Irgendwo in Thüringen

Von Thilo Schmidt |
Es passiert tausendfach: Rechtsextremisten fischen Jugendliche ab, mit Schulhof-CDs oder im Jugendclub. Jedoch eher die Ausnahme als die Regel ist, dass Eltern ihre Jugendlichen mit aller Macht herausholen wollen aus dem braunen Sumpf. Irgendwo in Thüringen: Sigrid und Jens war an ihrem 16-jährigen Sohn Johann zunächst nichts aufgefallen, kurze Haare sind ja in Mode.
Dann kamen schwarze Stiefel mit weißen Schnürsenkeln, dann Thor-Steinar-Klamotten, dann wöchentlich Post von der NPD. Die Eltern fühlen sich von ihrem eigenen Sohn bedroht, sogar ein NPD-Bundesvorstand macht den Eltern Druck. Ein verzweifelter und oft einsamer Kampf beginnt. Und der Ausgang ist ungewiss.

Sigrid: "Für uns… Jens: Wo unser Sohn dann unsere ganze Denkweise in Frage gestellt hat, wo er gesagt hat: Buchenwald, was wir ihm über Jahre erzählt haben, wär alles gelogen, und alles Blödsinn, oder dann solche Sprüche, im Auto, ganz spontan, mit solchen Eltern wie Euch kann Deutschland nie wieder auferstehen, das ist, ja, heftig …"
Sigrid: "Also, ich weiß nicht, ob ich das alleine durchstehen würde. Es gibt Tage, da geht bei mir gar nichts mehr, dann übernimmt mein Mann den Part, und andere Tage, da kann ich nicht mehr und dann übernimmt er den Part. Aber genau da sind wir jetzt an der Grenze, wo wir merken, es zehrt so verdammt, und wir ham Angst davor dass wir es irgendwann nicht mehr schaffen."

Irgendwo in Thüringen. Irgendwo, in einer kleinen, hübschen Gemeinde mit viel schöner Landschaft drumherum, ahnen Sigrid und Jens Möller irgendwann, dass mit ihrem Sohn Alexander etwas nicht stimmt. Sigrid, Jens und Alexander Möller heißen in Wirklichkeit anders. Es ist besser, wenn man hier ihre wirklichen Namen nicht erfährt.

Alexander war ein sich scheinbar ganz normal entwickelnder Jugendlicher. Und alles fing an mit ein paar Schuhen.

Sigrid:" … mit Schuhen, worüber wir uns am Anfang gar keine Gedanken drüber gemacht haben, weil wer gedacht haben: OK, die laufen alle hier mit schwarzen Schuhen rum, dann fings an, dass er weiße Schnürsenkel in diese schwarzen Schuhe zog, und wir uns eigentlich schon gefragt haben, was das zu bedeuten hat, waren auf ’nem Geburtstag bei meinem Schwager, und unsere Neffen wollten eigentlich mit unserem Sohn um die Häuser ziehen, und dann ham die gesagt, dass können wir aber nicht machen, wir haben Angst, dass wir da in Konflikt kommen und so gehen wir mit ihm nicht um die Häuser. Und dann haben wir gefragt, warum. Weil wir gar keine Ahnung hatten, was das alles zu bedeuten hat, und die haben uns dann im Prinzip darüber informiert."

Irgendwo in Thüringen. Jens führt das kleine Familienunternehmen, Sigrid hilft im Büro. Die Familie, Jens, Sigrid, die 14-jährige Tochter und der mittlerweile 17 Jahre alte Alexander wohnen in einem alten Fachwerkhaus, das der Vater selbst restauriert hat. Und dann geschieht das, was Sigrid und Jens nicht begreifen können, nicht begreifen wollen …

Sigrid: "Man wills eigentlich gar nicht wahrhaben, weil man die Kinder gar nicht so erzieht. Man ist erstmal geschockt, und sagt: Nee. Mein Kind nich. Das kann nicht sein. Wir leben das dem Kind nicht vor …"

Jens: "Und man sucht halt die Fehler erstmal bei sich die erste Zeit. Man sagt halt: Was ham wir falsch gemacht, ne?"

