bedford-Strohm ein Kandidat für die Nachfolge des Ratsvorsitzenden Schneider, der sein Amt wegen der Krebserkrankung seiner Frau abgibt.
Der evangelische Landesbischof von Bayern, Heinrich Bedford-Strohm © picture alliance / dpa / Nicolas Armer
Moderation: Philipp Gessler |
Heinrich Bedford-Strohm gehört zu den wichtigsten Vertretern der evangelischen Kirche in Deutschland. Als junger Mann engagierte er sich gegen Atomwaffen und für den Frieden. Heute setzt er sich für Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak ein. Er hat mit den Menschen dort gesprochen und findet, ihr Schutz sei oberstes Gebot.
Philipp Gessler: Die evangelische Kirche in Deutschland hat immer mit sich selbst gerungen, und häufig darum, welche Wege des Friedens in der jeweiligen Lage am sinnvollsten sind. In den 50er-Jahren war das so, als die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik diskutiert wurde, in den 80er-Jahren, als die Nachrüstungsdebatte die Republik zerriss. Und heute wieder, wenn es um die Frage geht, ob man die islamistischen Terroristen des IS mit einem Militäreinsatz bekämpfen sollte. Und ob man den kurdischen Gegnern dieser, man muss wohl sagen: blutrünstigen Männer Waffen liefern darf.
Eine der profiliertesten Stimmen in dieser Diskussion hat der evangelische bayerische Bischof Heinrich Bedford-Strohm. Er hat sehr gute Chancen, Nikolaus Schneider in wenigen Wochen als Ratsvorsitzenden der EKD abzulösen. Bedford-Strohm war schon in den Flüchtlingslagern im Nordirak, wohin die Menschen vor dem Terror des IS geflohen sind. Es gibt noch eine Besonderheit von Bedford-Strohm: Zu Zeiten der Nachrüstungsdebatte vor 30 Jahren hat er sich beteiligt an Blockaden von Atomwaffendepots, er stand wegen zivilen Ungehorsams im Zuge seines Friedensengagements vor Gericht. Und er stand damals auch über Jahre jeden Freitag eine Stunde lang auf dem Marktplatz von Heidelberg, beim Schweigen für den Frieden, selbst bei bitterer Kälte.
In einem Interview habe ich Bedford-Strohm gefragt, was der junge Mann, der er damals war, dem heutigen Bedford-Strohm sagen würde, der einen internationalen Militäreinsatz im Irak fordert?
Heinrich Bedford-Strohm: Er würde ihm zustimmen. Das mag auf den ersten Blick überraschend sein, aber für mich war Gewalt immer etwas, was mit Schuld verbunden ist, immer etwas, was eine Niederlage bedeutet. Und das ist auch bis zum heutigen Tag so geblieben. Denn was ich zum Irak gesagt habe, nimmt davon überhaupt nichts weg, dass das Töten eines Menschen Schuld bedeutet. Auch wenn er ein IS-Kämpfer ist, ist er ein Geschöpf Gottes. Es ist immer mit Schuld verbunden, einen Menschen zu töten.
In diesem Fall geht es um die Frage: Wie kann man mit diesem Dilemma umgehen, dass in jedem Falle viele Menschenleben geopfert werden müssen, und Menschen, die direkt von Völkermord bedroht sind, geschützt werden müssen? Das hätte ich damals ganz genauso gesagt, dass man da nicht tatenlos zusehen kann, jedenfalls nicht zusehen kann, ohne wirksam diesen Menschen beizustehen.
Gessler: Aber trotzdem, würde der damalige junge Bedford-Strohm nicht doch den Kopf schütteln oder zumindest sich die Augen reiben, wenn er sehen würde, dass der ältere 30 Jahre später sich tatsächlich für einen Militäreinsatz einsetzt?
"UNO-Truppe soll Schutzzone errichten"
Bedford-Strohm: Ganz klar: Nein. Ich habe mir über diese Frage natürlich viele Gedanken gemacht. Was ich gefordert habe, sind UNO-Truppen, die eine Schutzzone für diese direkt bedrohten Menschen errichten. Die Flüchtlinge, denen ich begegnet bin, tausende, zigtausende von Menschen, die alle Angst, panische Angst vor den Mördern des IS haben, diese Menschen zu schützen, Völkermord zu verhindern, das hätte ich in den frühen 80er-Jahren ganz genauso befürwortet, wie ich das jetzt tue.
