Ich habe Fotos von den Briefen gemacht und sie meinem Onkel in den USA geschickt. Der war hier seit 40 Jahren nicht mehr. Als er die Fotos gesehen hat, hat er geweint, weil all die Erinnerungen zurückgekommen sind.
Junge Existenzgründer im Iran
Nach offiziellen Angaben verlassen Zehntausende gebildete Iranerinnen und Iraner ihre Heimat. Wer bleibt, muss kreativ sein. © imago / NurPhoto
Leben jenseits der Mullahs
22:03 Minuten
Eine Zukunft im Iran – für immer weniger junge Menschen ist das vorstellbar. Aber es gibt noch welche, die sich eine Existenz aufgebaut haben, trotz der wirtschaftlichen und politischen Krise. Ist also ein freieres Leben am Persischen Golf möglich?
Arezoo steht startbereit im Innenhof eines der historischen Herrenhäuser in Yazd. Jetzt ist es ein Hotel. Die 31-Jährige ist selbstständige Reiseführerin für den Iran. Heute hat sie Heimspiel, sie führt durch ihre Heimatstadt Yazd – bei weit über 30 Grad. Die Wetterprognose sagt Staub in der Luft vorher. Yazd liegt in der iranischen Wüste.
Arezoo lacht: „Also wenn ich eine Wahl hätte, würde ich mich erst mal für den Pool entscheiden. Das ist mein Lieblingsort. Und dann würde ich einfach daheimbleiben.“
Die Hauptsaison ist im Frühjahr. Und die läuft nach den Corona-Jahren endlich wieder gut, sagt Arezoo. Seit fünf Jahren ist sie Reiseleiterin und führt Gäste aus der ganzen Welt durch den Iran.
Vor Corona kommen die vor allem aus Europa, beispielsweise aus Frankreich, den Niederlanden oder Deutschland. Jetzt sind es vor allem Südafrikaner, Russen, Japaner oder Australier.
Auslandsreisen sind kaum möglich
Sie verdient genug, um in normalen Zeiten gut über die Runden zu kommen und um ihrem Hobby nachzugehen.
„Ich bin schon nach Indien, Armenien, in die Türkei und vor drei Monaten zur Expo nach Dubai gereist. Ich bin da zu mehreren Pavillons von verschiedenen Ländern gegangen, in die ich nur schwer reisen kann. Darum war das echt großartig“, erzählt sie.
Mit iranischem Pass bekommt man für Länder wie Israel oder die USA nur schwer ein Visum. Dazu kommt, dass es wirtschaftlich keine normalen Zeiten mehr sind.
Auslandsreisen sind auch für Arezoo jetzt kaum noch möglich: „Weil es in diesen Tagen für Iraner teuer ist. Die iranische Währung hat an Wert verloren. Das zusammen macht es uns schwer in andere Länder zu reisen.“
Aber Arezoo hat gelernt, im Kopf zu reisen – mit ihren internationalen Gästen: „Ich lerne viel von ihnen, zum Beispiel über ihre Städte, über ihr Essen. Ich liebe Essen. Und wenn ich doch mal irgendwo hinreisen will, dann sind die Kontakte sehr hilfreich.“
Sie setzt sich die große schicke Sonnenbrille auf und macht sich mit ihrem kleinen Auto auf zur ersten Attraktion am Stadtrand von Yazd.
Die Millionenstadt Yazd liegt rund 600 Kilometer südöstlich von Teheran. Sie gilt als eine der ältesten und schönsten Städte des Iran. Auf den Dachterrassen der historischen Herrenhäuser taucht man ein in Tausendundeine Nacht.
Die Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe. Da lebt und arbeitet Dara. Er betreibt ein kleines Boutique-Hotel.
Preise haben sich verdoppelt
Dara wuchtet ein Bündel weißer Bettlaken auf den Rücksitz seines kleinen Autos. Es stehen eine Reihe an Besorgungen auf seinem Zettel. Zuerst geht es zur Wäscherei. Wie viel der 31-Jährige da wohl diesmal bezahlen muss? In diesen Tagen steigen die Preise im Iran fast täglich.