Sigrid: "Man kann nur sagen, rückblickend: Unserem Kind ist definitiv das Hirn gewaschen worden. Man kann das gar nicht erklären, von jetzt auf gleich Momente, wo man sagt: Das ist doch nicht mein Kind! Man sieht den Hass in den Augen, die Argumentationen …"

Gut aufgestellt sind die Neonazis und die NPD im strukturschwachen Osten der Republik. Und Alexander? Den werden sie irgendwo abgefischt haben, im Jugendclub oder auf dem Schulhof oder sonstwo. Alex hat jetzt neue Freunde, gerät immer schwerer in Konflikte mit seinen Eltern, die sein Schicksal nicht hinnehmen, ihn zur Rede stellen, hinterfragen, und ihn von diesem Weg abbringen wollen. Ihr Engagement stellt die Familie vor eine Zerreißprobe.

Sigrid: "Er bedrohte uns, dass er uns das Haus abbrennen würde …"

Jens: "Er fängt dann an zu brüllen, hat Hass in den Augen … Ein typisches Beispiel, wo du einkaufen warst mit ihm, wo er brüllt: Ich bring mich um…"

Sigrid: "Ihr kauft mir ja nur Judenklamotten", da gings drum: Er wollte ganz bestimmte Schuhe haben, und wir sagten: Du brauchst Schuhe, du kriegst Schuhe, aber nicht diese hier, und er ist in dem Laden dann total hochgegangen, und Julchen, unsere Tochter, war dann auch mit dabei, und die war zu Tode entsetzt, weil sie ihren Bruder ja auch so nicht kannte."

Sigrid und Jens wissen nicht mehr weiter, verstehen die Welt nicht mehr. Anfang 2008 nehmen sie Kontakt mit dem Jugendamt auf. Am 8. Januar findet ein erstes Treffen statt…

Jens: "… und ham uns dann davon wirklich sehr sehr viel erhofft und erwartet, weil wir konnten nicht mehr, kräftemäßig. … Haben wir damals gedacht, wir können nicht mehr. Das haben wir dann herausfinden müssen dass man noch viel viel mehr kann.""

Alex erhält über das Jugendamt einen Erziehungsbeistand zugeteilt, der schnell Zugang zu ihm findet. Allerdings nur vier Stunden pro Woche, längst nicht ausreichend für diesen Fall. Die tatsächliche Bedrohung durch Rechtsextreme und die NPD wurde von der Sachbearbeiterin des Jugendamtes offenbar ignoriert:

Sigrid: "Ja, es hieß immer, es wäre ne pubertäre Phase, ne Selbstfindung …"

Jens: "… wir hätten familiäre Probleme, aber das hätte nichts mit politisch zu tun, nichts mit NPD zu tun und ähnliches, wo wir auch die erste Post hatten, von der NPD, und die haben wir ja auch auf dem Jugendamt gezeigt, aber keiner wollte mit dem Thema irgendetwas zu tun haben."

Sigrid und Jens wissen sich nicht mehr zu helfen. Sie lieben ihren Sohn, sagen sie, und das kann man ruhig glauben. Aber sie haben Angst um die jüngere Tochter, Angst um die Familie. Regelmäßig flattert Post von der NPD ins Haus. Alexanders Eltern können nicht anders und geben ihren Sohn in ein Jugendheim im süddthüringischen Sonneberg. Damit er Abstand erhält von Neonazi-Kameradschaften und der NPD, aber auch von der zerrissenen Familiensituation. Am 28. März 2008 zieht Alexander in dem Sonneberger Jugendheim ein.
Jens: "Es ging los: Am ersten Tag, wo er in der Einrichtung war, wurde er dann schon von Kameraden der NPD empfangen…"

Sigrid: "Man muss dazu sagen, am ersten Tag, wo wir unseren Sohn nach Sonneberg in das Heim gebracht haben, haben wir Post bekommen. Am selben Tag. Jens: Also die NPD war schon informiert, über diese Einrichtung, bevor er gegangen ist."

