"Selbst Stille ist politisch"
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Anderthalb Jahre nach dem Gewinn des Goldenen Bären bei der Berlinale kommt Mohammad Rasoulofs Film "Doch das Böse gibt es nicht" in die Kinos. Im Interview spricht er über das Filmemachen, Freiheit und konsequentes Handeln.
Susanne Burg: 2020 hat Mohammad Rasoulof mit seinem Film "Doch das Böse gibt es nicht" bei der Berlinale den Goldenen Bären bekommen. Seine Produzenten und seine Tochter haben den Preis entgegengenommen. Der iranische Regisseur hatte keine Reiseerlaubnis. Einige Tage später wurde Rasoulof im Iran zu einem Jahr Haft verurteilt sowie zu einem zweijährigen Arbeitsverbot, da er mit drei Filmen – so das Urteil – "Propaganda gegen das System" betrieben habe. Nun ist "Doch das Böse gibt es nicht" im Kino zu sehen. Ein Episodenfilm, der sehr schonungslos von der Todesstrafe erzählt, von Menschen in Iran, die sich entscheiden müssen, ob sie dem Regime als Henker dienen oder nicht.
"Auch wenn Sie mir verbieten, Filme zu machen, ich finde meine Wege"
Eigentlich sollte der Film im letzten November in die Kinos kommen. Zu dem Zeitpunkt konnte ich mit Mohammad Rasoulof in Iran per Videokonferenz sprechen. Damals sagte er, er warte darauf, die Haftstrafe anzutreten. Sie sei aber wegen der hohen Corona-Infektionszahlen auch in den Gefängnissen aufgeschoben. Bislang musste der Regisseur seine Haftstrafe noch nicht antreten. Nach wie vor kann sich das aber jederzeit ändern. Bevor wir über den Film sprachen, habe ich Mohammad Rasoulof damals nach seiner Einschätzung gefragt, inwieweit ihn vielleicht auch seine internationale Bekanntheit ein bisschen schützt.
Mohammad Rasoulof: Es gibt Personen, die weniger bekannt sind, die unter anderen Bedingungen arbeiten und die dafür einen sehr hohen Preis bezahlen, einen höheren Preis, unter mehr Druck leiden, aber auch bei mir ist es keine Garantie, dass mir nichts passiert. Aber sicherlich hilft mir der Bekanntheitsgrad. Es bleibt aber in dieser politischen Situation nicht sicher und es ist extrem schwierig, irgendwas vorauszusehen oder eine Garantie zu haben. Auch wenn Sie mir verbieten, Filme zu machen, ich finde meine Wege.
Das ist mein Recht, aber man muss wissen, dass es überhaupt nicht einfach ist, in diesen Situationen Filme zu drehen. Man hat zum Beispiel beim Drehen Angst, verhaftet zu werden. Es ist extrem schwierig, die Zensur zu umgehen. Mit dieser Situation versuchen ich und auch andere Filmemacher – wie Jafar Panahi zum Beispiel – umzugehen, denn das ist unsere Berufung, das ist unser Recht und wir versuchen einfach nur, dieses Recht umzusetzen, anzuwenden, mein Menschenrecht, mein einfachstes Recht, meine Berufung.
"Keiner meiner Filme konnte bisher legal in Iran gezeigt werden"
Burg: Das war ja auch bei Ihrem aktuellen Film so, wenn ich das richtig verstehe, "Doch das Böse gibt es nicht". Sie hatten keine Produktionsgenehmigung, deswegen haben Sie den Film mit vier Episoden, vier verschiedenen Perspektiven erzählt. Wie muss ich mir das praktisch vorstellen, ohne Produktionsgenehmigung zu drehen?
Rasoulof: Das ist nicht so, dass ich zum ersten Mal Probleme hatte mit dem Geheimdienst, mit der Zensur bei diesem Film, auch bei meinem vorigen Film hatte ich schon Probleme. Seit über 15 Jahren setze ich mich mit den Geheimdiensten und der Zensur auseinander. Und nur drei von meinen acht Spielfilmen haben letztendlich eine Drehgenehmigung bekommen – und keiner meiner Filme konnte bisher legal in Iran gezeigt werden. Die konnten trotzdem aber letztendlich auch Geld einspielen international, was zurückkam, damit ich dann auch wieder neue Filme drehen konnte.