Die Preise haben sich verdoppelt, erfährt der junge Hotelbesitzer. „So viel habe ich nicht erwartet. Aber er hat mir gesagt, er wird bei mir nicht den doppelten Preis verlangen, weil wir gute Kunden sind. Ich habe mich dafür bedankt.“
Er rechnet mit 50 Prozent Aufschlag. Dara ist ein junger Mann mit dunklen kurzen Haaren und einer großen Brille. Er ist erst vor ein paar Jahren aus der Hauptstadt Teheran hierhergezogen, um sich einen Traum zu verwirklichen. Er renoviert das Haus seiner Großeltern, in dem so viele schöne Erinnerungen stecken.
„Wir sind immer in den Ferien zu Neujahr nach Yazd gekommen, um unsere Großeltern zu sehen. Da hat sich die ganze Familie getroffen, meine Onkel, und andere Verwandte. Manchmal waren wir zehn Leute und mehr. Da war das Haus voll, auch mit ganz vielen Kindern und wir haben überall hier gespielt“, erzählt er.
Als die Großeltern von 20 Jahren sterben, steht das Haus leer. Es droht zu verfallen, wird geplündert. Da wächst in Dara der Wunsch, es zu erhalten, nicht nur für sich. Das Haus steht inmitten der historischen Altstadt von Yazd.
Renovieren als Entdeckungsreise
Es ist eines der typischen persischen Häuser mit dicken Mauern aus einem Lehm-Stroh-Gemisch. Im schattigen Innenhof gibt es ein Wasserbecken, wie man es so oft in historischen Häusern im Iran findet.
Als er vor fünf Jahren seinen Job bei einer IT-Firma verliert, geht er das Projekt an. Die Renovierung wird zur Entdeckungsreise. Im Keller findet er unter Schutt und Staub alte Koffer seiner Eltern und Onkel, voll mit alten Briefen.
Er öffnet einen Koffer und holt eines der alten iranischen Magazine raus: „Das ist noch aus der Zeit vor der Revolution. Und da kann man sehen, wie die Medien damals waren.“
Man sieht Frauen in engen, knappen Kleidern mit großzügigem Dekolleté – und ohne Kopftuch. Es sind Fotos wie aus einem westlichen Land. Dara wirkt für einen Moment gefesselt, als würde er sich nach dieser Zeit sehnen.
Er liebt sein Land und will nicht auswandern
Er liebt sein Land und die Kultur. Im Gegensatz zu vielen anderen jungen Menschen im Iran will er nicht auswandern, auch wenn das Leben hier von Tag zu Tag schwerer wird. Auf seiner Einkaufstour geht es jetzt zum Obst- und Gemüsehändler. Dara kauft unter anderem Honigmelonen, Gurken, Orangen und Kiwi.
„Die Preise für Obst und Gemüse haben sich nicht groß geändert – also seit der letzten Woche, nicht was die letzten zwei Monate angeht. Aber ich kann nicht auf die Preise schauen. Ich muss die Sachen kaufen, auch wenn die zehn Mal so teuer sind. Ich habe keine Wahl“, sagt er.
Zwei Jahre lang renoviert Dara das alte Haus. Dann eröffnet er sein Wadi-Haus, ein kleines Hotel mit drei Zimmern. Eines davon liegt in einem zweiten Keller. Er vermietet es nur im Sommer. Im Winter ist es zu feucht, erklärt er:
„Hier drin ist immer die gleiche Temperatur“, erzählt er. „ch erinnere mich, früher ist unsere Familie an heißen Sommertagen mittags immer hierunter gegangen. Das war der einzig kühle Raum. Wir haben friedlich geschlafen. Und hier waren Wassermelonen gelagert. Wenn wir aufgewacht sind, haben wir Melone gegessen und uns dann wieder hingelegt.“
Leben auf der Dachterrasse
Vom Keller geht es über große Stufen rauf auf das Flachdach. Der Ausblick über die Stadt ist umwerfend. Überall gibt es Dachterrassen.