Der Brief an Alexanders Eltern stammt vom thüringischen NPD-Vorsitzenden Frank Schwerdt, der außerdem im Bundesvorstand der Partei sitzt. Er spricht von dem "unglaublichen Vorgang", dass die Eltern ihn aus dem Haus geworfen hätten.

Sigrid: "Ja, das ist also der letzte Satz, der uns gezeigt hat, dass wir das so nicht hinnehmen können, und wir um unseren Sohn kämpfen werden, da steht im Prinzip hier: Ich werde jedenfalls alles dafür tun, dass sich ihr Sohn weiterhin so gut entwickelt wie bisher. … Ohne Worte!"

Die NPD scheint zu ahnen, dass aus Alexander ein guter Kader werden könnte. In drohender Manier schreibt NPD-Bundesvorstand Schwerdt wenige Wochen später einen weiteren Brief an die Familie Möller. Er habe nur die Absicht, so schreibt er, "Sie vor törichten Entscheidungen zu bewahren, die für Sie und ihren Sohn schwerwiegende Folgen haben könnten". Eine offene Drohung?

Berlin Köpenick, Seelenbinderstraße, Bundesgeschäftsstelle der NPD. Frank Schwerdt hat hier sein Büro. Ich frage, was ich längst weiß: Ob die NPD Druck ausübt auf Eltern, die ihre Kinder vor der braunen Falle bewahren wollen.

Schwerdt: "Wir üben nie Druck aus auf jemanden, bei uns zu bleiben, wir haben manchmal Kontakt zu den Eltern, in solchen Fällen, sie müssen ja wissen: Man kann Mitglied der Partei ab 16 Jahren alt werden und Mitglied der JN ab 14 Jahre, wir weisen die Eltern also darauf hin, dass es also deren freie Entscheidung war. Denn die müssen ja, wenn sie Mitglied sind, auch alle Rechte haben, zum Beispiel an Versammlungen teilzunehmen, und wenn die Eltern denen dann die Einladungen nicht mehr aushändigen oder ähnliches, dann denk ich mir, ist das also pädagogisch nicht zu befürworten."

… sagt der wegen Propagandadelikten vorbestrafte Schwerdt.

Die NPD hat längst die Fühler ausgestreckt. In dem Jugendheim in Sonneberg, in dem Alexander jetzt lebt, damit er und seine Familie zu sich kommen können, gehen Kameradschaften und NPD-Kader ein und aus. Und versorgen ihn bestens mit allem, was das nationale Herz begehrt.

Jens: "Dann nach kürzester Zeit hat er dann das in dem Heim, in der Einrichtung, verwirklichen können, was wir versucht haben, zu vermeiden, das heißt: Richtige Propagandamaterialien, von NPD, Thor Steinar und ähnlichem, sein Zimmer damit die Wände zu gestalten, aber nicht nur in kleiner Form, sondern in großer Form, wie Fahnen an die Wand hängen, und so weiter … Einen Tag sind wir in sein Zimmer gekommen und da lag "Mein Kampf" auf dem Nachttisch …"

Ein Jugendheim, das keinen Schutz bietet, ein inkompetentes Jugendamt – vergebens haben die Eltern auch beim Schulamt und bei Alexanders Schule vorgesprochen, sagen sie. Die entscheidende Nummer, die sie wählen, als sie gar nicht mehr weiter wissen, ist die der Neonazi-Aussteigerorganisation Exit in Berlin. Dort erreichen sie die Familienhelfer Gabor Bencsik und Dirk Fischer…

Fischer: "Und, die Frau war am Ende. Die war durchweg am Ende! Also im Grunde genommen hat sie uns angerufen, als die ganze Geschichte gerade angefangen hat zu rollen. Gerade anfing, bergab zu fahren. Und im Grunde genommen haben wir, hat die Familienhilfe diese gesamte Talfahrt mitgemacht – und alle Punkte, an denen man hätte einen Anker werfen können: Jugendamt, Polizei, Verfassungsschutz, und so weiter und so fort, an denen ist diese ganze Geschichte vorbeijerauscht. Ohne, dass sich irgendeiner mal bemüßigt gefühlt hätte, mal die Hand auszustrecken und diesen rollenden Ball aufzuhalten."

