Warum Afghanen in Syrien für Assad kämpfen
Drei Millionen Afghanen sind ins Nachbarland Iran geflohen. Viele arbeiten schwarz. Die Aussicht auf einen festen Lohn plus Papiere für die Familie ist verlockend. Die Gegenleistung dafür: Kämpfen in Syrien.
Wenn Abu Fazel von den Gräueltaten des syrischen Bürgerkriegs hört, denkt er immer daran, dass er auch beinahe als Kämpfer auf diesem Schlachtfeld gelandet wäre. Doch Abu Fazel ist weder Syrer noch wollte er zum sogenannten "Islamischen Staat". Der 18-Jährige ist ein afghanischer Geflüchteter, der zur Zeit in Leverkusen lebt.
Den Großteil seines Lebens verbrachte er im Iran. Seine Familie ist dorthin geflüchtet, als er ein Kind war. Doch als die iranische Regierung ihn nach Syrien schicken wollte, um auf der Seite von Machthaber Baschar al-Assad zu kämpfen, entschloss er sich zu fliehen.
Tausende afghanische Jugendliche – die genaue Zahl ist nicht bekannt – wurden im Iran rekrutiert, um im Krieg in Syrien zu kämpfen. Erst vor Kurzem berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dass sie die Gräber von acht afghanischen Kindern, die in Syrien getötet wurden, identifiziert hat. Laut der Organisation rekrutiert der Iran regelmäßig minderjährige Kämpfer, um sie nach Syrien zu schicken. Unter afghanischen Geflüchteten ist diese Praxis schon länger bekannt.
Rassismus gegen Afghanen im Iran
Fast drei Millionen Geflüchtete aus Afghanistan sind inzwischen im Iran. Die meisten von ihnen leben in der Illegalität und werden als Schwarzarbeiter, etwa am Bau, ausgebeutet. Rassismus und Ausgrenzung gehören zu ihrem gesellschaftlichen Alltag. Kinder sind davon nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Vielen afghanischen Kinderm ist es nicht erlaubt, staatliche Schulen zu besuchen. Abu Fazel wurde Zeit seines Lebens von dieser Diskrimierung beeinflusst und verfolgt.
"'Afghane' – das ist dort ein Schimpfwort. Ich hörte es von klein auf immer wieder. Der Rassismus gegen Afghanen ist dort völlig normal. Meine Herkunft, auf der ich eigentlich stolz war, ist im Iran stets eine Last gewesen. Wir sind dort Bürger zweiter Klasse."
Die Rekrutierung der afghanischen Geflüchteten ist für Abu Fazel die Spitze jenes Rassismus, den er erlebt hat.
Iran: Syrien vor sunnitischen Extremisten verteidigen
In Syrien kämpfen neben den afghanischen Milizen auch andere paramilitärische Gruppierungen im Auftrag des Irans: etwa die berühmt-berüchtigten Revolutionsgarden, die einst Ayatollah Ruhollah Khomeini persönlich ins Leben rief oder die Basidsch-Milizen. Beiden Gruppierungen sind nicht nur in Syrien aktiv, sondern auch im Irak.
Obowhl sich das syrische Regime von Baschar al-Assad als säkular ausweist, wird es vom Iran, der sich als Repräsentant aller muslimischen Schiiten betrachtet, unterstützt. Gemeinsames Ziel in Syrien ist es: Schiiten vor sunnitische Extremisten zu verteidigen. Dennoch ist das Regime darauf bedacht, möglichst wenig eigene Kämpfer nach Syrien zu schicken. Ähnlich wie einst während des Krieges gegen Saddam Husseins Irak, setzt der Iran auf ausländische Kämpfer.
Die Rekrutierung war wie eine Gehirnwäsche
Abu Fazels Familie gehört zur afghanischen Minderheit der schiitischen Hazara - wie viele Afghanen, die in den Iran gekommen sind. Mittlerweile kämpfen Tausende von ihnen in Syrien. Der Iran bezahlt die Afghanen mit einem Sold von wenigen hundert Dollar pro Monat und verspricht ihren Familien eine Aufenthaltsgenehmigung oder eine Arbeitserlaubnis.
