In unserer Sendung "Lesart" haben wir mit Irene Dische über ihr Buch gesprochen - hier können Sie das Gespräch hören. [AUDIO]
Schelmenstreich von Anfang an
06:13 Minuten
Es gab ihn wirklich, den Chevalier d'Éon, der dem König Louis XV diente. Irene Dische hat ihn 200 Jahre nach seinem Tod entstaubt: mit einem Rollenspektakel zwischen den Geschlechtern, über einen Mann, der die Hälfte seines Lebens als Frau lebte.
"Schauen Sie sich ruhig weiter um." Schelmenhaft, fast spöttisch lässt Irene Dische ihren Helden aus dem 18. Jahrhundert gleich auf den ersten Seiten anklingen. Im goldenen Hausrock führt uns ihr Chevalier d'Éon, Botschafter des französischen Königs Ludwig XV., durch seine herrschaftlichen Räume in London. Durch Bibliothek und Salon, bis ins Ankleidezimmer, in dem er hinter seinen schnittigen Uniformen eine Fülle an Frauenkleidern, Unterröcken und Seidenbändern aufbewahrt.
Gewiefter Diplomat und Spion
Denn dieser Edelmann hatte "nie ernsthaft darüber nachgedacht, ob er in Wahrheit nun ein Mann oder eine Frau war". Mit seinen blonden Locken fragt er kokett, "Welches Geschlecht hatte so dichtes Haar?" So beginnt ein Rollenspektakel zwischen den Geschlechtern, über einen Mann, der die Hälfte seines Lebens als Frau lebte. 200 Jahre nach seinem Tod hat Irene Dische ihren androgynen Helden nicht nur ordentlich entstaubt, passend zur rechten Zeit stellt sie ihn funkelnd ins Rampenlicht.
Verspielter Tonfall und Perspektive sind somit von Anfang an gesetzt. Wer sich noch ungläubig die Augen reibt, diesen Chevalier d'Éon de Baeaumont gab es wirklich. 1728 in Frankreich geboren, machte er unter Ludwig XV. Karriere und ging an französischen, russischen und englischen Höfen ein und aus. Überhaupt war er vieles und viele: Gewiefter Diplomat und Spion im Dienst seiner Majestät, mutiger Soldat, brillanter Schreiber und Ökonom – und ein furchtloser Degenfechter, der für seine Schaukämpfe gern die Uniform gegen Frauenkleider tauschte. Schon bald rätselt die Londoner Gesellschaft, werden Wetten platziert, welches Geschlecht denn unter seinen Turnierröcken steckt.
Lebensabend arm und entrechtet - als Frau
Nicht nur den fliegenden Kleiderwechsel beherrschte d'Éon, er war in ebenso viele Intrigen verwickelt. Behilflich ist ihm dabei sein Freund Morande. Ebenso historisch verbürgt ist er, was man einen "Gossenjournalisten" nennt. Mit seiner Druckerpresse und einiger Abgebrühtheit erpresst er den Königshof von Versailles, schmuggelt Dossiers, droht Intimstes auszuplaudern.
Mit Pierre de Beaumarchais ist das Trio perfekt, er wird nicht nur d'Éons große Liebe, auch er wird ihn nach Herzenslust verraten. Gerüchte, Skandale, Intrigen – mehrfach wird die Flucht zu Pferde angetreten, mal im Herren-, mal im seitlich unbequemeren Damensattel. Im schwindelerregenden Tempo geht es durch sein ereignisreiches Leben. Nach Mordversuchen, gescheitertem Waffen- und Tabakhandel und Klosterleben verbringt d'Éon seinen Lebensabend, verarmt und entrechtet, als Frau.
Viel Slapstick und bühnenreife Szenen
Die Faszination an dieser schillernden Figur ist der US-amerikanischen Schriftstellerin in jeder Zeile anzumerken. Ob Irene Dische dabei dicht seinen Lebenserinnerungen folgt, die 1836 posthum unter "Mémoires du chevalier d'Eeon" erschienen, oder manche Intrige oder Eskapade dabei ihrer Phantasie entspringt (wie jene über die Amazonenbrigade, eine Art Frauenarmee, die d’Eon natürlich als Frau anführt), ist dabei völlig unwichtig.
Viel zu groß ist der Spaß, zu gern lässt man sich auf ihr Spiel mit Fakten und Fiktionen ein - Episode für Episode skurriler, raffiniert verfasst im Zeitkolorit des 18. Jahrhunderts, mit viel Slapstick und bühnenreifen Szenen. Wenn d'Éon zum Beispiel kurzerhand in die Frauenrolle schlüpft, an einer feinen Dame vorbeigeht, satt einen Knicks zu machen, die Perücke und dreistöckigen Kopfschmuck abnimmt und grüßt, weil er sie mit dem Helm verwechselt.
Ein Schelmenstreich von Anfang an. "Die militante Madonna" ist Irene Disches lässig hintersinniger Kommentar auf unsere aufgeheizte Genderdiskussion. Mit leichtem Ton und viel Humor. Schließlich hat sie hier eine der ältesten Geschichten der Welt nacherzählt, in einer ihrer unzähligen Varianten, wie sie am Ende festhält: Um uns daran zu erinnern, uns nicht einzubilden, WIR "hätten die Freiheit erfunden, ein Mann oder eine Frau zu sein".
Irene Dische: "Die militante Madonna"
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2021
217 Seiten, 22 Euro