Bencsik: "… der hat immer mehr Kontakt zu der Szene bekommen, und der gewinnt halt immer mehr Wurzeln, er schlägt mehr Wurzeln in diesem ganzen Konstrukt, also man hätte da schon viel früher eingreifen können, was einfacher gewesen wär, es wird jetzt immer schwieriger …"

Gabor Bencsik und Dirk Fischer sehen sofort, dass der Aufenthalt Alexanders in Sonnerberg beendet werden muss, in dem Erziehungsheim, wo er eigentlich Schutz vor der Szene finden sollte.

Fischer: "Er hat mit Wissen der Heimleitung Besuch empfangen, im Heim, von NPD-Kadern, er hat Besuch empfangen von der ortsansässigen Kameradschaft, er ist mit der Kameradschaft mit Wissen der Heimleitung auf Tour jewesen, er hat sein Zimmer ausstaffiert mit allem, was da war … Er hat auch auf die anderen Heimbewohner eingewirkt, dadurch, dass er ihnen gezeigt hat: Guckt ma hier, ich renn hier in Thor-Steinar-Klamotten rum, ich bin bekennend ein Nationaler Sozialist – und hier passiert nichts! Ich darf das!"

Sigrid und Jens holen Alexander wieder nach hause. Der ungezügelte Einfluss der Szene wird gebremst. Aber in der Familie dreht sich die Spirale der Agression weiter. Besuch bei den Möllers zuhause, im liebevoll restaurierten Fachwerkhaus. Sigrid hat gekocht, die Atmosphäre ist locker. Aber die Stimmung bei den Möllers kann in Sekunden umschlagen.

Alexander: "Papa, nich provozieren, sonst geh ich jetzt! Jens: Was, ich hab doch nur wiederholt, was du eben zu mir gesagt hast! … usw"

Vor dem Essen zeigt mir Alexander sein Zimmer. An der Wand ein Snowboard, daneben das Keltenkreuz. Ein Bild seiner Freundin neben einem gelben Blechschild mit der Aufschrift "NS-Anlage". Überall CDs der einschlägigsten Rechtsrock-Bands, viele davon sind indexiert. Alexander gibt mir ein Interview, und wir trinken ein Bier.

Wenige Tage später wird Alex das Interview widerrufen, er will nicht, dass ich es verwende.
Nach der missglückten Heimunterbringung sehen die Exit-Familienberater Gabor und Dirk die einzige Chance, Alexanders Weg in die rechte Szene zu stoppen, in einer ISPE, eine intensiv-sozialpädagogischen Einzelfallmaßnahme: Ein oder zwei Betreuer, die Alex akzeptiert, mit ihm allein mehrere Wochen im Ausland.

Bencsik: "… die richtige Weltanschauung, die muss er sich halt selbst entwickeln. Und Weltanschauung kommt ja von Welt anschauen. Insofern wäre so ne Maßnahme wie Sibirien oder Schweden, wo er mal rauskommt, was ganz anderes sieht, andere Menschen kennenlernt, andere Kulturkreise kennenlernt, auch genügend Zeit hat, über sich selbst zu reflektieren, ganz wichtig. Und insofern wäre das halt die angesagte oder ideale Maßnahme.."

… sagt Gabor Bencsik von Exit. Er ist an diesem Abend extra von Berlin angereist ist, um die Möllers zu besuchen.

Jens: "Was ich schön finde, jetzt: Wir haben im Prinzip ne Bekanntschaft, ne bedingte Bekanntschaft, über Umweg: unser Sohn, mit Exit geschlossen, mit Exit-Mitarbeitern, und da ziehn wir ganz doll den Hut vor dir. Dass du jetzt hier bist. Ihr wart diejenigen, die uns immer geholfen haben …"

Sigrid: "Dass man trotzdem nicht alleine ist. Gelassen wird."

