Islam-Debatte

Deutsche Muslima, muslimische Deutsche

Muslimische Mädchen schwenken auf der Jahresversammlung der moslemischen Reformgemeinde Ahmadiyya auf dem Maimarktgelände in Mannheim deutsche Fahnen.
Muslimische Mädchen schwenken auf der Jahresversammlung der moslemischen Reformgemeinde Ahmadiyya auf dem Maimarktgelände in Mannheim deutsche Fahnen. © dpa / picture alliance / Ronald Wittek
Von Nushin Atmaca · 05.07.2016
Der Islam gehöre dort zu Deutschland, wo Muslime Gehör fänden, meint die Islamwissenschaftlerin Nushin Atmaca. Vielen Deutschen falle es noch immer schwer, Muslimen, auch wenn sie hier schon lange leben, ohne Vorurteile zu begegnen.
"Woher kommst Du?" – Diese Frage begleitet mich, seitdem ich denken kann. Sie ist immer nett gemeint. Sie wird gestellt von freundlichen Menschen.
Und doch irritiert sie mich jedes Mal. Denn sie signalisiert mir, dass ich irgendwo anders her komme, jedenfalls nicht von hier. Dass ich anders bin. Weil ich anders aussehe. Zuhause eine andere Sprache spreche. Und möglicherweise auch eine andere Religion habe.
Dieser Frage mag ein ehrliches Interesse zugrunde liegen. Oft allerdings auch eine ganz bestimmte Annahme. Antworte ich nämlich, dass ich aus Deutschland komme, aus Bochum, Hannover oder Berlin, provoziere ich eine überraschte Pause. Mein Gegenüber muss sich erst sortieren, bevor die nächste Frage folgt: "Ja, aber Deine Eltern, woher kommen Deine Eltern?"

Frage nach der Herkunft ohne einfache Antwort

Es ist nicht leicht, diesen Fragen zu entkommen, wenn das Aussehen nicht dem entspricht, was man sich gemeinhin unter dem mitteleuropäischen Phänotyp vorstellt. Und es ist schwierig, kurz und knapp die eigene Herkunft zu nennen, weil jedermann eine einfache Antwort erwartet, eine, die sich sicher in Schublade x oder y verstauen und keine Ambivalenz aufscheinen lässt.
Doch mittlerweile werde ich nicht mehr gefragt, ob ich selbst mich hier zuhause fühle, ob dieses Land auch meine Heimat ist. Vielmehr soll ich Auskunft geben, ob meine Religion hier einen Platz hat und ob ich, als Gläubige, hier richtig bin.
Und daraus entsteht ein Dialog, der sich surreal anfühlt. Da fallen Begriffe wie Fatalismus, Körperstrafen, Vielehe, Zwangsheirat, Ehrenmorde, Gewaltbereitschaft. Nur haben diese Begriffe mit mir und den allermeisten Muslimen in diesem Land nichts zu tun.

Bild vom Islam unterscheidet sich vom Leben der Muslime

Unser Leben ist geprägt von Schule, Arbeit, Familie, Freunden, Hobbies, sozialem Engagement, von all dem, was das Leben von Deutschen eben ausmacht. Und so wie in der gesamten Gesellschaft gibt es auch unter deutschen Muslimen sehr religiöse und weniger religiöse Menschen, es gibt Menschen mit konservativen Haltungen, mit traditionellen, liberalen oder säkularen Einstellungen.
Es gibt Muslime, die lieber klassische Musik hören, während andere sich mit Hiphop oder Punk identifizieren. Subkulturen sind kein Privileg einer Mehrheit, sondern stehen jeder Gruppe offen.
Wieso nun wird die Religion herangezogen, um eine Minderheit daran zu messen, ob sie zu Deutschland gehört?
Diese meine Gegenfrage mag naiv klingen, aber sie ist es nicht. Denn gegen hier lebende Muslime kehren sich tiefsitzende Ressentiments zu Religion im Allgemeinen und Islam im Besonderen, die ganz offensichtlich wiederbelebt und eingesetzt werden für politisches Treiben, vor allem von rechts.
Es ist verständlich, dass islamisch gefärbter Terror und Djihad-Tourismus, dass archaische Bräuche und Traditionen diffuse Ängste und Vorurteile auslösen, übrigens auch unter Muslimen.

Muslimen wird in eigener Sache kein Gehör geschenkt

Traurig aber ist, dass diesen Muslimen kein Gehör geschenkt wird, so sie versuchen, Entwicklungen zu erklären, zu analysieren und einzuordnen. So sie aufzeigen, dass es ideologisch verblendet, aber keinesfalls theologisch gerechtfertigt ist, andere Menschen abzuwerten aufgrund des Geschlechts, der Herkunft, der Rasse, der Sexualität.
Diese Haltung, die Christen selbstverständlich zu sein scheint, muss Muslimen ebenso abgenommen werden.
Ihre Position anzuerkennen, ihr Bekenntnis ernst zu nehmen, und ja, ihnen zu vertrauen, würde ihnen und uns allen zeigen, dass sie zu Deutschland gehören – und dass auch ihre Religion, der Islam, in diesem Land einen Platz hat.

Nushin Atmaca, geboren 1984, lebt in Berlin und hat an der Freien Universität Islamwissenschaft, Politik und Teilgebiete des Rechts studiert. Während ihres Studiums hat sie längere Zeit in Ägypten und Jordanien verbracht. Seit April 2016 ist sie Vorsitzende vom Liberal-Islamischen Bund.


Die Islamwissenschaftlerin Nushin Atmaca
© pirvat
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