„Für die Leute in Yazd ist ihr Dach wie ein zweiter Innenhof. Sie verbringen da viel Zeit. Ich habe gestern hier oben mit Gästen gegrillt. Das fühlt sich dann wie ein Abend mit Freunden an, nicht wie Arbeit“, sagt er.
Unten sind Gäste vom Ausflug zurückgekommen. Sie machen es sich auf den vielen Kissen unter einem Sonnensegel gemütlich. Ermaran eine junge Frau im weißen bodenlangen Sommerkleid zieht das Kopftuch runter. Die langen welligen Haare fallen über die Schultern.
„Es ist so friedlich hier. Man ist ganz weg vom stressigen Leben, von Luftverschmutzung und Stau in Teheran. Ich wünschte, ich könnte hier leben“, sagt sie.
Viele können sich Urlaub nicht leisten
Seit Monaten ist er fast immer ausgebucht. Aber wie lange noch? Dara hat zwar auch internationale Gäste, beispielsweise aus Deutschland, aber überwiegend sind es Iraner und die können sich Urlaub selbst im eigenen Land kaum noch leisten.
Dazu kommt, dass er wohl aufschlagen muss: „Ich habe ganz vielen Leuten gesagt, dass die Preise den Sommer über stabil bleiben. Nur – das Problem ist, ich kann gar nicht richtig kalkulieren, weil man ja nicht weiß, ob sich die Preise insgesamt bis zur nächsten Woche halten.“
Wirklich optimistisch ist er nicht, was die Zukunft seines Landes und seine eigene angeht.
Aber das Hotel aufgeben und doch auswandern – das kommt für ihn nicht infrage: „Selbst wenn keine Gäste kommen – das ist mein Zuhause. Ich lebe hier. Ich kann doch nicht einfach mein Zuhause zumachen. Und ich werde die Hoffnung nicht verlieren.“
Er schließt die schwere Holztüre zur Straße und schiebt den Riegel vor, als würde er zumindest für ein paar Stunden die Probleme von seinem friedlichen Kleinod aussperren wollen.
Mit der Hitze wird es ruhiger
Arezoo, die Reiseführerin, kurvt mit ihrem kleinen Auto bei offenem Fenster entspannt durch die Straßen von Yazd. Jetzt im Sommer ist es auch bei ihr ruhiger. Nur ein paar Touristen lässt die Hitze unbeeindruckt. Sie warnt schon mal vor.
Der härteste Part ist am Anfang der Sightseeingtour. Da geht es in der prallen Sonne 80 Stufen zu den Türmen des Schweigens rauf. Dort finden noch bis vor 70 Jahren Himmelsbestattungen der Zarathustrier statt, erklärt die junge Frau:
„Die Türme des Schweigens – da hat man Körper von Toten hingebracht, auf den Berg. Dann sind die Aasfresser gekommen und haben die Körper gefressen. Das ist schon was sehr Spezielles. Aber man sieht da keine Gebeine mehr.“
Stufe um Stufe geht es rauf auf dem staubig-trockenen Boden in einer kargen Landschaft ohne Baum, ohne Grün. Der Wind bläst kräftig. Arezoo macht eine kleine Pause in einer gemauerten Höhle kurz vor dem Gipfel.
„Früher war die Medizin nicht so fortgeschritten. Vielleicht hatte jemand einen Herzinfarkt. Sie haben dann einfach nicht gewusst, ob derjenige tot oder noch am Leben war. Darum haben sie den Körper hierher gebracht“, erzählt sie.
„Es gab zwei trainierte Hunde. Sie haben was zu Fressen auf die Brust des Menschen gelegt. Wenn die Hunde gekommen sind und sich das geholt haben, war klar, die Person ist tot. Wenn sie es aber liegengelassen haben, dann hat er überlebt.“
Kopftuchvorschriften locker sehen
Arezoo schwitzt unter ihrem knallroten Tuch, das sie über die kurzen schwarzen Haare um den Kopf geschlungen hat. Sie nimmt es kurz ab und knotet es zu einer Art Mütze. So entspricht es zwar nicht mehr den iranischen Kopftuchvorschriften, aber sie hat den Nacken frei und das Tuch schützt noch vor der Sonne.
