Irak

"Wir brauchen dort nicht mehr Waffen"

Drei Mitglieder US-Air-Force sind auf dem Weg zu einem Betankungsflugzeug, um US-Kampfjets in der Luft mit neuem Treibstoff zu versorgen.
Die USA stocken ihr Kontingent an Militärberatern im Irak auf. © AFP / US Air Force / Staff Sgt. Vernon Young Jr.
Moderation: Jürgen König |
Noch hat die EU noch nicht alles Nötige unternommen, um den Terror im Irak zu stoppen, erklärt der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick. Waffenlieferungen gehörten aber nicht dazu. Hier sieht er die USA in der Pflicht.
Jürgen König: Im Irak fliehen Hunderttausende vor der mörderischen Gewalt der Terrororganisation Islamischer Staat, kurz IS oder auch ISIS genannt. Das sind Mitglieder der religiösen Minderheit der Jesiden, das sind irakische und syrische Christen, das sind auch Schiiten und moderate Sunniten. Wir hören und lesen Schreckensnachrichten, wir sehen grauenvolle Bilder in den Abendnachrichten, und man fragt sich jedes Mal, was kann man tun? Was können wir Deutsche tun, was kann die EU tun?
Dies zu besprechen, treffen sich heute Vertreter von Hilfsorganisationen, die immer noch im Irak tätig sind. Sie treffen sich im Auswärtigen Amt. Auch die katholische Kirche ist vertreten mit dem Kindermissionswerk, mit Caritas International – am Telefon begrüße ich jetzt den Erzbischof von Bamberg, Doktor Ludwig Schick. Er ist auch Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. Herr Erzbischof, guten Morgen!
Ludwig Schick: Guten Morgen Ihnen, Herr König, und allen Hörerinnen und Hörern!
König: Herr Erzbischof, zunächst: Von den Angriffen im Norden des Iraks sind auch die Hilfseinrichtungen der katholischen Kirche betroffen. Der IS, so wird gemeldet, nahm zuletzt mehrere Standorte ein, in denen sich Hilfszentren der Caritas befinden. Welche Nachrichten haben sie von dort?
Schick: Die Nachrichten sind dramatisch, die Situation ist ganz schwierig, ganz bedrückend, besorgniserregend. Und unsere Zentren, also Zentren der Caritas, sind auch betroffen. Aber wir werden uns aus diesen Gebieten nicht zurückziehen. Seit Jahr und Tag sind wir vor allen Dingen im Kurdengebiet, also von Erbil aus tätig. Ich war vor zwei Jahren dort. Wir tun alles, was möglich ist, aber auch unsere Zentren sind von diesem schrecklichen Terror bedrückt und auch beeinträchtigt in ihrem Handeln.
König: Und ich stelle mir vor, Hilfe ist dort kaum anders als unter Lebensgefahr möglich.
Schick: Ja, das ist so, und wir können unseren Caritas-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern nur mit größter Hochachtung begegnen und sie loben, dass sie da in dieser Situation durchhalten. Es sind ja meistens Caritas-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter vor Ort, also es sind Kurden meistens, aber mit unserer Hilfe und unserer Assistenz, und auch von uns sind Leute unten.
"Es gibt sicher die Pflicht, mehr zu tun"
König: Die Bundesregierung hat sich bisher bei Themen wie Aufnahme von Flüchtlingen oder Waffenlieferungen sehr zurückhaltend verhalten. Das wurde vielfach kritisiert. Diese Zurückhaltung gab die Regierung dann gestern auf. Man prüfe die Lieferung defensiver Rüstungsprodukte in den Irak. Nicht-letale Ausrüstungsgegenstände, also Rüstungsgüter, mit denen nicht getötet werden kann, die könnten möglicherweise geliefert werden; also Schutzfahrzeuge, Nachtsichtgeräte oder auch Sprengfallendetektoren. Wie beurteilen Sie diesen Sinneswandel der Bundesregierung?
Schick: Wir haben immer gesagt, und die Bundesregierung hält ja auch weiter daran fest, dass keine Waffen in Krisengebiete geliefert werden. Das halte ich auch für richtig. Wir brauchen dort nicht mehr Waffen, sondern weniger Waffen. Auf der anderen Seite ist aber nötig, dass alles getan wird, dass dieser ISIS-Terror gestoppt wird, und alles, was dazu defensiv an Möglichkeiten geliefert werden kann, das sollte auch geschehen.
Porträtbild des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick.
Der Bamberger Erzbischof und Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Ludwig Schick© dpa / picture alliance / David Ebener
König: Nun hat ja aber die Bundesregierung auch Waffenlieferungen nicht mehr ausgeschlossen. Wenn es darum gehe, einen Genozid zu verhindern, sagte Frau von der Leyen, dann müsse auch das diskutiert werden. Wie würden Sie das diskutieren?
Schick: Die Bundesregierung muss ihre Entscheidungen treffen. Ich kenne die Einzelheiten jetzt nicht, die da erwogen werden. Aber bisher habe ich noch keine eindeutige Stellungnahme bekommen von der Bundesregierung, dass dieses Gesetz, das sie sich selber gegeben hat - keine Waffen in Krisengebieten - aufgehoben werden soll. Und ich halte es für richtig, dass nicht Waffen in diese Gebiete geliefert werden.
