Proteste im Iran

Deutschland darf nicht untätig zuschauen

Eine weinende iranische Frau bei einer Demonstration in Istanbul am 2. Oktober 2022.
Eine weinende Frau bei einer Soildaritätsdemonstration im türkischen Istanbul: Die deutschen Reaktionen auf die Freiheitsproteste im Iran sind zu zaghaft, kritisiert Bijan Moini. © imago/ Zuma Wire / Tolga Ildun
Ein Kommentar von Bijan Moini · 06.10.2022
Im Iran kämpfen die Menschen für ihre Freiheit. Und Deutschland? Tut nichts, kritisiert der Jurist Bijan Moini, weil Profitinteressen Vorrang vor Menschenrechten hätten. Die durchzusetzen, sei aber kein Luxus, sondern überlebenswichtig, auch für uns.
Während in Iran ein Sturm ausbrach, der ein mörderisches Regime ins Wanken brachte, war hierzulande lange nur ein laues Lüftchen spürbar. Zaghaft reagierte die deutsche Politik, zaghaft berichteten auch die Medien.
Gäbe es nicht Twitter und würden nicht iranischstämmige Journalistinnen wie Natalie Amiri oder Gilda Sahebi uns unermüdlich mit Nachrichten versorgen – wir hörten von der neuen Front im Freiheitskampf nicht viel.

Desinteresse, das einem Muster folgt

Dieses Desinteresse folgt leider einem Muster. Als Putin Krieg um Krieg führte, Gegner ins Gefängnis warf und die Medien drangsalierte – da trieben wir weiter regen Handel mit dem Land, importierten Rohstoffe und bauten sogar die Lieferwege aus.
Als die chinesische Regierung Bürgerrechtler verschwinden ließ, die Uiguren zu Hunderttausenden in Lager warf und Hongkong die Freiheit raubte – da investierten deutsche Konzerne weiter Milliarden in das Land und verrenkte sich unsere Regierung in rhetorischer Zurückhaltung.
Die Gründe dafür sind stets dieselben: Der Freiheitskampf scheint weit weg zu sein, ein Sieg unwahrscheinlich und unsere wirtschaftlichen Interessen überwältigend. Das alles trügt, wie Russlands Angriff auf die Ukraine eindrucksvoll zeigt.

Fragwürdiges Dealen um den Atom-Deal

Im Falle Irans schützt die deutsche Regierung mit ihrer Zurückhaltung nicht laufende Geschäfte, sondern die Aussicht auf künftige: Seit letztem Jahr wird über eine Wiederbelebung des Atom-Deals verhandelt, der 2018 von Donald Trump gekündigt wurde.
Das iranische Regime soll danach auf Atomwaffen verzichten, im Gegenzug hebt der Westen Wirtschaftssanktionen auf. Doch Israel, das von Irans Zugeständnis profitieren soll, war selbst stets gegen den Deal, weil Irans Verpflichtungen nicht weit genug gingen und dem Regime nicht zu trauen sei. Auch Saudi-Arabien war dagegen.
Diese Einwände verfingen im Westen nicht. Denn es gibt jenseits der Sicherheitspolitik einen zweiten Grund für unser Drängen auf den Atom-Deal: Mit der Aufhebung der Sanktionen öffnen sich die Türen zu einem großen Markt.

Wirtschaftlicher Profit schlägt Menschenrechte

Siemens und andere warten schon lange darauf, ihre Geschäfte in Iran wieder hochzufahren. Doch massive Investitionen in das Land stärken nur das iranische Regime. Für freiheitsliebende Menschen im Land wäre es ein Schlag in die Magengrube, der ihnen die Luft zum Protestieren rauben würde.
Menschenrechte durchzusetzen, ist kein Luxus, sondern überlebenswichtig. Eine Politik, die unsere wirtschaftlichen Interessen über Frieden und Freiheit stellt, ist nicht nur moralisch falsch, sie schadet uns auch selbst: Wir können als Land und als Gesellschaft Freiheit und Wohlstand nur bewahren, wenn auch die Menschen in Russland, China und Iran frei sind.
Andernfalls werden wir mit ihnen leiden unter der Willkür und den Aggressionen ihrer Herrscher.

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Am Montag twitterte Außenministerin Baerbock nach massiver Gewalt gegen iranische Studierende, wie schwer sie daran trage, dass unsere außenpolitischen Möglichkeiten begrenzt seien. Das mag stimmen, aber ausgeschöpft haben wir sie noch lange nicht.
Die EU plant Sanktionen gegen Individuen und bestimmte Einheiten des Staates. Das wahre Druckmittel gegenüber dem Regime ist aber der Atom-Deal. Wir sollten ihn ruhen lassen, bis wir darüber mit einer frei gewählten Regierung verhandeln können.

Eine neues Credo für die Außenwirtschaftspolitik

Dieses Credo sollte unsere Außenwirtschaftspolitik ganz allgemein anleiten: Nie wieder dürfen wir uns von aggressiven, menschenverachtenden Regimen abhängig machen. Handel und Investitionen müssen verknüpft werden mit der Achtung der Menschenrechte und des Friedens.
Das mag uns kurzfristig etwas kosten. Aber langfristig zahlt es sich tausendfach aus. Und es gibt uns die Freiheit, anderen dabei zu helfen, frei zu sein.

Bijan Moini ist Rechtsanwalt und Politologe und leitet das Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nach dem Rechtsreferendariat in Berlin und Hongkong arbeitete er drei Jahre für eine Wirtschaftskanzlei. Dann kündigte er, um seinen Roman „Der Würfel“ zu schreiben (2019, Atrium). Zuletzt erschien von ihm bei Hoffmann und Campe „Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt“ – ein anekdotischer Überblick über das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Bijan Moini
© Thomas Friedrich Schäfer
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