"Es wird kein Recht auf Anreicherung geben"
Zum ersten Mal seit zehn Jahren sei es gelungen, eine politische Einigung über substanzielle Schritte herbeizuführen, die das iranische Nuklearprogramm in sehr wichtigen Bereichen zurückdrehe, betont Helga Schmid vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD). Als rechte Hand der EU-Außenbeauftragten Ashton war sie eine der wichtigen Unterhändlerinnen in Genf.
André Hatting: 35 Jahre gegenseitiges Gedrohe – damit könnte es jetzt vorbei sein. Denn der Iran auf der einen Seite und die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland und EU auf der anderen Seite haben eine Vereinbarung über das Atomprogramm Teherans getroffen. Gilt zwar erst mal nur für ein halbes Jahr, aber dass es überhaupt dazu gekommen ist, das ist schon fast eine Sensation. Und einen ganz wesentlichen Anteil daran hat Helga Schmid. Während nämlich die Kerrys und Lawrows und Westerwelles medial omnipräsent waren, hat Helga Schmid im Hintergrund präzise gearbeitet und die Gespräche mit dem Iran bis ins kleinste Detail vorbereitet. Offiziell lautet ihre Funktion: Stellvertretende Generalsekretärin für politische Angelegenheiten im Auswärtigen Dienst der EU. Also: rechte Hand der Außenbeauftragten ist wesentlich kürzer und, ich hoffe, auch nicht so ganz falsch. Guten Morgen, Frau Schmid!
Helga Schmid: Guten Morgen!
Hatting: Es hat ja fast niemand mehr mit dieser Einigung gerechnet. Was war am Ende entscheidend dafür?
Schmid: Am Ende entscheidend waren zwei Dinge: einmal die neue Regierung in Teheran, die seit ihrem Amtsantritt sehr ernsthaft dokumentiert hat, dass sie zu Verhandlungen bereit ist. Und dann natürlich, und das darf ich gerne so sagen, das Verhandlungsgeschick unserer Chef-Verhandlerin, Frau Ashton, die ja das Mandat des Sicherheitsrates hat und im Auftrag der sechs Länder gerade in der letzten, entscheidenden Runde fast 90 Prozent der Verhandlungen mit dem iranischen Verhandlungsteam geführt hat.
Hatting: Sie haben, Frau Schmid, die neue Regierung angesprochen in Teheran. Was ist unter Rohani jetzt anders als unter Ahmadinedschad?
Schmid: Rohani ist der Chef-Verhandler von 2003 bis 2005 gewesen. Und ich war seinerzeit als deutsche Diplomatin im deutschen Verhandlungsteam gewesen. Der jetzige Außenminister ist jemand, der jahrelang in den USA gelebt hat, ein erfahrener Diplomat gewesen war. Und ich glaube, beide haben den Willen, ihr Land in die internationale Gemeinschaft zurückzuführen. Und beide haben von Anfang an relativ ernsthaft gezeigt, dass sie zu einer Verhandlungslösung kommen wollen.
Hatting: Das klingt jetzt fast so, als ob man früher das nicht ernsthaft gezeigt hat.
Schmid: Ich war in Verhandlungsrunden seit 2010 dabei. Und die letzten Jahre waren doch sehr schwierig, und die Verhandlungsrunden sind ja in den letzten Jahren auch nicht von Erfolg gekrönt gewesen.
Hatting: Der eigentliche Chef im Iran, sagt man immer, ist das geistliche Oberhaupt, ist Chamenei. Von ihm haben sich die Unterhändler das Placet geholt. Bedeutet das, dass auch Chamenei sich dem Westen jetzt öffnet?
Begeisterte Reaktionen im Iran
Schmid: Das kann ich nicht sagen. Aber was sehr wichtig natürlich war, ist, dass das Verhandlungsergebnis auch vom geistlichen Führer akzeptiert wird. Und soweit ich das beurteilen kann, ist das der Fall. Und wenn man die Reaktionen im Iran gesehen hat, vor allem in der Bevölkerung – die waren sehr, sehr offen bis begeistert, enthusiastisch. Und ich glaube, das ist ein sehr hoffnungsvolles Zeichen.
Hatting: Was ist denn nach Ihrer Ansicht die größte Kröte, die der Iran geschluckt hat?
Schmid: Das Verhandlungsergebnis ist für uns ein sehr, sehr gutes, denn wir haben ja zum ersten Mal, seit zehn Jahren ist es uns zum ersten Mal gelungen, eine politische Einigung über erste substanzielle Schritte herbeizuführen, die das iranische Nuklearprogramm nicht nur suspendiert, sondern in sehr wichtigen Bereichen auch zurückdreht. Das war natürlich sehr, sehr schwierig für den Iran zu akzeptieren.
