Islam in Deutschland

Die Muslimschwestern

Lejla und Alina
Lejla und Alina © Karin Gothe
Von Karin Gothe |
Zwei junge Schwestern aus Berlin stecken mitten in der Pubertät, als sie plötzlich ihre Religion, den Islam, entdecken. Sie finden in der Moschee fast alles, was sie suchen: Geborgenheit, Anerkennung, Trost – und vor allem Orientierung. Innerhalb von drei Jahren verwandeln sich die beiden Berliner Teenager in streng gläubige Musliminnen – warum?
Alina und Lejla sind 13 und 15 Jahre alt, als sie anfangen zu beten. Ihre Mutter, die aus einer serbischen Familie stammt, ist zum Islam konvertiert, als sie ihren Mann, einen Bosnier, heiratet. Religiös war die Familie nie. Das ändert sich, als die beiden Töchter in die Pubertät kommen. Die Mutter hat Angst, dass ihre Kinder auf die schiefe Bahn geraten könnten. Gleichzeitig sucht sie Hilfe und Orientierung und findet beides in der Moschee. Ihre Töchter folgen ihr. Die Gemeinschaft in der Koranschule fasziniert sie, der junge, charismatische, aber sehr konservative Imam wird zum Idol.
Alina: "Seine Vorträge sind einfach boah, der Hammer, einfach ihm zuzuhören, egal worüber er redet, ist schön, man merkt einfach, er ist überzeugt davon, er liebt das, was er sagt, und er weiß, was er sagt."
Alina und Lejla passen sich nach und nach den strengen Regeln an.
Lejla: "Ich kann von mir behaupten, dass es alles eine Veränderung war, die im Laufe der Zeit passiert ist. Da war nix von heute auf morgen. Z.B. hab ich vor zwei, drei Jahren angefangen, Sachen überm Po anzuziehen, d.h. immer noch 'ne enge Hose, aber ein bisschen bedeckter, immer so weiter, von Schritt zu Schritt mehr, bis ich am heutigen Punkt angelangt bin."
Der "heutige Punkt", das sind lange, weite Kleidung, Kopftuch und ein Reise-Gebetsteppich in der Handtasche.

Der äußere Feind schweißt zusammen

Alina und Lejla ecken an – in der Schule, im Bekanntenkreis. Auch wenn sie auf Berliner Straßen mit ihrem Kopftuch nicht weiter auffallen, entspricht ihr religiöser Lebensstil nicht den Erwartungen der Mehrheitsgesellschaft an Berliner Teenager. Andererseits sind die beiden jung und lebensfroh - und wie viele Jugendliche ein bisschen auf Krawall gebürstet. Aber Alina und Lejla gehen nicht in Opposition zu ihren Eltern oder anderen Autoritäten. Sie lehnen sich auf gegen eine Gesellschaft, die ihnen keine Orientierung bietet. Sie wollen sich abgrenzen. Und sie kämpfen um Anerkennung. Jede Zurückweisung, die sie erfahren, bestärkt sie in ihren Überzeugungen und schweißt sie und die Freundinnen aus der Koranschule zusammen. Aber als Alina sich der Realität stellen muss und sich für einen Ausbildungsplatz bewirbt, wird sie auf eine harte Probe gestellt.
Alina: "Ich war beim Zahnarzt, hatte ein Vorstellungsgespräch und die Leute wussten nicht, wie ich aussehe. Und dann kam ich da rein, in die Praxis, und da war die Schwester. 'Sind Sie die, die sich beworben hat.' - 'Ja.' - 'Eine Frage vorab, möchten Sie dieses Kopftuch anbehalten, wenn Sie hier arbeiten würden?' - Das war die erste Frage. 'Ja.' - 'Gut, das wollen wir nicht.' Ich so: 'Danke trotzdem.' Der Arzt stand daneben, bin ich rausgegangen, hab versucht zu realisieren, was grad passiert war, und ich war voll so schockiert … und hab dann mitten vor der Schule von Lejla angefangen zu heulen. So richtig extrem geheult. Weil ich so baff war, das ging so schnell, ich hatte nicht mal die Möglichkeit mich vorzustellen."
Dass Zahnarzthelferinnen mit Kopftuch und langem Gewand in den meisten Praxen in Deutschland nicht erwünscht sind, war für Alina nicht überraschend. Aber die Ablehnung hautnah zu erleben, das hat sie mehr getroffen als sie erwartet hatte.
Jugendimam Heider im Klassenraum
Jugendimam Heider im Klassenraum© Karin Gothe

Wer macht die Regeln – Gott oder die Schule?

Lejla bekommt Probleme an ihrer Schule. Dort sind Muslime eine Minderheit. Nach dem Sommerurlaub in Bosnien bei der gläubigen Verwandtschaft, will Lejla die im Islam vorgeschriebenen fünf Gebete am Tag rigoros durchziehen, aber in der Schule ist Beten verboten. Sie sucht Rat beim Jugendimam, ihrem Vorbild.
Lejla: "Das Mädchen, das einen Jahrgang über mir war, sie wurde erwischt beim Gebet und da wurde ihr der Rausschmiss gedroht."
Jugendimam Ferid Heider: ..also ich find‘s erst mal ganz schlimm, wie sich das anhört, erwischt beim Gebet, das hört sich an, als wär ich erwischt worden beim Kiffen auf der Frauentoilette.
Das Gebet ist die Grundlage unseres Glaubens. Darauf basiert unser Glaube. Das ist eine so wichtige Säule des Islam, dass ich darauf nicht verzichten kann. Das geht einfach nicht.
Jugendimam Ferid Heider vor Bücherwand in der Moschee
Der Jugendimam Ferid Heider © Karin Gothe
Nach dem Gespräch mit dem Jugendimam ist klar: Lejla wird in der Schule beten, zur Not heimlich. Die religiösen Pflichten und die Worte des Imams sind ihr wichtiger als die Vorschriften des Schuldirektors.
Lejla: "Man muss ja auch ein bisschen für seine Sache kämpfen. Ich hab‘s mir fest vorgenommen, ich werd's auch durchziehen, ich werde mich da auch nicht kleinkriegen lassen."
Alina und Lejla sind heute 18 und 16 Jahre alt. Wie alle Jugendlichen sind sie auf der Suche. Sie werden ihren Weg finden, ob mit oder ohne Kopftuch. Das ist wahrscheinlich irgendwann zweitrangig.

Das Manuskript zur Sendung im PDF-Format oder im barrierefreien Textformat.

Die Journalistin Karin Gothe
Die Journalistin Karin Gothe© Photo Booth
Karin Gothe ist freie Journalistin und Islamwissenschaftlerin. Sie sagt:
"Bei meinem ersten Besuch in der Moschee Daressalam fühlte ich mich nach Ägypten versetzt, es waren die gleichen Gerüche, die gleichen Stimmen, die gleiche Atmosphäre. Dass ältere Menschen hier ein Stück Heimat wiederfinden, habe ich sofort verstanden. Aber was suchen junge Leute aus Berlin in einer Moschee, die einen so konservativen Islam predigt? Ich bin sehr froh, dass ich Alina und Lejla ein halbes Jahr lang begleiten durfte, um dies herauszufinden."
(sru)
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