Hier oben geht das schon, sagt die 31-Jährige mit den großen dunklen Augen. Auch ihre kurze weiß-blau-gestreifte Bluse mit den hochgekrempelten Ärmeln und die enge Jeans sind nicht ganz konform.
Es geht die letzten Meter ganz nach oben und dann durch einen verwinkelten Eingang. Der soll den direkten Blick nach drinnen verwehren, denn früher sind hier die Toten aufgebahrt. Eine dicke Mauer umschließt den kreisrunden Innenbereich auf dem Plateau des Gipfels. Geier und Raben machen sich da einst über die toten Körper her – kein schöner Anblick, sagt Arezoo und verzieht das Gesicht.
„Ich weiß ziemlich genau, was ich da erzähle“
Sie drückt sich an die Mauer, um etwas Schatten abzubekommen. Die Sonne steht inzwischen fast senkrecht am Himmel.
Ich habe einen Onkel, der erinnert sich noch an all das. Für mich wird das dadurch zu lebendiger Geschichte. Immer wenn ich etwas zu einer Zeremonie oder einem Brauch erkläre, dann fühlt sich das so an, als würde ich zu dieser Geschichte gehören, und ich weiß einfach auch ziemlich genau, was ich da erzähle.
Arezoo ist also eine von ihnen – eine Zarathustrierin. Sie gehört damit einer Jahrtausende alten Religion an. Die geht auf den iranischen Priester Zarathustra zurück. Von den einst mehreren Millionen Anhängern sollen heute weltweit nur noch rund 130.000 übrig sein. 25.000 davon im Iran und knapp die Hälfte davon in Yazd.
Am Auto angekommen, schlingt sie ihr rotes Tuch wieder den iranischen Kopftuchvorschriften entsprechend um den Kopf. In ihrer Religion wäre das nicht nötig. Das islamische Regime dulde die Zarathustrier im Land.
Plötzlich wägt sie ihre Worte sehr genau ab, spricht distanziert von den Zarathustriern. „In jeder Stadt gibt es auch Gemeinden nur für junge Leute. Die halten dann auch andere Zeremonien ab und andere Sportveranstaltungen, wo sie sich unter sich treffen und kennenlernen“, sagt sie.
Ob Zarathustrier auch Muslime heiraten können? Arezoo macht eine abwehrende Handbewegung. Darauf will sie nicht antworten.
Auf dem Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit geht es durch einen neueren Stadtteil: „Das ist der moderne Teil der Stadt. Man findet hier viele große Wohnblöcke, Einkaufszentren und Coffee Shops. Vor allem junge Leute mögen das Viertel.“
Solche Viertel gibt es auch in Shiraz, einer Millionenstadt rund 400 Kilometer südwestlich von Yazd. Farshad hat zwei dieser modernen Coffeeshops und zwar ganz nach westlichem Vorbild.
Solche Klänge sind vor nicht langer Zeit in iranischen Cafés noch unüblich: wilde Gitarrenmusik mit amerikanischen Texten. Melika arbeitet in dem einen Coffeeshop an der Kasse.
Café mit westlicher Atmosphäre
Ob alles gepasst hat, fragt sie einen Kunden, der bezahlen will und schaut ihn freundlich mit ihren dunklen Augen an. Die 21-Jährige trägt ein weites Karohemd, dazu das obligatorische Kopftuch. Nur, es rutscht der Studentin immer wieder runter. Irgendwann lässt sie es dann da.
Keiner beschwert sich, keiner schaut sie schräg an, schon gar nicht ihr Chef Farshad. Der setzt in seinem Café auf eine moderne Atmosphäre und das bedeutet für ihn: die westliche Coffeeshop-Atmosphäre. Die bringt er vor einigen Jahren aus Italien mit, denn der Iran ist eigentlich ein Land der Teetrinker.