Immer mehr zeigt sich, dass die Möllers mit Gabor und Dirk die einzigen kompetenten Ansprechpartner gefunden haben. Und obwohl die Aussteigerorganisation "Exit" für die rechte Szene ein rotes Tuch ist, akzeptiert auch Alexander die beiden, wäre sogar bereit, die ISPE-Maßnahme in Schweden mit ihnen zu machen. Die erscheint immer mehr als letzter Ausweg für die Möllers.

Sigrid: "Definitiv, ich hab keine Kraft mehr. Ich bin nicht mehr imstande, alleine mit meinem Kind zuhause zu sein, immer mit der Angst leben zu müssen: Passiert irgendetwas, zumal wir ja wie gesagt noch ein Kind haben, Ich bin eigentlich eher lieber woanders als zuhause, weil ich weiß, es eskaliert. Man weiß gar nicht mehr, was man mit dem Kind reden soll, normale Gespräche sind im Moment überhaupt nicht machbar, das… So funktioniert ne Familie nicht. Und so will und kann ich auch nicht mehr."

Am 28. Juli 2008 hat das Jugendamt eine Erziehungsmaßnahme in Schweden abgelehnt, da Alexander aus Sicht des Jugendamtes "keinen erheblichen erzieherischen Bedarf" habe.

Irgendwo in Thüringen. An den Bushaltestellen und Laternenmasten des kleinen Ortes prangen Aufkleber von NPD und Jungen Nationalendemokraten. Immer mehr zunehmen würde das hier, sagt der Bürgermeister. Er will in seinem Ort einen kleinen "Aufstand der Anständigen", weil er weiß, dass Totschweigen nicht mehr hiflt.

Bürgermeister: "Aber man kann die Bürger dazu animieren, Farbe zu bekennen, das heißt sie müssen sich einfach mit dem Thema auseinandersetzen, sie müssen in den ganzen einzelnen Biertischgesprächen, Vereinen, Feuerwehr oder sonst wo, sich damit irgendgehend auseinandersetzen, dass sie nicht darüber hinweggucken. Dass sie von sich aus dagegen argumentieren. Dass sie ihre eigenen Kenntnisse, die sie aus der Geschichte haben, die sie auch über die Medien bekommen, auch ausnutzen, um auch dagegen zu argumentieren. Und dass ist das einzige Mittel, was wir jetzt sofort spontan ansetzen können."

Dass NPD und Kameradschaften in den Jugendclubs der ostdeutschen Provinz ein und aus gehen und Heranwachsende abfischen, das ahnt auch er.

Bürgermeister: "Wir können nicht in allen Ortsteilen Jugendclubs vorhalten, die Jugendclubs, die wir noch vorhalten, sind nicht ständig besetzt, das ist nicht wie in ner großen Stadt, und insofern ist das schon problematisch, man sollte dort schon ein Auge drauf werfen, und aufpassen, dass sie gar nicht dort abgefischt werfen, denn alles das, was weg bricht, da müssen wir damit rechnen, dass die anderen einspringen. Weil es sind ja einige unpolitische Jugendliche, und die lassen sich da erstmal irgendwas versüßen, und dann haben sie sie in den Zwängen. Und dann wird Gehirnwäsche gemacht, und dann kommen die ganz anders wieder zurück."

Der Bürgermeister ist befreundet mit der Familie Möller, kennt Alexander. Auch er glaubt, eine intensivpädagogische Maßnahme im Ausland wäre Alexanders letzte Chance. Und auch er übt Kritik am Jugendamt des zuständigen Landkreises.

Bürgermeister: " … also sie kommen ja mit der Sachauseinandersetzung des sektenmäßigen oder verfassungswidrigen und rechtsradikalen ja nicht zurecht. Und da sind die Grenzen erreicht, und da kommen am Ende Dinge raus, und da kann eine engagierte Familie, die sich wirklich für den Sohn einsetzen wollen, die können dann gar nicht zufrieden sein damit. Es sind Mittel dafür da, es gibt Gesetzlichkeiten, aber die dort handelnden, im Jugendamt, damit kann man dann nicht zufrieden sein."