Wenn in den Überschriften von Kurzmeldungen dann steht, Bischof befürwortet Militäreinsatz, dann verdankt sich das der Mediendynamik, die einfach so ist, wie sie ist. Dass dann darunter im Interview steht, dass ich eben nicht einfach Militäreinsätze oder Bodentruppen befürworte, sondern eben ein Aktivwerden der Vereinten Nationen zum Schutz von bedrohten Menschen, das kommt in der Überschrift dann eben nicht zum Ausdruck. Aber das ist aus meiner Sicht in Ordnung. Man hat genügend Gelegenheiten, Dinge zu erläutern.
Ich sage hier noch mal in aller Deutlichkeit: Die menschliche Schutzverantwortung ist nicht nur bei den Vereinten Nationen fest verwurzelt, sie ist auch Teil der ökumenischen Friedensethik. Und menschliche Schutzverantwortung heißt, dass wir in Situationen, wo Menschen von Völkermord bedroht sind, schutzlos ausgeliefert sind, und zwar ganz direkt schutzlos ausgeliefert sind den Morden von anderen, dass in dieser Situation ein internationales polizeiliches Eingreifen gerechtfertigt ist.
Lernen aus dem Völkermord in Ruanda
Gessler: Sie würden also nicht sagen, Sie sind sozusagen in den letzten 30 Jahren klüger geworden, das hat nichts mit dem Alter zu tun, sondern mit der konkreten Situation?
Bedford-Strohm: Überhaupt nicht in diesem Sinne klüger geworden, dass ich jetzt plötzlich Militäreinsätze befürworte, die ich früher abgelehnt hätte. Ich habe mir schon damals auch sehr gut Gedanken gemacht über diese Frage. Das, was man immer so als naiven Pazifismus bezeichnet, war nie etwas, was mir gelegen hat. Ich habe mir immer schon Gedanken gemacht, wie man verantwortlich handeln kann. Und das war und ist für mich im Hinblick auf die damalige Situation genau das, nämlich verantwortlich handeln heißt, die Rüstungsspirale nach unten bewegen und nicht nach oben bewegen.
Und heute heißt verantwortlich handeln, dass Menschen, die Völkermord ausgesetzt sind, wirklich geschützt werden. Ich kann vielleicht eine besonders intensive Lernerfahrung, die mich immer noch bedrängt, schon nennen, das ist der Völkermord in Ruanda. Ich bin selbst eng verbunden in diesem Land, ich habe anlässlich des zehnjährigen Gedenkens des Völkermordes 2004 eine Konferenz des Weltkirchenrats in Kigali, Ruanda mitgemacht, habe dort viele Menschen kennengelernt, Freundschaften gewonnen, bin seitdem immer wieder in Ruanda gewesen und habe sehr intensiv wahrgenommen, welch große Schuld die Weltgemeinschaft auf sich geladen hat dadurch, dass sie zugeschaut hat, wie innerhalb von 100 Tagen 800.000 bis eine Million Menschen mit Macheten umgebracht worden sind.
Und ich habe mir geschworen, ich werde nie wieder zuschauen, wenn so etwas passiert. Wenn ich wahrnehme, dass solch eine Situation sich anbahnt oder schon passiert, werde ich meine Stimme erheben, sodass nicht wieder UNO-Soldaten, die keinen Auftrag haben ihre Waffen zu gebrauchen außer zur direkten Selbstverteidigung, also nicht zum Schutze anderer Menschen ihre Waffen gebrauchen dürfen, letztlich zum Zuschauen verurteilt sind, wie das in Ruanda der Fall war. Das ist schon ein bisschen der Hintergrund, dass ich heute bei der Bedrohung der Menschen im Nordirak hier so klare Worte gewählt habe.