An der Rekrutierung der Afghanen sind sowohl die Revolutionsgarden als auch die erwähnten Basidsch-Milizen beteiligt. Abu Fazel beschreibt, wie das Viertel, in dem er gemeinsam mit seiner Familie in Teheran lebte, regelmäßig von den Kämpfern aufgesucht wurde. Viele afghanische Geflüchtete lebten dort – und fielen auf die Gehirnwäsche der Rattenfänger herein.
"Sie trafen junge Männer und Jugendliche in den Moscheen und überredeten sie, gegen den IS oder Al Qaida zu kämpfen. Die Gehirnwäsche war perfekt. Am Ende merkten viele, darunter auch ich, nicht einmal, dass wir in ihre Propaganda getappt waren. Ihre Überredungskunst war wirklich sehr speziell. Am Ende hat man Lust, nach Syrien zu gehen, um zu kämpfen"
Erfolg hatten die Rekrutierer des Regimes auch bei Abu Fazels Cousin, der zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls minderjährig gewesen ist. Er ging nach Syrien und kämpfte unter der Flagge der "Liwa Fatemiyoun", wie die afghanische Division auf Seiten Assads heißt. Offiziell ist die Aufgabe der Miliz die Verteidigung des Schreines von Zaynab im Süden von Damaskus. Zaynab war die Enkelin des islamischen Propheten Mohammad. Laut iranischen Staatsmedien kämpfen mindestens 20.000 Afghanen in der Division.
Im August 2014 entschloss sich auch Abu Fazel, nach Syrien zu gehen und zu kämpfen. Im selben Monat wurde sein Cousin in der Nähe von Aleppo im Kampf gegen syrische Rebellen getötet.
"Mein Cousin wurde dort getötet. Auch andere Jungs aus unserer Gegend gingen nach Syrien und fielen dort. Lokale Zeitungen nannten sie 'Märtyrer'."
Lieber Flucht statt Kämpfer in Syrien
Ein solcher "Märtyrer" wollte Abu Fazel allerdings nicht werden. Er floh eine Woche vor dem Beginn seiner dreimonatigen Kampfausbildung. Es war ihm lieber, ein Leben auf der Flucht zu verbringen, als in Syrien unschuldige Menschen für einen Diktator zu töten.
"Ich kam zu dem Schluss, dass ich nicht als Mörder weiterleben könnte. Stets dachte ich mir, dass selbst die schlimmsten Al-Qaida- oder IS-Terroristen Kinder haben könnten, die ihren Vater lieben."
Abu Fazel verlor seinen eigenen Vater bereits sehr früh. Er wurde Opfer des Bürgerkriegs in Afghanistan, der von 1989 bis 2001 tausende Menschen das Leben kostete. Auch der Iran mischte in der Zeit schon mit. Es ist allgemein bekannt, dass die schiitischen Hazara-Milizen, die den Bürgerkrieg ebenfalls mitanfachten, von der Regierung in Teheran unterstützt wurden.
Als Abu Fazel sich nun entschloss, aus der Gewaltspirale auszusteigen und nicht in Syrien zu kämpfen, wuchs die Angst bei seiner Familie. Denn für die iranischen Behörden gilt: Hat man sich einmal gemeldet, gibt es kein zurück. Man muss an die Front nach Syrien – oder wird zurück nach Afghanistan abgeschoben, wo ebenfalls Krieg herrscht.
Der einzige Ausweg für den jungen Afghanen war die Flucht. Über die Türkei, Griechenland und die Balkranroute erreichte er mit großer Mühe Deutschland, wo er einen Asylantrag stellte.
