"Gefährliche Eskalation"
Mit der Hinrichtung von 47 Häftlingen, darunter auch eines schiitischen Geistlichen, in Saudi-Arabien wolle der saudische König seine Macht nach innen sowie nach außen gegenüber dem Iran beweisen, so der Islamwissenschaftler Michael Lüders. Dies heize die Spannungen in der Region weiter an.
Wegen Terrorismusvorwürfen hat die Regierung in Saudi-Arabien 47 Häftlinge hinrichten lassen, darunter auch den prominenten schiitischen Geistlichen Scheich Nimr al-Nimr. Er galt als scharfer Kritiker des Königshauses.
Mit dieser Reaktion wolle der saudi-arabische König Salma, der erst im vergangenen Jahr an die Macht gekommen ist, beweisen, dass er fähig sei, sowohl in der Innenpolitik als auch in der Außenpolitik mit harter Hand zu regieren, sagte der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders im Deutschlandradio Kultur.
"Er glaubt, auf die Art und Weise die innenpolitischen Gegner wie vor allem auch den außenpolitischen Gegner Iran in Schach zu halten. Ob diese Gleichung aufgeht, das ist natürlich eine ganz andere Frage. Möglicherweise hat die saudische Führung den Bogen jetzt überspannt."
Als Reaktion auf die Hinrichtungen hatten Demonstranten die saudische Botschaft in Teheran gestürmt und angezündet. Der oberste geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, erklärte, die Rache Gottes werde saudische Politiker treffen. Das sei "ein Ausdruck einer gefährlichen Eskalation", so Lüders, die sich in Stellvertreterkriegen bereits in der Vergangenheit und in der Gegenwart geäußert habe.
"Der Krieg in Syrien beispielsweise ist auch ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien, das die Islamisten dort unterstützt und dem Regime im Iran, das die Regierung, das Regime von Bashar al-Assad unterstützt. In der Vergangenheit gab es immer wieder Spannung in dieser Angelegenheit. Auch der Krieg im Jemen, den Saudi-Arabien nach Kräften schürt, wird aus saudischer Sicht vor diesem Hintergrund gesehen: wir in Saudi-Arabien, die Grals-Hüter der sunnitischen Lehre, gegen den, den Sunniten, vor allem den Wahabiten in Saudi-Arabien, verhassten schiitischen Iran. Der Wahabismus ist die Staatsideologie in Saudi-Arabien und er verkörpert eine ultrakonservative Lesart der sunnitischen Lehre. Und aus Sicht der Wahabiten sind die Schiiten Ketzer, Häretiker. Und wenn man die offiziellen Ansprachen verfolgt von wahabitischen Predigern mit Blick auf Schiiten, dann erinnert das fatal an den Duktus der Nationalsozialisten gegenüber den Juden; und in soweit ist die Stimmung sehr aufgeheizt. Und die Schiiten ihrerseits sehen in den Wahabiten einen großen Feind, den sie nach Kräften zu bekämpfen suchen."
"Es geht um Macht"
Wie so oft, wenn religiöse Konflikte geschürt werden, gehe es auch bei dieser Auseinandersetzung um Macht, sagte Michael Lüders. Weil der Iran im vergangenen Sommer den Atom-Vertrag mit westlichen Staaten unterzeichnet hat, könne das Land damit rechnen, dass die Wirtschaftssanktionen gegen die Islamische Republik aufgehoben werden.
"Das bedeutet, dass der Iran nunmehr eine sehr starke Wirtschaftsmacht werden wird in der Region. Das beunruhigt sowohl die israelische Führung wie auch die saudische. Und Saudi-Arabien zeigt vor allem im Krieg im Jemen, aber jetzt auch mit der Hinrichtung eines führenden schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien harte Kante gegenüber den Iran. Und das verheißt nichts Gutes. Die Spannungen werden auch deswegen noch stärker, weil während der Pilgerfahrt nach Mekka im vergangenen Spätsommer zahlreiche schiitische Pilger ums Leben gekommen sind. Das allein ist schon schlimm genug. Aber zahlreiche Schiiten, die auf der Pilgerfahrt in Mekka waren, sind schlechtweg verschwunden. Darunter der iranische Botschafter im Libanon. Niemand weiß, wo er sich aufhält. Er ist nicht unter den Toten gewesen, dieser Massenpanik in Mekka. Aber die Saudis behaupten, sie wüssten nicht, wo er sich aufhalte. Und das alles hat sehr viel Verärgerung ausgelöst im Iran. Das erklärt auch die massiven Reaktionen, etwa die Erstürmung der saudischen Botschaft in Teheran."
"Wahabitische Staatsislam ist mit Ursache für radikalen Islamismus"
Saudi-Arabien sei ein sehr schwieriger Verbündeter für die USA und die Europäische Union, so Lüders, der auch nicht hilfreich sei im Kampf gegen den Islamischen Staat, wofür das Land offiziell gebraucht werde.
"In Wirklichkeit aber ist dieser wahabitische Staatsislam in Saudi-Arabien eine der Ursachen dafür, dass radikale Islamisten von Marokko über Zentralasien bis nach Indonesien sehr stark geworden sind und unterstützt werden von Saudi-Arabien mit Geld und mit Waffen. Nur, da mag niemand rangehen. Denn Saudi-Arabien ist ein wichtiger Wirtschaftspartner, der weltweit größte Erdöllieferant und letztendlich auch der größte Käufer europäischer und amerikanischer Waffen."