"Gewalt und Krieg können nie gerecht sein"
Gessler: Jetzt hat auch der Rat der EKD gesagt, dass tatsächlich in dem Fall militärische Mittel als letzte verbliebene Möglichkeit möglich sind, und sogar gefordert, dass sie eingesetzt werden gegen den IS. Heißt das, dass ein Radikalpazifismus in der EKD keinen Platz mehr hat?
Bedford-Strohm: Das heißt es nicht. Was der Rat der EKD zum Ausdruck gebracht hat, war das, was in der Friedensdenkschrift der EKD, die ja auch Ergebnis eines langen Diskussionsprozesses war, schon verwurzelt ist, dass nämlich genau in solchen Situationen von der Bedrohung durch Völkermord die rechtserhaltende Gewalt legitim sein kann. Das ist keine Rechtfertigung von Gewalt im Sinne eines gerechten Krieges.
Gewalt ist nie gerecht, Krieg kann nie gerecht sein, nur der Friede kann gerecht sein, das halten wir hier in aller Klarheit fest. Hier geht es noch mal um die Frage, wie kann man mit diesem Schulddilemma umgehen, was eben Schuld bedeutet, wenn man nicht schützt, und Schuld bedeutet, wenn man militärische Mittel einsetzt. Der Pazifismus, auch der Radikalpazifismus hat in der evangelischen Kirche auf jeden Fall seinen Ort, denn es ist gute Tradition, dass wir in der evangelischen Kirche eine Diskurskultur haben, die auch unterschiedliche Positionen zulässt. Die Mahnung Jesu zur Gewaltfreiheit besteht, deswegen muss die Gewaltfreiheit immer den Vorrang haben. Und in den allermeisten Fällen stelle ich fest, dass die radikalpazifistische Position und die Position, die ich Verantwortungspazifismus nenne, die ich selber vertrete, dass die eigentlich zu dem gleichen Ergebnis kommen: Kriege und militärische Aktionen sind in der Regel nicht das richtige Mittel.
Dieser Fall hier, in dem ich jetzt hier Position bezogen habe, ist für mich ein Ausnahmefall. Wir dürfen über solche Fälle nicht der Versuchung erliegen, zu verwischen, dass Gewalt nie überwunden werden kann mit Militär, dazu bedarf es Versöhnung, dazu bedarf es ziviler Mittel, dazu bedarf es Entwicklung, Perspektiven, die ermöglichen, dass alle Menschen in Würde leben können. Und da gibt es noch sehr viel Spielraum, allein schon, wenn man sich die Verteilung der Geldmittel für Militär auf der einen Seite, horrende Summen, und für Entwicklung auf der anderen Seite, eben klägliche Summen im Vergleich, wenn man sich das anschaut.
Peschmerga militärisch schlecht ausgerüstet
Gessler: Nun haben Sie sich ja auch ausgesprochen für Waffenlieferungen an die irakischen Kurden. Jetzt hat Volker Jung gesagt, der Kirchenpräsident, also der Bischof der Hessen-nassauischen Kirche, das widerspricht ganz klar der Friedensdenkschrift der EKD. Er hat sogar empfohlen, dass man das etwas intensiver doch noch mal studiert, gerade diesen Punkt mit der Nichtlieferung von Waffen in Krisengebiete. Trotzdem waren und sind Sie für diese Waffenlieferung.
Kurdische Peschmerga kämpfen am 9. September 2014 im Irak gegen die Terrormiliz Islamischer Staat.
Kurdische Peschmerga kämpfen im Irak gegen die Terrormiliz Islamischer Staat. Heinrich Bedford-Strohm: "Ihnen geht schlicht die Munition aus."© afp/Lopez
Bedford-Strohm: Volker Jung hat ja völlig recht, wenn er auf die Risiken solcher Waffenlieferungen hinweist. Ich selber bin in dieser Frage wirklich zerrissen. Ich sehe die Gefahren solcher Waffenlieferungen genau und es kann sein, dass ich in einigen Jahren sage, hättest du doch in aller Klarheit widersprochen. Ich kann es im Moment nicht tun, weil ich bei meinem Besuch in Nordirak viele Menschen gefragt habe, ist diese Region nicht so vollgepumpt mit Waffen, dass das nun wirklich nicht nötig ist, hier noch weitere Waffen zu liefern?