„Die Café-Branche hat es geschafft, das Geschäft insgesamt zu modernisieren. Cafés sind rausgekommen aus der dunklen Kelleratmo und sind zu Straßencafés geworden. Da können Sie unterm Sonnenschirm an der frischen Luft sitzen und sich einfach direkt mit jedem unterhalten. Da geht es einfach sehr locker zu“, sagt er.
Zuerst lernt Farshad Schreiner, wie sein Vater. Der ist in dem Beruf sehr angesehen. Aber ihm ist schnell klar, das will er nicht weitermachen. Er fängt in einem normalen Café an zu arbeiten, merkt aber, er würde gerne selber Chef sein.
"Ich achte sehr auf mein Café"
Heute, mit 37, ist er das, von insgesamt 50 Angestellten in seinen beiden Cafés. Er trägt ein schwarzes Hemd und Stoffhose. Seine schwarz-grauen glatten Haare hat er nach hinten gegelt. Er ist ein Macher.
Während er drei Männer mit Handschlag und Umarmung begrüßt, wandert sein Blick über die Terrasse, ob alles in Ordnung ist: „Ich weiß sogar, welche Pflanzen heute frische Blüten bekommen haben. Ich achte sehr auf mein Café! "
Er hat große Grünpflanzen aufstellen lassen. Sie trennen die Terrasse des Cafés von der viel befahrenen Straße. An der Fensterscheibe steht in weißen Buchstaben: Espresso. Alles ist durchgestylt.
Der Iran ist seit Jahren politisch und wirtschaftlich weitgehend isoliert. Westliche Firmen gibt es offiziell nicht, also auch keine Starbucks-Filialen, wohl der Marktführer unter den Coffeeshops.
Für Farshad ein wichtiger Konkurrent weniger: „Natürlich ist das einerseits gut für uns, weil wir mehr Aufmerksamkeit kriegen. Und andererseits, wenn starke Marken das System in einem Land ergänzen, führt das dazu, dass alle Zweige dieser Branche wachsen.“
Die US-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atomabkommen von 2015 erschweren internationalen Handel. Beispielsweise ist der Zahlungsverkehr betroffen. Mal eben italienischen Kaffee importieren geht nicht, weil man die Rechnung nicht überweisen kann.
Farshad bremst das nicht. Er kauft hier direkt vom iranischen Kaffeeröster, erklärt er. „Kaffeeröstereien im Iran produzieren sehr gute Qualität und als Cafébesitzer finde ich das natürlich richtig gut.“
Kopftuch am Hals, Zigarette in der Hand
Ein Handwerker kommt auf Farshad zu. Er soll die Klimaanlage im Café reparieren. Er erklärt Farshad, dass er wegen der US-Sanktionen für dieses Modell keine Ersatzteile herbekommt. Für Farshad kein Problem. Dann soll der Handwerker das Ersatzteil eben selber bauen. Es scheint, als würde er für alles eine Lösung finden.
Der Iran ist eines der Länder, in denen Sie problemlos Geschäfte machen können. Man kann hier wirklich leicht arbeiten. Natürlich stimmt es, dass es Sanktionen gibt und Preisschwankungen. Aber die Menschen hier passen sich an.
Einer der Mitarbeiter hat Glasreiniger in einer Vitrine stehen lassen. Er ermahnt ihn. Dafür erntet er Respekt. Sein junges Team schätzt ihn und was er hier geschaffen hat.
Es ist Mittagszeit und gut was los. Der 37-jährige geht draußen auf der Terrasse von Tisch zu Tisch und hält überall einen kurzen Small Talk. Eine junge Frau trägt ein bauchfreies Top unter ihrer offenen Bluse. Andere rauchen Zigarette, haben schicke Handys und das Kopftuch um den Hals.
An einem Tisch sitzen Marjam und Anna. Sie fallen auf. Sie tragen ihr Kopftuch streng gebunden, so dass kein Haar herausschaut. Anna erklärt, dass sie auf einer Behörde arbeiten.
