Irmgard Schwaetzer über Ostermärsche

Einseitige Abrüstung ist eine Illusion

09:07 Minuten
Ein Mann hält beim Ostermarsch des "Netzwerks Friedenskooperative" unter dem Motto "Die Waffen nieder!" am Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg ein Schild mit der Aufschrift "Stoppt den Rüstungswahn". Ebenfalls stellt es eine "Raketen-Uhr" dar, die auf fünf vor zwölf steht.
An diesem Wochenende gibt es mehr als 100 Veranstaltungen der Friedensbewegung mit mehreren 10.000 Menschen. © picture alliance/dpa | Christoph Soeder
Irmgard Schwaetzer im Gespräch mit Eckhard Roelcke |
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Die Friedensbewegung steckt in der Krise: Einseitige Abrüstung, über Jahrzehnte die zentrale Forderung auf Ostermärschen, sei angesichts der russischen Aggression in der Ukraine eine Illusion, sagt die FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer.
Zu Ostern feiert die christliche Welt die Auferstehung Jesu und die Botschaft des Evangeliums. Dazu gehört im Kern auch die Forderung nach Frieden. Seit Jahrzehnten wird deshalb an Ostern für Frieden marschiert.
An diesem Wochenende gibt es mehr als 100 Veranstaltungen mit mehreren 10.000 Menschen. Und in Rom trugen am Karfreitag bei einer Osterandacht mit Papst Franziskus eine Ukrainerin und eine Russin ein schlichtes Holzkreuz für eine Etappe des Kreuzwegs gemeinsam.
Doch diese verfrühte Versöhnungsgeste wurde von vielen heftig kritisiert, vor allem aus der Ukraine.

Der Wunsch nach Frieden

Hinter den Versöhnungsgesten steht "natürlich der Wunsch und auch die Notwendigkeit, sich nach und nach wieder zusammen zu begeben", sagt die FDP-Politikerin Irmgard Schwaetzer, die vor 80 Jahren mitten im Zweiten Weltkrieg geboren wurde.
Doch wieder aufeinander zugehen, das werde "erst gehen, wenn klar ist, wie der Aggressor Putin tatsächlich eingedämmt werden kann. Wir können alle nicht leben ohne die Sehnsucht nach einer Welt ohne Gewalt, nach einer Welt in Frieden. Trotzdem: Diese Sehnsucht muss sich auch bewähren in der Realität. Und da darf man sich keinen Illusionen hingeben.“

"Die Ukrainer verdienen unsere Unterstützung"

„Natürlich ruft Gewalt auch weitere Gewalt hervor“, entgegnet Schwaetzer einigen Ostermarschierern, die auch jetzt für Pazifismus eintreten, „nur, wer sind wir eigentlich, dass wir den Ukrainern vorschreiben wollen, wie sie mit ihrer jetzigen existenzbedrohenden Situation umgehen sollen?“
In ihrem Kampf um ihr Existenzrecht verdienten sie unsere Unterstützung: „Sie kämpfen für ihre Freiheit. Wie dieser Konflikt ausgeht, wird auch Auswirkungen haben auf den Frieden in ganz Europa.“
Auch wenn Schwaetzer sich nicht für Waffenlieferungen ohne Wenn und Aber ausspricht, stellt die FDP-Politikerin klar: "Der Ausgangspunkt ist, dass die Ukraine sich verteidigt, das Selbstverteidigungsrecht ist unbestritten. Eine Unterscheidung von Waffen in Waffen zur Verteidigung und Nicht-Verteidigung ist in der Situation schief. Deswegen glaube ich, dass wir gut daran tun, wirklich auf die Ukrainer zu hören und sie in ihrem Begehren zu unterstützen.“

Gesellschaftliche Initiative gegen Aufrüstung

Doch es gibt auch andere Stimmen. Vor Kurzem hat sich eine Initiative aus Politik, Wissenschaft und Kultur gebildet, die sich gegen die Aufrüstung der Bundeswehr ausspricht. Diese Initiative wird unterstützt von Hans-Christian Ströbele, Gregor Gysi, den Schauspielerinnen Katja Riemann und Corinna Harfouch, dem Regisseur Milo Rau und der früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann. Sie sagte im Deutschlandfunk :
„Dass Rüstung jetzt die Antwort ist auf die Konflikte dieser Welt, das stellen wir infrage. Gewinner ist die Rüstungsindustrie. Die Aktien von Rheinmetall gehen hoch, und wir haben noch andere Kriege in dieser Welt. Der in Syrien dauert jetzt elf Jahre, da gibt es 500.000 Tote, die Hälfte der Bevölkerung hat ihre Heimat verloren. Und den Krieg im Jemen, den vergessen wir. Da hat Saudi-Arabien eine ganz große Vormacht, und wir liefern Waffen auch in diesen Krieg. Das muss man doch mal auch infrage stellen: Ist Rüstung die Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit?“

Wie ist Putin zu stoppen?

Schwaetzer kritisiert diese Aussage: „Die Pläne der Bundesregierung, die Bundeswehr auszurüsten, teilweise auch aufzurüsten, mit den Gewinnoptimierungsmöglichkeiten der Rüstungsindustrie ein wenig zu karikieren, empfinde ich schon als polemisch. Es geht ja nicht darum, sich selber auf einen Angriff vorzubereiten, sondern es geht wirklich darum, alles zu überlegen und dafür zu tun, dass ein Aggressor gestoppt wird.“
Wichtig sei nun eine ernsthafte Diskussion darüber, „wie denn tatsächlich Wege zu Verhandlungen eröffnet werden können. Nur: Waffenstillstand und auch Verhandlungen über ein Ende des Konfliktes – dazu braucht es immer zwei. Im Moment ist überhaupt nicht erkennbar, dass der russische Präsident in irgendeiner Weise geneigt wäre, über irgendetwas ernsthaft zu reden.“

Rückfall in Zeiten der Abschreckung?

Das erinnert Schwaetzer an die Situation im Kalten Krieg, wie sie sagt: „wo die Abwesenheit von Krieg tatsächlich auch darauf zurückgeführt werden konnte, dass es ein Gleichgewicht der Kräfte gab. Mein Eindruck ist: Wir sind leider in der Situation, dass wir auch das wieder für eine gewisse Zeit als real ansehen müssen.“
Angesichts dieser „Aggression, mit der wir alle nicht gerechnet haben oder die wir nicht sehen wollten“, müssten sich Teile der traditionellen Friedensbewegung fragen, wie sie Frieden erreichen wollten, so Schwaetzer:
"In der Friedensbewegung war ja die einseitige Abrüstung immer ein großes Stichwort. Ich glaube, dass es eine Illusion ist, darauf zu vertrauen, dass dies zu einem Frieden führen könnte – wirklich mit aller Vorsicht formuliert, weil völlig klar ist: Frieden gibt es nur nach Verhandlungen und nach neuen Verträgen. Frieden steht nicht am Ende einer gewalttätigen Auseinandersetzung, sondern dann fängt die Verhandlung um den Frieden erst an.“
(ckr)

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