Irritationen der Gegenwart
Ausgerüstet mit dem Instrument der Sprache zoomt sich der Dichter Björn Kuhligk Landschaften, Städte oder den Himmel heran. Zwischen den Zeilen irritiert er die Leser, indem er in dem Gedichtband "Von der Oberfläche der Erde" landläufige Gewissheiten auf die Probe stellt.
Es hat den Anschein, als würde Björn Kuhligk das lyrische Ich nicht genau verorten wollen, das in seinem vierten Gedichtband "Von der Oberfläche der Erde" zu Wort kommt, denn das mit dem Titel aufgerufene Areal ist dafür zu großflächig dimensioniert. Doch als gäbe es eine gewisse Scheu vor dem Rückraum Erde, sucht er in den Gedichten konkrete Landschaften, Gegenden und Städte auf, die sich benennen lassen. Dadurch fügen sich die einzelnen Gedichte in ihrer Gesamtheit zu einer Textur, die eine Oberfläche bildet.
Kuhligks Interesse gilt Zusammen- und Wechselspielen. Nimmt er – wie in dem Gedicht "Im Klützer Winkel" – Landschaften in Augenschein, dann fällt auf, dass sich der Blick zunächst an Erscheinungen festmacht, die in nächster Nähe zu beobachten sind. Sehr genau wird registriert und im Diesseitigen gesucht, was es zu beschauen gibt. Doch dem wachen Blick fällt auch der "ratzefatzeschöne Wölkchen-Himmel" auf, der in dem Gedicht "Im Liepnitzsee" beschrieben wird. Solche Korrespondenzen halten überraschende Bilder bereit, wie zum Beispiel in "Landscape", wo es heißt: "später kippt das Licht am Horizont hinab".
In Kuhligks Gedichten wird zum einen der Bogen zwischen Himmel und Erde gespannt. Doch dem Autor entgehen dabei nicht jene Blitze unterm weiten Firmament, die in die Lebenswirklichkeit des Einzelnen einschlagen. Man hat die Goethesche Maxime noch im Ohr, wenn es in Kuhligks Gedicht "Der Himmel macht die Flocken, wir nicht" heißt: "Flexibel sei der Mensch, und dehnbare / Kinder möge er mitbringen". Kuhligk hat zwischen seinen Gedichtzeilen eine deutliche Gegenwartsirritation eingelagert. Einstige Gewissheiten erweisen sich als wenig brauchbar, wenn sie von der Gegenwart daraufhin geprüft werden, welchen Gültigkeitsgrad sie haben. Man hört etwas Ticken und eh man das Geräusch näher bestimmen kann, "rutscht [man] bäuchlings ins Freie", wo "die Müllmänner kommen und gehen." Das könnte gefährlich werden, aber Kuhligk ist kein Warner. Es klingt eher nach: Hoppla, wir werden entsorgt!
Ganz unaufgeregt teilt Kuhligk seine Beobachtungen mit. Eher nebenbei lässt er uns wissen, dass nicht nur Knospen, sondern auch Köpfe platzen und immer wieder "blitzt" es in seinen Gedichten, was aber niemanden zu verwundern scheint, weil der Ober im selben Augenblick mit "Selbstgebrannten" kommt ("Im Schneebergdörfl"). Nimmt man die Oberfläche der Erde aus großer Entfernung wahr, dann sieht der Betrachter ein Bild, das keinen Anlass zur Beunruhigung bietet. Schaut man aber genauer hin, zoomt man sich an konkrete Orte und achtet auf Details, wie es Kuhligk in den Gedichten dieses Bandes tut, dann zeigen sich gewisse Schieflagen.
Nicht ohne Grund heißt das letzte Gedicht in dem Band, der sich in vier Kapitel gliedert, "Echolot". Mit diesem Instrument gelingt es, Verborgenes in tiefsten Tiefen zu orten. Dass es auch ohne hochsensible Technik möglich ist, kaum Sichtbares in den Untiefen der Wirklichkeit zu entdecken, hat Björn Kuhligk mit diesem Gedichtband sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Besprochen von Michael Opitz
Björn Kuhligk, Von der Oberfläche der Erde, Gedichte,
Berlin Verlag, Berlin 2009, 71 Seiten, 16,00 Euro.
Kuhligks Interesse gilt Zusammen- und Wechselspielen. Nimmt er – wie in dem Gedicht "Im Klützer Winkel" – Landschaften in Augenschein, dann fällt auf, dass sich der Blick zunächst an Erscheinungen festmacht, die in nächster Nähe zu beobachten sind. Sehr genau wird registriert und im Diesseitigen gesucht, was es zu beschauen gibt. Doch dem wachen Blick fällt auch der "ratzefatzeschöne Wölkchen-Himmel" auf, der in dem Gedicht "Im Liepnitzsee" beschrieben wird. Solche Korrespondenzen halten überraschende Bilder bereit, wie zum Beispiel in "Landscape", wo es heißt: "später kippt das Licht am Horizont hinab".
In Kuhligks Gedichten wird zum einen der Bogen zwischen Himmel und Erde gespannt. Doch dem Autor entgehen dabei nicht jene Blitze unterm weiten Firmament, die in die Lebenswirklichkeit des Einzelnen einschlagen. Man hat die Goethesche Maxime noch im Ohr, wenn es in Kuhligks Gedicht "Der Himmel macht die Flocken, wir nicht" heißt: "Flexibel sei der Mensch, und dehnbare / Kinder möge er mitbringen". Kuhligk hat zwischen seinen Gedichtzeilen eine deutliche Gegenwartsirritation eingelagert. Einstige Gewissheiten erweisen sich als wenig brauchbar, wenn sie von der Gegenwart daraufhin geprüft werden, welchen Gültigkeitsgrad sie haben. Man hört etwas Ticken und eh man das Geräusch näher bestimmen kann, "rutscht [man] bäuchlings ins Freie", wo "die Müllmänner kommen und gehen." Das könnte gefährlich werden, aber Kuhligk ist kein Warner. Es klingt eher nach: Hoppla, wir werden entsorgt!
Ganz unaufgeregt teilt Kuhligk seine Beobachtungen mit. Eher nebenbei lässt er uns wissen, dass nicht nur Knospen, sondern auch Köpfe platzen und immer wieder "blitzt" es in seinen Gedichten, was aber niemanden zu verwundern scheint, weil der Ober im selben Augenblick mit "Selbstgebrannten" kommt ("Im Schneebergdörfl"). Nimmt man die Oberfläche der Erde aus großer Entfernung wahr, dann sieht der Betrachter ein Bild, das keinen Anlass zur Beunruhigung bietet. Schaut man aber genauer hin, zoomt man sich an konkrete Orte und achtet auf Details, wie es Kuhligk in den Gedichten dieses Bandes tut, dann zeigen sich gewisse Schieflagen.
Nicht ohne Grund heißt das letzte Gedicht in dem Band, der sich in vier Kapitel gliedert, "Echolot". Mit diesem Instrument gelingt es, Verborgenes in tiefsten Tiefen zu orten. Dass es auch ohne hochsensible Technik möglich ist, kaum Sichtbares in den Untiefen der Wirklichkeit zu entdecken, hat Björn Kuhligk mit diesem Gedichtband sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Besprochen von Michael Opitz
Björn Kuhligk, Von der Oberfläche der Erde, Gedichte,
Berlin Verlag, Berlin 2009, 71 Seiten, 16,00 Euro.