"Ein solches Werk musste geschrieben werden"
Der christlich-muslimische Dialog ist nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig. Aber es gibt ein paar Theologinnen und Theologen, die sich diesem mühsamen Geschäft unterziehen. Im Herder-Verlag ist nun ein 854-seitiges "Lexikon des Dialogs" erschienen.
Vor neun Jahren begann es mit gemeinsamen theologischen Symposien an der Universität Ankara. Bald entstand die Idee eines so noch nie dagewesenen deutsch-türkischen, christlich-muslimischen Lexikons. Mualla Selçuk von der Theologischen Fakultät der Universität Ankara und Mitinitiatorin vom „Lexikon des Dialogs":
"In der Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Deutschland haben wir auf beiden Seiten festgestellt, dass es uns an gemeinsamen Begriffen fehlt, mit denen wir unsere gemeinsamen Überzeugungen und Gedanken zum Ausdruck bringen können. Deshalb haben wir beschlossen, dass wir Begriffe gemeinsam erarbeiten wollten. Das Lexikon ist das Produkt einer gemeinsamen Erfahrung, die für beide Seiten sehr wertvoll war."
So werden Begriffe wie Aberglaube, Auferstehung, Fasten, Säkularismus bis hin zum Zorn Gottes sowohl aus christlicher wie auch aus muslimischer Sichtweise erklärt. Rund 300 Lemmata, also Stichworte, auf gut 850 Seiten. Es gehe vor allem um Allgemeinverständlichkeit, sagt der katholische Philosoph und Herausgeber Richard Heinzmann:
"Es ist nicht die Absicht, ein Lexikon für Wissenschaftler zu machen, für christliche Theologen und muslimische Theologen, sondern die Absicht ist die, auf einer gesicherten wissenschaftlichen Basis so zu schreiben, dass geistig anspruchsvolle Menschen in der Lage sind, die Sachverhalte zu verstehen. Das erste Symposium, das wir hatten, stand unter dem Begriff 'Die Würde des Menschen', und es wurde in der Türkei mit ‚Ehre' übersetzt. Und da wurde uns klar, hier liegen zwei völlig verschiedene Verständnisebenen zu Grunde, und deshalb musste so ein Werk geschrieben werden."
Das Lexikon entstand in gemeinsamer deutsch-türkischer Redaktion. Über die Jahre mussten manche Artikel sogar dutzendfach überarbeitet werden. Aber die Mühe habe sich gelohnt, betont der Religionswissenschaftler Peter Antes:
"Als Beispiel nehme ich meinen ursprünglichen Artikel über Bekleidungsvorschriften, wo ich simpel sagte, es gibt eigentlich diese Problematik im deutschen christlichen Kontext nicht. Und dann auf Rückfrage der türkischen Kollegen merkte, dass ich sehr viel mehr auch zu der historischen Entwicklung noch etwas einbauen muss. Nämlich es gibt bei Paulus im Korintherbrief Andeutungen über Bekleidungsvorschriften, und wie dann die christliche Tradition damit umgeht, hat eben dazu geführt, dass ich diesen Artikel umgeschrieben habe und auch mit Blick auf die Frage, die von außen gestellt wird, eine entsprechende Darstellung meines eigenen Themas geliefert habe."
Brisante Stichwörter fehlen
Denn nicht bloß in der muslimischen Welt gibt es eine Kopftuchdebatte. Auch Apostel Paulus verlangte einst von den Frauen in der Gemeinde, dass sie sich verschleiern sollten. So ambitioniert das Projekt auch ist, so weist das "Lexikon des Dialogs" doch Lücken auf. So fehlen etwa brisante Stichwörter wie Genozid oder Christenverfolgung. Gerade als Hilfsmittel für den angestrebten christlich-deutschen-türkisch-muslimischen Dialog würde man sich wünschen, dass diese Themen der neueren Religions- und Nationalgeschichte behandelt worden wären. Denn in der Türkei wird etwa der Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges immer noch weitgehend tot geschwiegen. Trotz oder vielleicht gerade wegen der gegenseitigen Redaktion finden sich im Lexikon auch problematische Artikel. So liest man zum Stichwort Homosexualität christlich:
"Das Lehramt der katholischen sowie Teile der evangelischen Kirche plädieren für den Weg der Enthaltsamkeit. Sie betonen, dass zwar nicht schon die Neigung der homosexuellen Person an sich, wohl aber die daraus sich ergebenden homosexuellen Handlungen sündhaft sind, weil ihnen die Ausrichtung auf die Zeugung neuen Lebens fehlt."
