Auf der Flucht vor El Kaida
Tausende syrische Flüchtlinge sind bereits in das autonome Gebiet Irakisch-Kurdistan geflohen. Jetzt drängen dort auch andere nach: Iraker aus einer Provinz, deren wichtigste Städte von einem El Kaida-Ableger kontrolliert werden.
Ein Innenhof: Überdacht mit Milchglas, auf dem Boden: Ein verschlissener, grüner Kunstfilzteppich. Plastikstühle sollen Gäste zum Plausch einladen. Ein billiger Abklatsch alter orientalischer Baukunst - mit ratterndem Generator. Das Hotel Karaman im Zentrum von Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Irakisch-Kurdistan.
In jedem der 16 spärlich eingerichteten Zimmer, die vom Innenhof des Hotels abgehen, haben ein bis zwei Familien Unterschlupf gefunden: alles in allem rund 160 Menschen. Sie gehören zu den laut Vereinten Nationen insgesamt etwa 400.000, die seit Ende des vergangenen Jahres geflohen sind – nicht aus Syrien, nein, aus einer anderen Provinz des Irak; aus Anbar, im Westen des Landes.
Viele sind nach Bagdad, Najaf oder Kerbala gegangen; und eben einige auch in die irakischen Kurden-Gebiete. Sayf, ein 28-jähriger Verkehrspolizist, der mit Frau und zwei Kindern im Hotel Karaman untergekommen ist, erzählt:
"Silvester 2013 war es, in dieser Zeit… sie kamen mit modernen Autos und modernen Waffen aus der Wüste; einer Region, die ihnen gehört. Sie waren viel stärker als die Armee; stärker als die Waffen der Armee."
Teures Leben in Irakisch-Kurdistan
Sie - das sind die Kämpfer von ISIS - der Organisation "Islamischer Staat im Irak und Groß-Syrien", dem Gebiet das gemeinhin Teile Jordaniens, Palästina, Libanon und eben Syrien umfasst. Ein El Kaida-Ableger. Und dessen Kämpfer nahmen Ende 2013 nach heftigen Schießereien mit regulären irakischen Einheiten die zwei wichtigsten Städte der Provinz Anbar, die im Norden an Syrien grenzt, ein: Fallujah und Ramadi. Die Auseinandersetzungen halten bis heute an – und treiben immer mehr Menschen in die Flucht.
Zumal noch eine weitere irakische Provinz, die im Norden an Syrien, im Westen aber unmittelbar an Kurdistan grenzt, zu einem Hort der El Kaida-Kämpfer geworden ist: Nineve. Zwar wird Nineves Provinzhauptstadt Mossul nicht wie Fallujah und Ramadi von ISIS-Kämpfern beherrscht, aber sie haben Mossul unterwandert; nutzen die Stadt als Drehscheibe von Syrien in den Irak und zurück. Anbar und Nineve; Fallujah, Ramadi und Mossul. Für die Kurden Provinzen und Städte, die Probleme bringen.
Lehrer Hamdi, der ebenfalls im Hotel Karaman untergekommen ist, klagt darüber, dass das Leben in Irakisch-Kurdistan sehr teuer ist. Pro Nacht und Zimmer muss jede Familie um die vierzig Dollar berappen; dazu kommen die täglichen Lebenshaltungskosten. In härteren Fällen springen den Irakern, die im eigenen Land zu Flüchtlingen wurden, Nichtregierungsorganisationen bei. Aber im Allgemeinen gebe es keine Unterstützung - da seien etwaige Ersparnisse schnell aufgebraucht.
"An allem ist Maliki schuld"
Für viele Kurden steht der Sicherheitsaspekt im Vordergrund, wenn es um irakische Araber geht, die nach Kurdistan fliehen; nicht deren Unterbringung und Versorgung. Denn: Vergangenen September wurde Erbil von einer Attentatsserie erschüttert. Mehrere Sprengsätze explodierten, sechs Menschen starben, mehr als vierzig wurden verletzt. Die Täter: arabische Iraker, die in Kurdistan zum Schein längere Zeit ein ganz normales Leben geführt hatten: mit regulärem Wohnsitz, als Angestellte einer Firma. Nun fürchten manche Kurden, dass sich unter den Flüchtlingen aus Anbar erneut Schläfer befinden - Terroristen.
Dabei ist ein Teil der irakischen Probleme offenbar Haus gemacht – und das, wie so oft bei derlei Vorgängen, auf Kosten der so genannten 'normalen' Menschen. So sagt der 28-jährige Sayf, der mit seiner Frau und zwei Kindern aus Ramadi ins Hotel Karaman nach Erbil geflohen ist:
"An allem ist Maliki schuld, der Regierungschef in Bagdad. Er ist am Terrorismus Schuld – er zerstört den Irak. Er ist an dem tiefen Graben zwischen Sunniten und Schiiten schuld."
Die Sunniten – sie stellen eine muslimische Glaubensgemeinschaft im Irak – und sind in der Minderheit. Die Bevölkerungsmehrheit stellen die Angehörigen einer anderen muslimischen Glaubensgemeinschaft: die Schiiten. Regierungschef Nuri al-Maliki ist einer von ihnen. Die Sunniten nun werfen den Schiiten vor, die ließen sie nicht am politischen Leben des Irak teilhaben; eben weil sie - wie Diktator Saddam Hussein - Sunniten sind. Die Schiiten, so drückt es Lehrer Hamzi aus, sagen 'ihr Sunniten seid Verwandte Saddams'.
Koste es, was es wolle
Tatsächlich kanzelt Maliki die Sunniten ab. Nach den Parlamentswahlen 2009 sagte er ihnen eine Beteiligung an der Regierung zu, brach sein Versprechen jedoch.
Heute ist Maliki nicht nur Regierungschef, sondern gleichzeitig Innen- und Verteidigungsminister, Geheimdienstchef und Oberbefehlshaber der irakischen Streitkräfte.
Maliki hat nur noch wenig schiitische Verbündete; seine einstigen Koalitionäre sind von ihm abgefallen. Deshalb braucht er, will er die Wahlen gewinnen, neue Unterstützer: Und daher heißt es nicht nur von Jaber aus Fallujah, Maliki komme es ganz gelegen, dass El Kaida-Kämpfer in Ramadi und Fallujah einmarschiert sind. Damit er sie bekriegen kann. Auf diese Weise sei es ihm möglich, den "starken Mann zu spielen" - bei den Schiiten, die sonst vielleicht anderen schiitischen Politikern ihre Stimmen gäben.
Ingenieur Jasser aus Fallujah sagt das - so wie viele andere Menschen, die im Hotel Karaman in Erbil untergekommen sind. Und irakische Politiker und westliche Diplomaten schließen sich ihnen zumindest in Hintergrundgesprächen an: Maliki wolle an der Macht bleiben, koste es, was es wolle. Ihn oder viele andere Iraker.