Isa Genzken zum 70. Geburtstag

Mit einem feinen Gespür für zerstörerische Tendenzen

Genzken blickt mit einer Sonnenbrille auf dem Kopf in einem Raum milde lächelnd in die Kamera.
Isa Genzken im Berliner Martin-Gropius-Bau: "Was soll ich dazu sagen?" © dpa / Jens Kalaene
Von Rudolf Schmitz |
Seit Jahren behauptet sich Isa Genzken als eine von wenigen Frauen in der Männerdomäne der Skulptur. Ihre turmhohen Rosen und Orchideen schmücken Städte wie New York oder Leipzig. Nun feiert die Künstlerin ihren 70. Geburtstag.
Als Isa Genzken 2013 im New Yorker Museum of Modern Art präsentiert wurde, stellte das MoMa sie der überraschten Öffentlichkeit mit einem Video vor, das Wegbegleiter, Kuratoren, Sammler, Künstlerfreunde zu Wort kommen ließ. Besonders kurz fasste sich der Konzeptkünstler Lawrence Weiner: "Isa Genzken seduces the way that punk tried to seduce".
So verführerisch wie Punk? Das passende Kompliment für eine Künstlerin, deren Werk immer jünger zu werden scheint und deren Materialien der Resterampe der Warenwelt entstammen: Goldfolien, Decken, Warnwesten, Klebestreifen, zerfetzte Sonnenschirme, Helme, Sprayfarbe, Rollstühle, Helme, Surfbretter. Zuletzt überraschte Isa Genzken mit Schaufensterpuppen, die ihre Klamotten trugen oder mit Nofretete-Büsten, die mit ihrer Kollektion von Sonnenbrillen ausgestattet waren.
Die Sammlerin Claudia Oetker bewundert diese künstlerische Rückhaltlosigkeit schon lange:
"Sie sieht ja die Dinge teilweise völlig anders als andere Menschen. Und hat vielleicht gar nicht so viel mit Kreativität nur zu tun, sondern das ist ihre besondere Art des Sehens und des Neuzusammenfügens, das ich einfach so eindrucksvoll finde. Wie man dieser Form des Muts über so viele Jahre Ausdruck geben kann, zu neuen Formen findet."

Aufgeplatzte Rollkoffer und Raumanzüge

Als Isa Genzken im Jahr 2007 den Deutschen Pavillon auf der Biennale Venedig bespielte, rieben sich die meisten Besucher die Augen: Der Pavillon war eingerüstet, mit roter, lochgerasterter Kunststoffplane bedeckt, im Innern breitete sich ein seltsames Touristik-Endzeitszenario aus.
Zahllose aufgeplatzte Rollkoffer, von der Decke hängende Raumanzüge, Trash und Plastikmüll. Titel des Ganzen? "Oil". Einem ratlosen Journalisten begegnete die genervte Isa Genzken mit ebensolchem Unverständnis: "Können Sie sich nicht vorstellen, was das heißt? Ich meine: Oil? Für die Amerikaner, für die Iraker? Was soll ich dazu sagen?"
Eingeweihten wie der Sammlerin Claudia Oetker dagegen erschien diese Installation wie das längst erwartete Menetekel:
"Man kam in Venedig an, sah das und dachte: es trifft den Nerv dieser Stadt, die so unbarmherzig erobert wird von den Touristen,dass sie sie gleichzeitig auch zerstören. Und das ist genau das, was sie immer wieder trifft: sie trifft den Nerv, aber in einer ganz unglaublichen Form."
Die Titel, die Isa Genzken für ihre Ausstellungen findet, sind eine Kunst für sich: "Fuck the Bauhaus", "Mach Dich hübsch" oder "Mona Isa". Als sie ihre frühen Fensterskulpturen aus Epoxidharz und Beton zeigte, nannte sie diese Werkschau: "Jeder Mensch braucht mindestens ein Fenster."
Für den Kurator Kasper König, der Isa Genzken früh gezeigt hatte, ist ihre Kunst ein gesellschaftspolitisches Statement. Anthropologisch gesehen treffe sie immer genau den Punkt:
"Everybody has a right for at last one window. Or for a toilet, or for food, or for clean water or things like that. This is human right. She is antropologically really on the target".

Ihr Werk - ein Beleg für ihre Katastrophensensibilität

Das Gespür für die zerstörerischen Tendenzen der Gegenwart kommt bei Isa Genzken nicht von ungefähr. Wegen bipolarer Störungen war sie immer wieder in der Psychiatrie, lange von Drogen und Alkohol abhängig. Nach der gescheiterten Ehe mit Gerhard Richter habe sie zu "saufen" angefangen, erzählte sie vor zwei Jahren dem Berliner Tagesspiegel.
Ihre bis zu acht Meter hohen Skulpturen von Rosen und Orchideen wirken so, als hätte sie damit die Abgründe ihrer Psyche überwunden. Mit ihrem Galeristen Daniel Buchholz, der sie seit 1987 als treuer Freund begleitet, errichtete Isa Genzken eine solche Rose vor dem New Museum in New York.
Sie ist allerdings nicht nur schön, sondern auch monströs, verändert, wie so viele von Isa Genzkens Skulpturen, ihre Umgebung radikal:
"Und selbst auch bei der Rose, wo man denken könnte: Na ja, ist einfach nur 'ne große Rose. Es ging ja darum, dass die Landschaft drumherum kleiner wird, also dass die Größenverhältnisse sich verändern, das ist natürlich auch, wenn man mit Skulptur arbeitet, ein sehr wichtiges Thema."
Unangepasst, verführerisch, katastrophensensibel, weltraumnah und weltraumfremd – das ist das skulpturale Werk von Isa Genzken.
Gratulation!
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