Iris Hanika: "Echos Kammern"
Literaturverlag Droschl, Graz 2020
240 Seiten, 22 Euro
Entfesselte Liebesillusionen
06:34 Minuten
Wenn Künstlerinnen um die 50 mit Haut und Haaren amerikanischen Doktoranden verfallen - kann das gutgehen? Aber ja! Kunstvoll und ebenso ernsthaft wie humorvoll spielt Iris Hanika in "Echos Kammern" mit den Topoi von Großstadt- und Liebesroman.
Als besonders tragischer Fall von Liebesunfähigkeit ist Narcissos, der wunderschöne wie unnahbare Jüngling aus den "Metamorphosen" des Römers Ovid, einst berühmt geworden. Denn der junge Schönling bringt viele männliche und weibliche Verehrer um den Verstand - und will lieber sterben als sich selbst verlieben.
Zu seinen prominentesten Opfern gehört die Nymphe Echo, die sofort für den attraktiven Poser entflammt, aber selbst keine eigene Stimme hat, sondern immer nur als schwacher Widerhall die jeweils letzten Worte des Geliebten wiederholen kann.
Die Liebeswerbung kann also nur schiefgehen. Was aber ist mit Romanen, die selbst den Mythos von Narziss und Echo aufnehmen? Blüht ihnen ebenso Echos Schicksal, nur die Motiv- und Tonspuren der Vorläufer zu wiederholen und keine eigene Stimme zu haben?
Deutsch-amerikanischer Kauderwelsch
Iris Hanikas neues, fabelhaftes Buch betreibt ein kunstvoll verspiegeltes, heiteres und zugleich zutiefst ernsthaftes Spiel mit den Topoi von Großstadt- und Liebesroman. Es lässt auf jeder Seite erkennen, dass die Autorin um die realen Begrenzungen ihres Projekts weiß: Wer heute noch New York-Romane oder Liebesromane fertigt, bewegt sich in Echokammern. Jede Beschreibung der großstädtischen Straßenzüge ist hier als Übermalung des legendären Romans "Manhattan Transfer" von John Dos Passos markiert, der vor fast genau hundert Jahren das Modell des New York-Romans lieferte.
Iris Hanikas Protagonistin ist eine deutsche Schriftstellerin mittleren Alters und trägt in einer Art Doppelkodierung den eigenwilligen Namen "Sophonisbe", der selbst schon ein Traditionszitat ist, nämlich an eine Malerin der italienischen Renaissance erinnert.
Diese Sophonisbe aktualisiert nun auf den Spuren von Dos Passos den "Manhattan Transfer" – und um nicht das bloße Echo der zahllosen New York-Romane zu bleiben, entschließt sie sich zu einer eigentümlichen Verfremdungstechnik.
Für ihre New York-Erfahrung wählt sie nämlich eine Erzählsprache, die der Deutsch-Amerikaner Kurt M. Stein 1925 erfunden hat – die sogenannte "lengevitch", ein deutsch-amerikanisches Kauderwelsch, das bereits die Dichterin Uljana Wolf für einen Gedichtband fruchtbar gemacht hat.
Das sorgt auf den ersten fünfzig Seiten des Romans für so manchen komischen Effekt. Auf einer Party bei Beyoncé, der Königin des Pop, lernt die Heldin Josh kennen, einen Doktoranden aus Yale, der über die Geschichte der Ukraine promoviert und ansonsten alle Eigenschaften eines modernen Narziss aufweist.
Fähigkeit zur Selbstironie
Der Roman nimmt aber erst so richtig Fahrt auf, wenn Sophonisbe alte Freunde aus Berlin in der Upper East Side aufsucht, die sich rasch für den neuen Narziss Josh entflammen. Hier verliert dann auch die "lengevitch" Sophonisbes an Bedeutung und wird abgelöst von einer ironischen Erzählstimme, die mit viel Witz und Esprit den weiteren Verlauf der Geschichte kommentiert.
Vom übermächtigen Liebeswahn, den der moderne Narziss Josh befeuert, handelt dann der zweite Teil des Romans, der von Sophonisbes Rückkehr ins gentrifizierte Berlin berichtet. Ihre Vermieterin Roxana, wie Sophonisbe Vertreterin einer materiell saturierten Künstler-Boheme um die Fünfzig, verfällt dem mittlerweile nach Berlin gereisten hübschen Amerikaner mit Haut und Haaren und kann nur mit Mühe der unerwarteten affektiven Aufwallung Einhalt gebieten.
Iris Hanika erzählt all diese Wirrungen skeptisch gewordener Liebesssucherinnen wie auch die Verwandlung Berlins in eine Stadt der Wuchermieten mit einer unglaublichen ironischen Raffinesse und Leichtigkeit. Ihre Erzählkunst lebt wie in ihren früheren Büchern von einer großen intellektuellen Heiterkeit, mit der die Autorin vor allem die bizarren Liebesillusionen der handelnden Figuren kommentiert.
Bewundernswert ist auch Hanikas Fähigkeit zur Selbstironie, mit der sie jedwede Erwartung an eine ästhetische Überhöhung ihres Stoffs unterläuft. So liefert sie en passant auch das passende Motto für ihr Erzählverfahren, wenn sie auf den fiktiven Titel von Sophonisbes Lyrik-Erstling verweist. Er lautet: "Mythen in Tüten".