Rosige Analysen sind irreführend
Hat sich der Iran unter der Präsidentschaft Hassan Rohanis grundlegend verändert? Man solle sich von der positiven Tendenz politischer Analysen nicht täuschen lassen, warnt der deutsch-iranische Politologe Ali Fathollah-Nejad: Die Islamische Republik sei von Kontinuität geprägt.
Betrachtet man das Gros politischer Analysen, so fällt auf, dass sich die Tendenz, über Iran zu berichten, deutlich umgekehrt hat. Seit der Pragmatiker Hassan Rohani vor zwei Jahren Präsident geworden ist, erscheint die Politik Teherans in nahezu gleißend positivem Licht. Während sie noch zu Amtszeiten des Rechtspopulisten Mahmud Ahmadinejad als die Inkarnation des Bösen porträtiert wurde.
Doch beide Narrative waren und sind kaum geeignet, die komplexe Realität in der Islamischen Republik zu erfassen. Es drängt sich der Verdacht auf, als wollten Beobachter mit wohlwollenden Berichten die internationalen Verhandlungen stützen – ein Phänomen, das man "embedded political analysis" nennen könnte.
So suggerieren viele Analysen, dass sich mit Rohani die Islamische Republik grundlegend verändert hätte. Vielmehr bewegt sich jede Veränderung, die es durchaus festzustellen gibt, im Rahmen einer Kontinuität.
Gewiss existiert ein Wettstreit zwischen Fraktionen des ausschließlich islamistischen Spektrums. Dieser täuscht jedoch über das fraktionsübergreifende Bewusstsein der politischen Elite hinweg. Ihr gemeinsamer Nenner, ihre absolute Priorität ist das Überleben des Regimes.
Gigantisches Ausmaß an Problemen
Auf der anderen Seite überzeugen jene Lesarten keineswegs, die jegliche Veränderungen in der iranischen Politik ignorieren. Sie sind eher dogmatisch, zumal wenn sie wie ein Mantra durch die Iran-Kommentare neokonservativer Kreise in Israel und dem Westen ziehen.
Sicherlich hat die neue außenpolitische Schule der Regierung den Ausgleich mit dem Westen auf ihre Fahnen geschrieben. Doch dass die Revolutionsgarden im Irak und in Syrien eine unheilvolle Politik betreiben, wird kaum benannt.
Zudem verkennen die wohlwollenden Experten das gigantische Ausmaß der Probleme in Iran. Noch immer ist die große Mehrheit der Bevölkerung systematisch von politischer und wirtschaftlicher Beteiligung ausgeschlossen. Die Sanktionen des Westens haben den autoritären Staat nicht geschwächt, sondern seine Macht gegenüber der Gesellschaft vergrößert.
Positiv wird sich das Land nicht entwickeln, solange Arbeitslosigkeit und Armut alarmierend hoch, die Abwanderung der Fachleute weltweit rekordverdächtig sind, solange Andersdenkende, Minderheiten, Frauen, Studenten, Arbeiter und jegliche soziale Bewegungen unterdrückt, die Presse zensiert, kulturelle und akademische Freiheiten beeinträchtigt werden. Zur traurigen Realität gehören auch die weltweit größte Hinrichtungsrate und verhängnisvolle Umweltkatastrophen.
Rohani kürzt soziale Ausgaben
All das, wird uns suggeriert, will die Regierung Rohani anpacken. Doch der Budgetplan für das laufende Jahr setzt gegenteilige Akzente. Er kürzt soziale Ausgaben, während der Sicherheits- und Militärapparat stärker alimentiert wird.
Zweifelsohne ist der Verhandlungs- und Annäherungsprozess zwischen Iran und dem Westen längst überfällig und sollte weiterbetrieben werden. Wünschenswert, wenn nicht gar notwendig, wäre es jedoch, wenn Beobachter keine allzu offensichtliche „politische Begleitung" dieses Prozesses betrieben, sondern nüchtern und kritisch die Lage um und in Iran beschreiben würden.
Denn nur unabhängige Analysen sind für politische Beratung oder wissenschaftliche Forschung hilfreich. Diese lassen sich an der Identifizierung von Machtstrukturen und Interessenlagen bei allen Parteien messen. Hingegen verdecken ausschließlich auf die Eliten beschränkte Analysen, den Blick auf sozio-ökonomische und gesellschaftspolitische Konfliktlinien.
Gerade letztere könnten aber – wie die "arabischen Rebellionen" demonstriert haben – für die zukünftige Entwicklung ausschlaggebend sein.
Ali Fathollah-Nejad ist Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Der deutsch-iranische Politologe studierte in Frankreich, Deutschland und den Niederlanden, promovierte über "Internationalen Beziehungen" an der School of Oriental and African Studies in London (SOAS).
Er ist zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Orient-Institut (DOI) sowie am Centre of International Cooperation and Development Research (CECID) der Université libre de Bruxelles (ULB). Er lehrte in Berlin und London über die Themen "Iran" sowie "Globalisierung und Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten". https://soas.academia.edu/AliFathollahNejad
Er ist zudem wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Orient-Institut (DOI) sowie am Centre of International Cooperation and Development Research (CECID) der Université libre de Bruxelles (ULB). Er lehrte in Berlin und London über die Themen "Iran" sowie "Globalisierung und Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten". https://soas.academia.edu/AliFathollahNejad