Und unter Homosexualität aus islamischer Sicht:
"Homosexualität wird in muslimischem Verständnis als eine der Schöpfung nicht konforme Form zurückgewiesen. Sie wird als Abirrung von der natürlichen und ethisch korrekten Sexualität aufgefasst ... Da nach islamischer Auffassung Sexualität nicht auf einer Entscheidung basiert, sondern eine natürliche Gegebenheit ist, wird davon ausgegangen, dass homosexuelle Neigungen auf eine biologische, physische oder psychologische Anomalie zurückgehen."
Druckfrische Aussagen, die man auch als einfach nur diskriminierend werten kann. Es sind konservative Standpunkte, die von einer aufgeklärten Theologie längst überholt sind, sieht diese Homosexualität doch weder als widernatürlich noch als widergöttlich an. Beim Stichwort "Ehe" aus muslimischer Sicht heißt es, dass es traditionell möglich sei, dass ein muslimischer Mann eine nichtmuslimische Frau heiratet, jedoch nicht, dass eine muslimische Frau einen nichtmuslimischen Mann heiratet. Liberalere Lebensmodelle und Theologien werden dagegen nicht vorgestellt. Beim Eheartikel aus christlicher Sicht wird lediglich das Problem konfessionsverschiedener evangelisch-katholischer Mischehen diskutiert. Solche Paare dürfen in der römisch-katholischen Kirche offiziell nicht gemeinsam an der Kommunion teilnehmen, gleichwohl dies in vielen Gemeinden inoffiziell längst Praxis ist.
Nicht auf der Höhe der Zeit
Das auch stark emotional diskutierte Thema der Homo-Ehe und deren kirchliche Segnung findet dagegen keinerlei Erwähnung. Warum nun gerade dieser Aspekt ausgelassen wird, bleibt unverständlich. Auch beim Stichwort Konversion, also Glaubenswechsel, kommt der Verdacht auf, als bewege sich das Lexikon nicht auf der Höhe der Zeit bzw. verschweige die Realität. So behauptet der muslimische Autor, dass es laut Koran keinen "Zwang in der Religion" geben könne. Dann heißt es zum Ende des Artikels:
"Obwohl islamische Theologen im Allgemeinen die Position vertreten, dass jene, die sich gegen den Islam entscheiden, eine falsche Wahl treffen, so wird doch grundsätzlich akzeptiert, dass man sich in solche Entscheidungen nicht einmischt und sie in die Verantwortung des Einzelnen stellt. Allerdings wird dies auch heute noch in einigen islamischen Staaten nicht anerkannt."
Ein kurzer Blick auf die Jahresberichte zum Beispiel von amnesty international würde genügen, um zu wissen, dass es in vielen muslimischen Ländern keine Religionsfreiheit gibt, die Menschenrechte dort mit Füßen getreten werden. Weder ist dort die Abkehr vom Islam zu einer anderen Religion noch der Abfall von der Religion überhaupt denkbar. Konversion, Atheismus oder Agnostizismus stehen dort unter strenger, zum Teil lebensbedrohlicher Strafe. Auch fehlt im "Lexikon des Dialogs" das Stichwort Djihadismus. Der Djihad aber sei vor allem friedlich zu verstehen, erläutert Halis Albayrak von der theologischen Fakultät Ankara.
"Die erste Koranstelle zum Djihad beschäftigt sich nicht mit Krieg, sondern mit der göttlichen Offenbarung, mit dem Wissen, mit dem der Djihad betrieben werden soll. Es soll nicht Gewalt angewendet werden, sondern es soll mit Mitteln des Wissens gekämpft werden. Die Grundbedeutung meint Eifer und Engagement für die Durchsetzung des Guten. Dem gegenüber steht die Verwendung des Begriffs durch die Medien im Westen, was nicht auf theologischem Wissen basiert."
Das Problem ist nur, dass es Extremisten in der islamischen Welt gibt, die den Djihad eben doch gewaltsam umsetzen. Und darüber berichten die Medien eben. Das "Lexikon der Dialogs" gibt also einen ersten Überblick über theologische Grundbegriffe in Islam und Christentum. Darüber hinaus kann sich der interessierte Leser wohl allein schon über das Internet wesentlich schneller, differenzierter und bei weitem kostengünstiger über die fraglichen Religionsdinge informieren.