Isabelle Graw: "Vom Nutzen der Freundschaft"
Freundinnen und Freunde können eine wichtige Stütze im Leben sein – oft konkurrieren sie aber auch miteinander. Nicht nur Künstlerinnen und Künstler seien betroffen, sagt Isabelle Graw.
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Freundschaft in Zeiten des Wettbewerbs
10:45 Minuten

Freundschaft bringen viele mit Selbstlosigkeit in Verbindung. Doch immer wieder geht es dabei auch um die Nützlichkeit. Besonders im Kulturbetrieb, aber nicht nur dort, sagt Isabelle Graw, die ein Buch über dieses Spannungsfeld geschrieben hat.
Jeden Morgen tauscht die Kunsthistorikerin und Kritikerin Isabelle Graw Nachrichten mit einer Freundin aus – schon seit Jahren. „Sich einfach danach zu erkundigen: Wie geht es dir? Wie hast du geschlafen? Was hast du vor? Das tut wahnsinnig gut, wenn man das zu Beginn des Tages macht.“
Auch von diesem Ritual erzählt Isabelle Graw in ihrem neuen Buch „Vom Nutzen der Freundschaft“. Ihre Idee: „Ich wollte eine Kulturkritik der Freundschaft schreiben, die zugleich tief eingelassen ist in meine eigenen Freundschaftserfahrungen.“
Das Buch nehme ihre eigenen Freundschaftserlebnisse zum Anlass, um über Freundschaften nachzudenken, erklärt Isabelle Graw. Es gehe aber auch um Freundschaft generell – zumal in Zeiten einer Wettbewerbsgesellschaft, wo Freundinnen oft miteinander konkurrieren.
Von Konkurrenzgedanken überschattet
Der Kontrast zwischen den beiden Begriffen „Freundschaft“ und „Nutzen“ im Buchtitel gefalle ihr, so die Kunsthistorikerin: Der erste Begriff sei sehr idealistisch aufgeladen, man assoziiere damit Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit – der zweite sei dagegen ziemlich hart.
Dieser Kontrast finde sich in der Realität wieder: „Mir ging es darum, zu zeigen, dass vor allen Dingen im Kulturbetrieb – und im Kunstbetrieb insbesondere – viele Freundschaften einen instrumentellen Zug haben. Die sind nützlich, aber zugleich sind diese Freundschaften auch durch Zuneigung und Anziehung und Sympathie charakterisiert.“ Das überlagere sich oft und verursache Komplikationen. Das habe sie untersuchen wollen.
Isabelle Graw stellt den Kunstbetrieb auch als radikalisierte Form einer neoliberalen Gesellschaft vor. Die Freundschaften dort sind Unterstützungsgemeinschaften: Man hilft sich gegenseitig in der Karriere, aber diese Beziehungen sind immer auch von Konkurrenzgedanken überschattet.
Es geht etwa auch darum, ob man es sich leisten kann, bestimmte Freundschaften zu beenden, weil die Personen einem danach möglicherweise schaden könnten.
Düstere Vision des Kunstbetriebs
Sie zeichne eine düstere Vision des Kunstbetrieb, sagt Isabelle Graw. Wobei die Angst, dass das Ende einer Freundschaft auch „das Ende eines Informiertseins, eines gewissen Austausches“ bedeuten könnte, wohl auch in anderen Kulturbereichen herrsche. Eigentlich habe sich die gesamte Gesellschaft in eine Wettbewerbsgesellschaft verwandelt, so Graw.
„Der Soziologe Sighard Neckel hat mal sehr treffend gesagt: Wir sind Vergleichswesen. Es geht immer darum, zu gucken, was kriegt der andere. Und wenn ich das Gefühl habe, ich kriege weniger, obwohl mir genauso viel zusteht, dann entsteht Neid und so weiter“, erklärt sie.
Graw betont, die Figuren im Buch entsprächen nicht realen Menschen, sondern seien aus unterschiedlichen Personen zusammengesetzt. Es sei ihr nicht darum gegangen, dass erkennbar sei, wer hinter welcher Figur stehe – sondern „eher um Dynamiken, um Strukturen“.
Durchs Leben tragen
Neben der problematischen Seite von Freundschaft gehe es in ihrem Buch aber genauso auch um das Positive: zu zeigen, dass Freundschaft etwas sein kann, was man braucht wie die Luft zum Atmen, dass Freunde einen durchs Leben tragen können.
Wobei man einbeziehen müsse, dass auch „diese Gestalten keine reinen Lichtgestalten“ seien. Sie seien auch problematisch, hätten Aspekte, die einem Schwierigkeiten bereiten können.
Vielleicht laufe es darauf hinaus, bilanziert Isabelle Graw: „Dass man Freundschaften nur führen kann, wenn man bereit ist, auch die Unvollkommenheiten dieser Freundschaften zu akzeptieren und damit einen Umgang zu finden.“