Isabel Allende: "Dieser weite Weg"
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
384 Seiten, 24 Euro
Goldene Herzen und gute Geister
04:59 Minuten
Isabel Allende produziert seit 37 Jahren zuverlässig Unterhaltungsromane, die sich gut verkaufen. Nicht immer ist ein großer Wurf wie ihr Debüt "Das Geisterhaus" dabei. Auch ihr jüngstes Werk "Dieser weite Weg" hätte ruhig subtiler ausfallen können.
Am 2. August feiert sie ihren 77. Geburtstag. Isabel Allende, weltberühmt geworden durch ihren 1982 erschienenen Erstling "Das Geisterhaus". Dieser Roman beruhte auf der eigenen Lebensgeschichte, und auch Allendes weitere 24 Bücher beziehen ihren Stoff immer aus ihrem eigenen Leben. Nicht jeder davon ist ein großer Wurf, aber ihre Lesegemeinde hält der Schriftstellerin die Treue − mit mehr als 70 Millionen weltweit verkauften Büchern.
Nach vier Romanen, die in der Gegenwart spielten, taucht Allende jetzt wieder in die Vergangenheit ein. "Dieser weite Weg" erzählt die Geschichte des jungen Arztes Viktor Dalmau, der im spanischen Bürgerkrieg vor den Franco-Truppen über die Pyrenäen fliehen muss und auf einem von Pablo Neruda gemieteten Frachtschiff nach Chile entkommt.
An Viktors Seite: die angehende Pianistin Roser, hochschwanger von seinem inzwischen gefallenen Bruder Guillem. Die beiden schlagen sich in Santiago, das sie nicht durchweg willkommen heißt, mit Kneipen-, Babysitting-, Putzjobs durch, ehe sie ihren Platz als Arzt und Dirigentin finden. Einander respektvoll zugeneigt, doch ohne Leidenschaft (die sie in anderen Beziehungen suchen), führen sie eine pragmatische Ehe, bis sie durch den Militärputsch zu einer zweiten Flucht gezwungen werden.
Typischer Witz
Inspiriert wurde der Roman, wie Isabel Allende im Nachwort schreibt, durch die authentische Lebensgeschichte Viktors selbst, die dieser ihr im venezuelanischen Exil, als sie selbst vor dem Pinochet-Regime geflohen war, erzählt hat und die ihr seither nicht aus dem Kopf ging. Der Roman habe sich jetzt, nach 40 Jahren "von selbst geschrieben". Das ist das Problem. Allende verlässt sich auf ihre unbestrittenen handwerklichen Qualitäten, die mehr oder minder gelungene Unterhaltungsliteratur im besten Sinne produzierten.
Wie gewohnt detailreich ausgemalt, entwirft sie anrührende Szenen von Entbehrungen, Todesangst, Brutalität auf der Flucht. Eindrucksvoll schildert sie, wie immer wieder gute Geister eingreifen, so dass sich am Ende alles glücklich fügt. Nicht nur dass Viktor und Roser nach ihrem zweiten Exil ein weiteres Mal in Chile Fuß fassen, sondern dass sie schließlich auch zur gegenseitigen, tief empfundenen Liebe finden.
Dazwischen blitzt durchaus der allende-typische Witz auf: in der Schilderung der chilenischen Upper Class, von weiblichen Gewichtsproblemen auf Luxuslinern nach Europa bis zu katholischen Würdenträgern, die buchstäblich über Leichen gehen, wenn die Familienehre auf dem Spiel steht.
Ein Denkmal für die Tapferkeit
Da gibt es jede Menge Spott und Sarkasmus, wenngleich viel zu selten, was an den holzschnittartig geratenen Charakteren liegt, allen voran die Hauptfiguren, die allesamt über ein goldenes Herz verfügen, auf Kosten von Feinheiten, Schwächen, Abgründen.
Auch den realen historischen Personen − Salvador Allende, dem Viktor während des Wahlkampfs für das Präsidentenamt schachspielend Abwechslung verschafft, oder der Dichter Neruda, den Viktor vor der Polizei versteckt − ist leider keine wirklich erfindungsreiche, also fiktive Existenz vergönnt.
Man wird das Gefühl nicht los, dass Allende in einer von Flucht und Migration geprägten Zeit ein Denkmal setzen wollte: auf die Tapferkeit, den Überlebenswillen und wie man der Entwurzelung trotzt. Nicht das Schlechteste natürlich, aber das, worin Isabel Allende bislang unschlagbar war, ein wirklich guter Unterhaltungsroman ist es nicht geworden.