Mir ist gesagt worden, dass die Peschmerga da, wo sie wirklich die Dörfer, die ich ja kennengelernt habe, versucht haben zu verteidigen, immer wieder in Situationen geraten sind, wo ihnen zum Beispiel die Munition ausgegangen ist und sie schlicht und einfach abhauen mussten. Mir ist also gesagt worden von den Menschen vor Ort, von vielen Menschen, die ich gefragt habe, eigentlich von allen, dass solche Lieferungen notwendig sind.
Ich habe trotzdem einen inneren Widerstand dagegen, aber ich kann ebenfalls es mir nicht so leicht machen, hier ein klares Nein auszusprechen, ohne dass ich wirklich auch einigermaßen verlässliche Gewissheit habe, dass es dort Mittel gibt, um diese Menschen zu schützen. Ich wünsche mir die UNO, dass die endlich aktiv wird, dass der UN-Sicherheitsrat dort Truppen stationiert, die sicherstellen, dass diese Menschen in ihre Dörfer zurückkehren können, ohne dass sie Angst vor dem IS haben müssen.
Leider hat der UN-Sicherheitsrat, der allein zuständig dafür wäre und der allein sicherstellen könnte, dass Waffen eben nicht in die falschen Hände geraten, bisher an diesem Punkt versagt. Das macht die Schwierigkeit der Situation aus. Wir sind alle, die wir in der EKD Verantwortung tragen, an dieser Stelle zerrissen und wir sehen die Risiken. Und deswegen sind wir da sehr nah beieinander.
"Man kann ja nicht alle IS-Kämpfer töten"
Gessler: Wenn nun aber die Friedensdenkschrift doch gerade bei diesem Punkt, nicht Waffen liefern in Krisengebiete, doch relativ eindeutig ist, was sind dann eigentlich solche Friedensdenkschriften wert, wenn sie im entscheidenden Falle halt doch übergangen werden?
Bedford-Strohm: Man muss ganz deutlich sagen – und das hat ja die Stellungnahme des Rats der EKD gezeigt –, dass die Kriterien, die die Friedensdenkschrift für die Frage, wann so was eventuell nicht vermeidbar ist, dass die Kriterien hier klar gegeben sind und dass der Rat der EKD in seiner Stellungnahme ganz genau entlang der Kriterien dieser Friedensdenkschrift gegangen ist.
Der Vorrang ziviler Mittel, dass wir wirklich in aller Klarheit sagen, dass diese militärische Notlösung sozusagen nie der Hauptweg sein kann, sondern dass die entscheidenden Mittel zur Überwindung des Konflikts anderswo liegen müssen, also dass wir humanitär zunächst einmal alles tun, was wir nur können, damit diese Menschen in Würde über den Winter kommen können, dass wir vor allen Dingen politische Konzepte entwickeln, die gewährleisten, dass es eine Perspektive nach dem unmittelbaren Schutz der bedrohten Menschen gibt. Denn natürlich muss es Wege geben, die Menschen, die jetzt dem IS auf den Leim gehen, irgendwie wieder zu integrieren. Man kann sie nicht alle töten, das ist ja eine Perspektive, die grauenvoll wäre.
Deswegen müssen wir natürlich nach Möglichkeiten suchen, dass wir natürlich über Diplomatie, über eine Isolierung der Menschen, die da zur Gewalt anstiften, über das Austrocknen der Finanzen, die dazu führen, dass sie überhaupt diese Möglichkeiten bekommen haben, über einen breiten Konsens auch der Menschen, die im Islam Ansehen und Autorität haben, dass wir es darüber schaffen, solche Pervertierungen der Religion, des Islam zu isolieren. Und die Rekrutierung von Kämpfern zu unterbinden, das muss die Perspektive sein.
Dazu gehört natürlich zum Beispiel auch Bildung, dazu gehört, dass diejenigen, die sich jetzt als Loser fühlen, die keinen Ort in der zivilen Welt sehen und sich dann solchen Banden anschließen, dass die integriert werden können, dass die Angebote bekommen, dass sie auch wer sind, wenn sie nicht auf einem Panzerwagen des IS stehen. Das sind die entscheidenden Herausforderungen und da sind wir uns alle völlig einig darüber.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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