Da ist das Vorschrift: „Im Iran können viele junge Menschen, wenn sie ungestört sein wollen, vielleicht mal zusammen im Auto sein. Ich denke, im Café hier ist das netter. Da beschwert sich keiner, und sie können stundenlang ohne Probleme einfach zusammensitzen.“
Iranische Regierung hat Kontrollen verschärft
Viele hatten vor einem Jahr mit der Wahl des ultrakonservativen Ebrahim Raisi zum Präsidenten befürchtet, dass er Freiheiten wieder einschränken würde, es mehr Kontrollen und auch Strafen in den modernen Coffeeshops geben würde. Farshad fährt sich mit der Hand durch die gegelten Haare.
„Niemand fragt Sie, warum hier alles so ist wie es ist, und es sagt zum Beispiel auch keiner: ‚Das ist nicht in Ordnung‘. Wir respektieren und befolgen alle Regeln und Vorschriften“, sagt er. „Die Leute kommen, um einen Kaffee zu trinken und einfach ihrem Alltag nachzugehen.“
Ganz so einfach ist es nicht. Durchs Netz kursiert eine Geschichte aus Teheran. Demnach hat es eine Kontrolle in einem ähnlich modernen Coffeeshop gegeben. Alle Bedienungen wurden angehalten, Hijab zu tragen, also ihr Haar unter dem Kopftuch verschwinden zu lassen.
Sie haben gekündigt, heißt es in den Posts. Einige Wochen später sind auch auf dem Instagram-Account von Farshads Coffeeshop plötzlich Fotos zu sehen, wo nur noch weibliche Angestellte und Gäste mit korrekt sitzendem Kopftuch zu sehen sind. Die iranische Regierung hat die Kontrollen in den letzten Wochen massiv verschärft.
Arezoo ist inzwischen beim nächsten Heiligtum der Zarathustrier angekommen, dem Feuertempel von Yazd. Drinnen können sich Touristen hinter einer großen Glasscheibe eine Flamme ansehen, die angeblich seit 1500 Jahren brennt, erklärt die 31-Jährige. „Jeden Morgen vor Sonnenaufgang legt ein Priester Holz am Feuer nach. Er darf nur trockenes Holz verwenden.“
In ihrer Religion sind die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft heilig. Die junge Reiseleiterin hat sich noch was Besonderes für die Tour aufgehoben. Einen kühlen Ort. Es geht in eines der edlen Hotels in der Altstadt von Yazd.
Normalerweise kommt man da nicht so einfach rein, aber Arezoo ist gut vernetzt in der Stadt. Im Hotel begrüßt man sie freundlich. Deren Gäste sind oft auch ihre Kunden.
In einem Raum, der zum großen Innenhof offen ist, gibt es einen Windturm, der noch intakt ist. Yazd ist bekannt für seine historischen Windtürme. Man könnte sie als die Vorläufer der Klimaanlagen bezeichnen. Der Turm ist nach unten offen, darunter ein kleines Wasserbecken, das allerdings leer ist.
Arezoo stellt sich rein und spürt einen kühlen Luftzug: „Man sieht hier unter diesem Windturm einen unterirdischen Kanal. Das Wasser darin hat den Wind, der durch den Turm hier hereinkam, abgekühlt. So etwas findet man nicht unter allen Windtürmen, nur in besonderen Gebäuden, wie diesem, das mal einem Geschäftsmann gehört hat."
Der Iran ist ihre Zukunft
Es geht wieder raus in die Hitze. Sechs Stunden war Arezoo an diesem Tag unterwegs.
„Ich liebe das“, sagt sie. „Denn ich treffe verschiedene Leute aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Kulturen. Und was ich immer wieder spannend finde, manche Emotionen sind sehr ähnlich oder sogar gleich bei allen Menschen auf der ganzen Welt.“
Was das ist, behält sie für sich. Diese Begeisterung und Leidenschaft für ihren Job teilt sie mit Farshad, dem Coffeeshop-Besitzer und Dara, dem jungen Hotelchef. Alle drei sehen ihre Zukunft im Iran.