König: Gut. Andererseits, Washington liefert Waffen an die Kurden im Irak, und alle Welt sagt, das sei auch bitter nötig, weil die Terroristen der IS aus irakischen Beständen hochmodernes Gerät übernommen haben. Ich weiß, keine deutschen Waffen in Krisengebiete, aber dennoch: Im Irak droht ein Völkermord. Wie lange kann man sich da heraushalten? Gibt es nicht eine Pflicht, mehr zu tun?
Schick: Es gibt sicher die Pflicht, mehr zu tun, und was die Amerikaner machen, nämlich die ISIS-Truppen zu stoppen, auch mit Waffengewalt, das halte ich für richtig. Wir haben immer gesagt, dass es die Möglichkeit geben muss, auch wenn man gegen jeden Krieg ist, act to protect, also zu handeln, um zu schützen. Und wenn Menschen in Gefahr sind, wenn deren Leib und Leben in Gefahr sind - und das sind die Christen, das sind auch die Jesiden und andere -, dann muss man handeln. Und das tut die USA, und sie ist ja auch in einer Pflicht, denn viele Waffen, die jetzt die ISIS-Truppen haben, die kommen aus Amerika.
"Die EU und die UNO müssen viel deutlicher sprechen"
König: Wenn man aber sich heraushält als deutsche Bundesregierung, müsste man dann nicht wenigstens viel entschiedener versuchen, als das bisher geschehen ist, eine europaweite Initiative auf den Weg zu bringen.
Schick: Ja, dafür bin ich. Alle Kräfte müssen im Augenblick mobilisiert werden, um diesen Terror zu stoppen. Und ich meine, es müsste alles getan werden, dass die ISIS-Truppen entwaffnet werden, auch mit Luftangriffen, wie es die Amerikaner tun, um deren Waffen zu zerstören. Das scheint ja möglich zu sein. Die deutschen Nachrichten, die sprechen sehr negativ von den Erfolgen der Amerikaner, aber in amerikanischen Zeitungen lese ich doch Positiveres, dass diese Einsätze auch Erfolg haben.
Auf der anderen Seite muss alles getan werden, um die islamischen Staaten auch zusammenzuführen und alle islamischen Organisationen, die sich gegen diese ISIS-Truppen aussprechen. Das ist auch bisher viel zu wenig geschehen. Auch die EU und natürlich auch die UNO müssen noch viel deutlicher sprechen. Und ich meine, wichtig ist natürlich auch, mit humanitären Hilfen diejenigen, die jetzt doch aus diesen Kesseln der ISIS herauskommen und sich in den Nordirak flüchten können, zu unterstützen. Und was auch unbedingt nötig ist, die Regierung in Bagdad endlich zu bilden, damit die handeln kann. Es gibt vieles zu tun, was noch nicht getan worden ist, und damit könnte man die ISIS-Truppen sicher auch stoppen.
"Wirklich alles tun, damit dort Frieden wird"
König: Viel zu tun gibt es auch bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Auch da hat sich die Bundesregierung sehr zurückhaltend verhalten. Laut "Spiegel" sind aus Syrien bisher rund 50.000 Menschen nach Deutschland geflohen, darunter etwa 16.000 Kinder und Jugendliche. Rund 40 Prozent von ihnen hätten bisher keine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Also, wir haben etwa 20.000 Flüchtlinge aus dem syrischen Raum aufgenommen. Der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge hat das schon heftig kritisiert. Was sagen Sie, Herr Erzbischof, über welche Zahl sollten wir uns unterhalten?
Schick: Wir haben auch von katholischer Seite schon gefordert, dass mehr syrische Flüchtlinge aufgenommen werden müssen. Daran halten wir auch fest, und die Bundesregierung muss hier offener werden. Eigentlich, nach unseren Flüchtlingskonventionen, selbst nach unserem Grundgesetz ist es so, dass Menschen, die hierher kommen, weil sie Leib und Leben in ihren Ländern in Gefahr sehen, die müssen aufgenommen werden. Von daher geht es gar nicht so sehr um Zahlen, sondern es geht darum, dass jeder, der in seinem eigenen Land nicht leben kann und sich hierher flüchtet, auch aufgenommen werden muss.
Natürlich, das allerwichtigste ist, in Syrien, im Irak, in der ganzen Region dort Frieden herzustellen, dass die Menschen dort bleiben können. Ich war erst nach Ostern im Libanon. Dort flüchten sich viele Syrer hin, die natürlich wieder zurück möchten. Und das muss ermöglicht werden. Also Aufnahme ¬– alle, die hierherkommen, weil sie dort nicht leben können. Aber genauso wichtig: wirklich alles tun, damit dort Frieden wird und die Menschen dort bleiben können.
König: Herzlichen Dank! Ein Gespräch mit dem Bamberger Erzbischof Doktor Ludwig Schick. Er ist auch Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz. Herr Erzbischof, ich danke Ihnen!
Schick: Ich danke Ihnen, und einen guten Tag!
König: Ebenso!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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