Iris Hanika

Zwei Bücher in einem

Die Schriftstellerin Iris Hanika
Die Schriftstellerin Iris Hanika © dpa / picture alliance / Erwin Elsner
Von Meike Feßmann |
In ihrem Roman "Wie der Müll geordnet wird" erzählt Iris Hanika zwei völlig verschiedene Geschichten, die nur lose verbunden sind. Den Titel des Buchs darf man dabei durchaus wörtlich nehmen, meint unsere Rezensentin.
Einen kleinen Trümmerberg sinnloser Anläufe hat Iris Hanika auf den ersten 120 Seiten ihres Romans errichtet, bevor dann plötzlich eine ziemlich flott erzählte Geschichte beginnt. Antonius, so heißt der Held, der uns zunächst begegnet, möchte etwas Sinnloses tun und ordnet deshalb den Müll in seinem Hinterhof. Als er merkt, dass er mit dem scheinbar abgedrehten Hobby etwas ziemlich Durchschnittliches macht, gibt er es einfach wieder auf.
Allerdings hat er kurz davor ein orangefarbenes Heft in der falschen Tonne entdeckt und damit begonnen, es Stück für Stück zu lesen und zu kommentieren. Es stammt von einer Frau mit dem sprechenden Namen Renate Gramschatz, die vor allem darüber klagt, wie entsetzlich sie sich langweilt. Antonius fragt sich mit Fug und Recht, "ob es gestattet ist, andere zu langweilen, wenn man sich selber langweilt."
Doch das tut Frau Gramschatz eigentlich ja gar nicht. Schließlich ist ein Tagebuch nur für einen selbst bestimmt. Und wenn es ein anderer aus dem Müll fischt, kann er sich darüber nun wirklich nicht beklagen. Aber der Leser fühlt sich von diesem Satz schon sehr gut verstanden. Vermutlich hat ihn die Autorin genau deshalb geschrieben: als Köder zum Abreagieren.
Eine bequeme Notlösung in der Schaffenskrise
Irgendwann ist dieser erste, zwar durchaus intelligente und bisweilen komische, aber auch arg redundante Teil bewältigt. Und dann beginnt eine völlig andere Geschichte. Sie spielt nach dem Mauerfall, im Frühjahr und Sommer 1990. Die 31-jährige Dorothea Dreifinger ist nach fünfjährigem Aufenthalt in Berkeley an die FU zurückgekehrt, wo sie als Assistentin eines ebenfalls gerade erst aus den Staaten kommenden Professors beginnt. Seine Vorfahren stammen aus Berlin, seine Eltern mussten während der Nazizeit fliehen, und wurden in ihrem amerikanischen Eigenheim von Einbrechern getötet, als er zwölf war.
Dabei ist ein Buch verschwunden, um das Hanika nun eine kleine Krimigeschichte strickt. Sie führt in das Haus eines Möbelhändlers namens Kurt Marschner, der der Vater jenes verwirrten Antonius ist, den wir gleich zu Anfang kennenlernten. Bei der alljährlichen Geburtstagsparty des Firmenchefs in seiner Villa am Kleinen Wannsee verletzt Antonius Dorothea mit einem Messer und begibt sich daraufhin freiwillig in die Psychiatrie.
"Wie der Müll geordnet wird" - man darf den Titel des dreihundertseitigen Romans ruhig wörtlich nehmen. Denn Iris Hanika hat dafür, wie sie uns auf ihrer Homepage verrät, einen alten Text von 1993/1994 recycelt und mit einem neueren zusammengebracht, der auch nicht fertig werden wollte. Das ist also ganz wie bei jenem alchemistischen Werk in der Bibliothek von Kurt Marschner, in das ein Trauerspiel des sächsischen Barockdichters Johann Christian Hallmann eingebunden ist.
Was aber taugen zwei Bücher in einem? Steht da nicht immer das eine dem anderen im Weg? In diesem Fall scheint es eine bequeme Notlösung gewesen zu sein: um in einer Schaffenskrise ein neues Buch veröffentlichen zu können.

Iris Hanika: Wie der Müll geordnet wird
Droschl Verlag, Graz/Wien 2015
304 Seiten, 20 Euro

Mehr zum Thema