Bei diesem aktuellen Film war die Strategie, vier Episoden zu drehen, die dann, um an der Zensur auch vorbeizukommen, zu einem Film zusammenzusetzen. Und zuerst war die Idee, das über einen langen Zeitraum zu verteilen, letztendlich aber haben wir auch mit der Unterstützung von meinen Freunden es geschafft, diese Sachen dann zusammenzusetzen, und so auch über die Anliegen, die uns wichtig sind, zu sprechen.
Burg: Sprechen wir über den Film: Es geht um die Todesstrafe, aber nicht um rechtliche Fragen, sondern Sie erzählen aus der Perspektive der Ausführenden. Fragen wie: Was stellt es mit Menschen an, wenn von ihnen verlangt wird, diese Todesstrafe zu vollziehen. Was hat Sie an dieser Frage interessiert?
Rasoulof: Ich glaube, ein totalitäres System braucht auch viele Menschen, um zu überleben. Und wichtig dabei ist, dass die Menschen vergessen oder nicht spüren, dass auch ihr Handeln in dem Ganzen eine Rolle spielt. Und die Frage, der ich auch nachgehe, ist, wie so ein System funktionieren kann, obwohl es so viele Menschen gibt, die eigentlich im Widerspruch zu diesem System sind. Und ich frage mich: Was sind wir bereit dagegen zu tun und was ist unsere Rolle in der Durchführung und der Umsetzung dieser Gesetze, was sind wir bereit zu tun, um auch diesen falschen Gesetzen zu widersprechen, und ist was unsere Verantwortung in dem Ganzen?
Es ist schwierig, Nein zu sagen
Burg: Ihr erster Protagonist ist ein Familienvater, den wir bei seinen täglichen Verrichtungen beobachten, wie er mit seiner Frau über einen Bankbesuch diskutiert oder mit seiner Tochter Lebensmittel einkauft. Meine Frage schließt an das an, was Sie eben schon gesagt haben, warum war es Ihnen wichtig, die Protagonisten so sehr in ihrer privaten Umgebung zu verorten?
Rasoulof: Meine Erfahrung, die ich auch im Gefängnis gemacht habe, hat mit dem Inhalt der Geschichte zu tun und mit dem Blick auf diese Personen, die das System tragen. Ich habe dort gesehen, dass das keine Monster waren, die im Gefängnis gearbeitet haben, sondern ganz normale Menschen, die aber nicht bereit waren, über das, was sie tun, nachzudenken, das zu reflektieren. Und ich denke, dass diese Personen tatsächlich auf der einen Seite sehr schlimme Taten ausüben können und gleichzeitig in ihrem Alltag vielleicht ganz nette und höfliche Menschen sein können, die sogar von sich behaupten, dass sie vielleicht das, was sie machen, auch gar nicht unbedingt richtig finden, dass sie aber nur das Gesetz umsetzen. Mit diesem Widerspruch habe ich mich beschäftigt.
Burg: Die Vollstrecker, die keine Monster sind, so im Sinne von Hannah Arendt vielleicht sogar. Einer Ihrer Protagonisten reflektiert aber in der zweiten Episode, ein Soldat, der mit seinen Kollegen über die Frage diskutiert, wie er aus der Pflicht herauskommt, seinen Dienst als Vollstrecker anzutreten. Und sie zeigen ja mit dem Film, dass jede Entscheidung auch Folgen hat. Welchen Effekt haben diese moralischen Fragen, die sich das Individuum so häufig stellen muss, für die Gesellschaft?
Rasoulof: Das, was ich in diesem Film zeigen möchte oder vielleicht auch als Interpretationsweise anbiete, ist, dass es sehr schwer ist, Nein zu sagen, dass es einen großen Preis hat, aber dass es auch sehr schön sein kann. In der ersten Episode gibt es eine Person, die alles hat, ein Haus, ein Kind, ein Auto. Trotzdem sieht man, dass er während der Arbeit nicht glücklich ist, dass sein Arbeitszimmer wie ein Gefängnis erscheint. Auf der anderen Seite, in der letzten Geschichte gibt es eine Person, der alles verwehrt wurde, die trotzdem aber frei ist und sein Umfeld ist geprägt von Schönheit – trotz aller Konsequenzen, die er erleiden musste.