Erster Asylantrag in Deutschland abgelehnt
Als Grund nannte er seine Rekrutierung als Kindersoldat seitens des iranischen Regimes. Doch während diese Begründung in Abu Fazels Augen völlig selbstverständlich war, sahen deutsche Behörden das anders. Sein erster Antrag wurde abgelehnt. Derzeit versucht er es ein zweites Mal. Die Bundesrepublik schiebt afghanische Geflüchtete weiterhin ab.
Die Verantwortlichen weisen in diesem Kontext immer wieder auf vermeintlich "sichere Gebiete" im Land, die nicht näher benannt werden.
Währenddessen machen Menschenrechtsorganisationen regelmäßig darauf aufmerksam, dass keine Region am Hindukusch sicher ist. Stattdessen wird in manchen Gebieten nur weniger Krieg geführt als in anderen.
Alis Vater und Onkel kämpfen in Syrien
Ein ähnliches Schicksal wie Abu Fazel erlitt der 18-jährige Ali (Namen geändert). Auch er floh aus dem Iran nach Deutschland, um der Rekrutierung für Assads Milizen zu entgehen. Viele seiner afghanischen Freunde sind bereits nach Syrien gezogen – und kamen niemals zurück.
Alis Familie, ebenfalls Angehörige der Hazara-Minderheit, stammt ursprünglich aus der Provinz Ghor im Nordosten Afghanistans. Ihre Heimat verließen sie während der sowjetischen Besatzung in den 1980er-Jahren.
Seit jeher lebt die Familie in der iranischen Großstadt Maschhad. Als der Krieg in Syrien ausbrach, erreichte sie ein Konflikt, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Im Juli 2015 reiste Alis Vater nach Teheran. Er wollte einen Weg finden, um für seine Familie Aufenthaltspapiere zu erhalten.
"Die Behörden sagten ihm, dass die Rekrutierung für den Krieg in Syrien eine Möglichkeit darstellen könnte, um Papiere für uns alle zu erhalten. Andernfalls würde man uns sehr bald nach Afghanistan abschieben."
Mittlerweile kämpfen Alis Vater und sein Onkel seit über einem Jahr in Syrien. Am Aufenthaltsstatus seiner Familienmitglieder hat sich bis heute allerdings nichts geändert. Für Ali ist klar, dass dies nur eine Falle gewesen ist, um noch mehr Afghanen als Kanonenfutter zu missbrauchen.
Anfangs gab es Papiere für Kämpfer-Familien
Den Kontakt zu seinem Vater hat der Afghane mittlerweile verloren. Währenddessen schickt ihm sein Onkel, der in Aleppo stationiert ist, hin und wieder Bilder über den Kurznachrichtendienst WhatsApp. Ali denkt, dass nur sehr wenige Afghanen der Propaganda der iranischen Regierung glauben und in Syrien für eine "gute Sache" kämpfen.
Laut Ali erhielten anfangs einige Familien tatsächlich Dokumente, sie durften arbeiten und ihre Kinder in die Schule schicken. Doch dies änderte sich mit der Zeit, und zwar gezielt.
"Die Angehörigen der Rekruten erhielten anfangs Papiere. So hat man auch die anderen afghanischen Geflüchteten hinters Licht geführt, damit sich mehr Männer freiwillig melden. Viele von ihnen starben. Mein Vater ist weiterhin dort, doch meine Familie hat keine Papiere erhalten."
Der Umstand, dass Iran afghanische Milizen nach Syrien schickt, wird auch von anderen, extremistischen Gruppierungen, die sektiererisch vorgehen, instrumentalisiert.
Parallel zum Krieg in Syrien sind auch die Angriffe auf Schiiten in Afghanistan gestiegen. In der Hauptstadt Kabul fanden in den letzten Wochen und Monaten mehrere blutige Angriffe auf schiitische Moscheen statt. Regelmäßig bekannte sich der afghanische Ableger des sogenannten "Islamischen Staates" zu den Bluttaten.
Als Grund nannten die Extremisten unter anderem immer wieder, dass afghanische Schiiten unschuldige Sunniten in Syrien töten würden.