Fischer: "… und ich würde mich versteigen in die Behauptung, dass das gerade in dieser Gegend – das ist ja da kein Einzelfall! – und ich glaube wenn da ein Präzedenzfall jesetzt worden wäre, dann hätten natürlich die zuständigen Stellen erstmal zugeben müssen: Ja, so was gibt es bei uns. Vielleicht – das ist ne Vermutung – haben sie ja deshalb so schleppend reagiert. Um dieses Zujeständnis nicht machen zu müssen: Ja, sowas gibt es hier."

Gabor und Dirk hätten die ISPE-Maßnahme in Schweden auch selbst mit Alex gemacht. Und sogar Alex wäre dazu bereit. Sigrid und Jens legen beim Landesverwaltungsamt Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid des Jugendamtes ein. Ohne Erfolg.

Bencsik: "… aufgrund dass das Jugendamt gesagt hat, das ist bei ihm nicht angezeigt, da es bei ihm noch keine derartige Problematik gibt, die es rechtfertigen könne, diese Maßnahme zu machen. Denn der Junge will ja auch zuhause bleiben, der Junge will dies, der Junge will das, ähm… klar haben Jugendliche in ’nem Hilfeplangespräch auch ein Mitspracherecht, aber Erziehung heißt ja nicht: Du kannst machen, was du willst …"

Die Hoffnung der Möllers schwindet immer mehr. Der nächste Schicksalsschlag: Die Aussteigerorganisation Exit ist am Ende, nachdem das Arbeitsministerium die Zuschüsse gestrichen hat. Auch die Arbeitsverträge für die Familienberater Gabor und Dirk wurden zum 31. Oktober gekündigt. Obwohl sie nun arbeitslos sind, versuchen sie dennoch, zu helfen, soweit es ihnen möglich ist. Die ISPE-Maßnahme in Schweden und die beiden Familenberater waren der letzte Strohhalm für die Möllers.

Fischer: "… aber jetzt ist das Sonderprogramm zuende, und dann ist die Arbeit zuende. Mittendrin! Wo ick denke: Wenn ich da noch irgenjemand von Nachhaltigkeit reden höre, dann kann ich mich nur noch verarscht fühlen.."

Sigrid: "Zuhause eskaliert die Sache eigentlich immer mehr, letzte Woche war es dann so, dass wir unseren Sohn mit der Polizei abholen lassen mussten, weil er … meinem Mann bedroht hat."

… mit einem drohend in die Höhe gehaltenen Baseballschläger stand der Sohn vor seinem Vater.

Bencsik: "Beim nächsten Mal wird’s höchstwahrscheinlich krasser werden, wenn wieder ne Provokation … oder wenn die Situation eskaliert, dann kann da durchaus ganz schnell was größeres entstehen."

Die Eltern werden Alexander, den sie trotz allem lieben, als ihren Sohn, wieder in ein Heim geben müssen.

Alexander hat das Zeug zu einem sehr guten Kader in der rechten Szene, sagt Dirk Fischer …

Fischer: "Also wenn die Geschichte so weitergeht, wie sie weitergeht, dann ist es … wenn man jetzt den Zeitstrahl sieht und der geht geradlinig weiter, dann ist es jetzt schon zu spät. Weil wenn jetzt nicht irgendwas passiert, was den Jungen zwingt, sich in irgendeine Richtung festzulegen und diesem Krempel den Rücken zu kehren – dann isses vorbei!"

Die letzte Chance für Sigrid und Jens: Sie könnten vor Gericht gehen, um die ISPE-Maßnahme einzuklagen. Doch dafür ist es fast zu spät. In einem guten halben Jahr wird Alexander 18. Dann kann er tun und lassen, was er will.

Sigrid: "… und wenn jetzt nicht langsam mal hier irgendwas passiert … dann weiß ich nicht, wo die ganze Sache noch endet. Und das find ich einfach nur traurig. Und das ist das, wo wir sagen: Wenn wer unserem Sohn jetzt wirklich – wenn wir die ISPE-Maßnahme, wenn wir da jetzt klagen – so selber nicht mehr helfen können, aber vielleicht anderen Eltern oder anderen Jugendlichen zeigen, wie ernst und wie gefährlich die ganze Sache ist … und einfach Mut machen können."