Hatting: Und der Westen? Was war da das größte Zugeständnis?
Schmid: Für uns war es sehr wichtig, wie gesagt, unser Ziel, eine atomare Bewaffnung des Irans zu verhindern, durch erste, ganz entscheidende Schritte zu ermöglichen. Der Iran bekommt aber erst dann, wenn alle anderen Fragen gelöst sind, wenn der – wir wollen ja einen umfassenden Lösungsansatz, und wenn alle anderen Fragen, alle anderen Probleme gelöst sind – das war ja der erste Schritt, wir verhandeln weiter zu einem umfassenden Abkommen –, dann wird der Iran ein begrenztes Anreicherungsprogramm bekommen. Das war eine sehr schwierige Frage. Es wird kein Recht auf Anreicherung geben, das war ganz lange ein Diskussionsgegenstand gewesen. Aber es wird ein begrenztes Programm geben.
Hatting: Was genau heißt das?
Schmid: Das heißt, dass das Programm ausgerichtet sein wird an den praktischen Erfordernissen. Es wird gegenseitig definiert werden, und es wird ganz klare Transparenzkriterien und -richtlinien geben, damit sichergestellt wird, dass das Programm einmal friedlich ist und einmal ganz klar unter internationaler Kontrolle ist.
Hatting: Also praktische Anforderungen, die Sie genannt haben, heißt zivile Nutzung?
Schmid: Genau.
Hatting: In Israel ist das Misstrauen trotzdem immer noch riesig. Man befürchtet, dass der Iran jetzt einfach heimlich an der Atombombe weiterbaut. Sie haben ja nun die iranische Seite in Genf erlebt – was macht Sie so sicher, dass sich Israel hier irrt?
Iran nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten messen
Schmid: Ich würde gerne den israelischen Staatspräsidenten hier beim Wort nehmen, der gesagt hat, man werde Iran nicht an seinen Worten, sondern an seinen Taten messen. Und das kann ich nur unterstreichen. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Dieses Abkommen wird ja ganz genau überprüft werden. Das ist ein ganz entscheidender Teil des Textes. Es wird die Atomenergiebehörde in Wien, mit der wir bereits in Kontakt sind, wird sehr viel mehr Zugang haben, die Inspektoren werden täglichen Zugang haben, auch zum Schwerwasserreaktor in Arrak, der ja auch, dessen Aktivitäten ja auch erst mal suspendiert worden sind. Das heißt, die Kontrolle, die wir haben, ist sehr, sehr wichtig, und ich hoffe aber auch, dass durch dieses Abkommen eine Vertrauensbasis geschaffen worden ist, die uns ermöglichen wird, in den nächsten sechs Monaten weiter zügig zu Verhandlungen und eben zu einer Gesamtlösung zu kommen.
Hatting: Sie haben gerade ein ganz wichtiges Wort angesprochen, nämlich Vertrauen. Frau Schmid, Sie besitzen das Vertrauen aller Verhandlungspartner, das macht Sie so wertvoll. Wie schaffen Sie das?
Schmid: (lacht) Durch ernsthafte Arbeit, durch die Bereitschaft, auf alle zuzugehen, und einen ernsthaften Verhandlungswillen.
Hatting: Nach Ihren Erfahrungen in Genf jetzt, sind Sie optimistisch, dass es nach der sechsmonatigen Laufzeit dieses Vertrages einen neuen geben wird?
Schmid: Ich hoffe, dass es so sein wird. Es ist ja aber zum ersten Mal, und ich kenne diesen Prozess ja jetzt seit zehn Jahren, ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass wir es mit Vertretern zu tun haben, die, wie bereits gesagt, ernsthaft an einem Ausgleich mit dem Westen interessiert sind, der hoffentlich auch über das Nuklearthema hinausgeht. Wir haben nur über das Nuklearthema verhandelt. Wir haben immer sehr streng das Nuklearthema von anderen Problemen, die es ja gibt, getrennt. Wir haben jetzt ein Abkommen, das das Nuklearprogramm, wie gesagt, nicht nur suspendiert, zurückdreht, das uns umfassende, lückenlose Kontrolle ermöglicht, das dem Iran auch erste Sanktionserleichterungen gewährt, und das hoffentlich, wie gesagt, in den sechs Monaten zu einer weiteren Annäherung führt, und das es uns ermöglicht, dann zu einer umfassenden Lösung zu kommen.
Hatting: Helga Schmid, stellvertretende Generalsekretärin für politische Angelegenheiten im Auswärtigen Dienst der EU, und in dieser Funktion eine der wichtigsten Unterhändlerinnen von Genf. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Schmid!
Schmid: Ich danke Ihnen! Wiederhören!
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