Und was ich zeigen möchte, sind die verschiedenen Umgangsweisen, die verschiedenen Konsequenzen, die diese Entscheidung mit sich bringt. Ich will auch noch mal darauf hinweisen, dass nicht alle Menschen in Iran vor solchen Entscheidungen stehen. Die Hinrichtung habe ich deswegen gewählt, weil es sozusagen das extremste Beispiel ist. Aber ich will, dass die Leute, die diesen Film sehen, vor allen Dingen auch im Iran, sich fragen, was ihre Rolle letztendlich im System ist.
Handeln hat Konsequenzen für die Familie
Burg: Auch Sie müssen ja mit den Konsequenzen Ihres Handelns leben als Regisseur. Zum Beispiel familiär, Ihre Tochter lebt in Hamburg, sie spielt mit. Warum war es Ihnen wichtig, diesen Film gemeinsam zu machen?
Rasoulof: Es gab zwei unterschiedliche Aspekte, die mich dazu brachten, meine Tochter Baran zu fragen, ob sie in dem Film mitspielen möchte. Das war einerseits natürlich die Thematik der Entfernung, des Getrennt-Seins, zweitens aber auch, dass meine Tochter gerne einmal die Erfahrung auch machen wollte, in einem meiner Filme mitzuspielen. Deswegen habe ich sie dann gefragt, und sie hat gesagt, dass sie bereit ist, das zu tun. Und zum Glück konnten wir die Dreharbeiten im Stillen relativ problemlos durchführen.
Gleichzeitig ist es natürlich so, dass die Themen, die wir besprochen haben, diskutiert haben, die uns betreffen, auch in dieser Geschichte bearbeitet werden, wobei natürlich unsere Situation längst nicht so schwierig ist wie die Geschichte der Personen in dem Film. Es ging darum zu zeigen, welche Konsequenzen meine Entscheidungen für unser Leben haben, und auch der Frage nachzugehen, was denn eigentlich in diesem Kontext die richtigen Entscheidungen sind.
"In einer totalitären Herrschaft ist alles politisch"
Burg: Ihre Filme standen sehr lange in der allegorischen Erzähltradition des Iran. Seit 2010 sind Sie aber direkter, konkreter, politischer geworden. Wie sehr hat das auch mit einer Politisierung Ihrerseits zu tun, nicht nur mit ästhetischen Fragen?
Rasoulof: Ich denke, damit hat es weniger zu tun. Es gab im Iran schon länger eine Tradition dieser metaphorischen Erzählweise. Und auch ich habe mich auf diese Tradition bezogen und habe meine Geschichten in einer sehr metaphorischen Art und Weise dargestellt. Diese Inhalte haben bereits auch schon Widerstand hervorgebracht, das hat die Zensur auch nicht fröhlich gemacht, die waren auch sauer. Ich habe dann aber gemerkt, dass diese Schönheit, die diese metaphorische Erzählweise mit sich bringt, dass die durch Angst erst entsteht. Man lernt, Sachen weniger bedrohlich darzustellen und sich selbst zu zensieren.
Letztendlich verlernt man, offen zu sprechen, und man lernt im Gegensatz, zu sagen, dass alles gut ist, auch wenn es gar nicht so ist. Das hat auch wieder mit den Aussagen von Hannah Arendt zu tun, dass totalitäre Herrschaft auch immer auf Lüge aufbaut.
Eine Sache möchte ich dem gerne noch hinzufügen, die sehr wichtig ist: Wir müssen wissen, dass in einer totalitären Herrschaft alles politisch ist, selbst Stille ist politisch. Sich wehren, widersprechen ist politisch, wenn man nichts sagt, dann stimmt man zu, wenn man etwas sagt, widerspricht, dann ist das natürlich auch eine politische Tat. Dementsprechend gibt es in totalitärer Herrschaft nichts, was unpolitisch ist.
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