Islamfeindliche Wutbürger
Wer die Muslime in Deutschland verteidigt, muss sich auf Empörungsstürme einstellen – diese Erfahrung hat zumindest der Integrationsforscher Klaus J. Bade gemacht. In seinem neuen Buch analysiert er die Islamphobie in der Bundesrepublik.
Stadthalle Döbeln, sächsische Provinz. 800 Menschen strömen in den Saal. Aufgeregt, voller Vorfreude. Gleich wird ihr Held zu ihnen sprechen: Thilo Sarrazin. Es ist November 2011. Ein Team des Westdeutschen Rundfunks begleitet Sarrazin. Sie filmen, wie die Zuschauer jubeln, wenn er vor der Vermischung des deutschen Volkes mit anderen "Rassen" warnt:
"Wir schrumpfen und schrumpfen und schrumpfen und irgendwann sind wir alle weg. Nun stellen Sie sich vor, das sei ein Gestüt mit Lipizzaner Pferden oder sonst irgendetwas, und irgendwie will es der Zufall, dass dort in jeder Generation einmal ein belgischer Ackergaul eingekreuzt wird. Völlig klar: Die genetisch bedingte Fähigkeit zum Laufen sinkt. Gleichzeitig steigt die genetisch bedingte Fähigkeit, einen Karren durch den Lehm zu ziehen. Und genauso ist es auch beim Menschen."
430 Kilometer entfernt in München. Der Städtetag hat zu einer großen Integrationskonferenz geladen. Die "Vorteile der Vielfalt" will man hier diskutieren. Aber das passt etlichen Islamgegnern nicht. Die Konferenz muss von Sicherheitsleuten geschützt werden. Es kommt zu Tumulten.
"Hört mal genau hin, dieser Mann ist nicht rechtsradikal, der will auch nicht irgendwas gegen den Islam sagen."
"Moment, Moment, Moment!"
"Ich bin nicht gegen Muslime. Ich bin gegen den Islam."
Es sind Szenen wie diese, die den bis dato als besonnen bekannten Integrationsforscher Klaus Bade zu seinem Buch "Kritik und Gewalt" veranlassten. Wer seine 400 Seiten umfassende, oft wütend, manchmal beleidigt wirkende Schrift verstehen will, muss sich noch einmal erinnern an die Wucht, die die Sarrazin-Debatte entfachte, an die unwissenschaftlichen Vererbungsthesen, die damals ernsthaft diskutiert wurden, an den lauten Applaus, den er für seine pauschale Ablehnung von Arabern und deren angeblichen "Kopftuchmädchen" erhielt. Bade damals:
"Die Diskussion ist intensiver geworden, aber auch flacher, radikaler und aggressiver."
Seine These: Im Kielwasser der Sarrazin-Debatte habe sich in Deutschland eine Koalition der Islamhasser gebildet. Agitationskartell nennt Bade sie. Er zählt dazu neben Sarrazin auch Publizisten wie Henryk M. Broder, Necla Kelek oder den Schriftsteller Ralph Giordano und wirft ihnen vor, immer wieder den Islam zu diffamieren. Und er beschreibt, wie ihre Kritik von einer wütenden Meute im Internet aufgegriffen und breit gestreut wird.
Auch Bade, der seit Jahrzehnten das Zusammenleben von Eingewanderten und Einheimischen erforscht und dabei keiner ist, der Probleme verschweigt, geriet ins Visier der Islamgegner. Der Internetpranger "Nürnberg 2.0" stellte sein Foto auf eine virtuelle Fahndungsliste. Der größte islamfeindliche Blog, "Politically Incorrect", veröffentlichte folgenden Appell:
"Der Kopf der 'Forscher', die Kritik an Sarrazin übten, ist Prof. Dr. Klaus J. Bade."
Es folgten die kompletten Kontaktdaten Bades.
"Wenn jeder hier mal eine höfliche (!) Mail an den Herrn schickt und nur ein- bis dreimal dort anruft (wiederum höflich bleiben), spürt er vielleicht auch den Gegenwind. Höflich nicht weil er es verdient hätte, sondern um keine Anzeige zu provozieren."
Wochenlang wurde Bade mit Drohungen, Hassbriefen und Wutmails überzogen.
"Du verdammter dreckiger Hurensohn. (…) Halte bloß Deine beschissenen Empfehlungen für Dich sonst wirst Du Dreckskerl zu Hölle geschickt. Wir wissen wo Du und Deine Drecksfamilie wohnen."
"Dieser arrogante, islamverliebte Volksverräter, der verzweifelt nach einer Daseinsberechtigung sucht, will den Menschen, die die Wahrheit aussprechen, einen Maulkorb anlegen? Ich wünsche mir sehnlichst, dass er das nächste Opfer wird, das auf einer U-Bahnstation zusammengetreten wird."
"Es sind typisch Sozialwissenschaftler, die Deutschlands Integrationsmisere hervorgerufen haben. Leute wie Sie sind schuld, dass Menschen von meist türkisch-arabischen Schlägern auf Bahnhöfen niedergemetzelt werden."
Behörden und Politik reagieren hilflos
Bade beschreibt, dass die Islamgegner im Internet inzwischen hervorragend organisiert seien. Fast jeder, der sich zu Migrationsthemen äußere und der nicht ihre Meinung teile, werde mit unerträglichen Kampagnen überzogen, meint Bade, und er schildert, wie hilflos Behörden und Politik auf diese islamfeindlichen Wutbürger reagieren. Er selber stellte mehrfach Strafanzeige. Vergeblich. Die Gewaltaufrufe reichten der Polizei nicht. Die Blogbetreiber waren presserechtlich nicht zu belangen. Empört weist Bade darauf hin, dass diese Hetzseiten nicht einmal vom Verfassungsschutz beobachtet würden und zitiert aus einer – in seinen Augen – verharmlosenden Einschätzung der Bundesregierung:
"Die Mehrheit der Einträge bediene sich 'keiner klassischen rechtsextremistischen Argumentationsmuster'. Islamkritische bis hin zu muslimfeindliche Einstellungsmuster seien insgesamt Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung und müssten nicht zwangsläufig Ausdruck einer verfassungsschutzrelevaten Bestrebung sein."
Wobei sich das ändern könnte. Inzwischen hat das Bayerische Innenministerium den dortigen Arm des Blogs für verfassungsfeindlich erklärt; der Münchner Verfassungsschutz beobachtet.
Bades Buch ist nicht leicht zu lesen. Die Abrechnungen mit einigen Islamkritikern wie Necla Kelek sind lang und viel zu persönlich. Die Quellenlage ist an einigen Stellen fragwürdig. Da wird Keleks Leben anhand von Wikipedia-Einträgen analysiert. Die Sprache ist unnötig aufgebracht. Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe wird zum Beispiel stets als "Mörderbraut" beschrieben.
Noch beeindruckender wäre Bades Analyse der Islamphobie geworden, wenn er sie im Ton sachlich und ruhig gehalten hätte. Aber alles in allem folgt man ihm - bis zu seiner hilflosen Frage ganz am Ende:
"Wo war und bleibt die gesellschaftliche Ächtung der immer einflussreicher und mächtiger werdenden, geschickt an der Grenze der Verfassungskonformität operierenden antiislamischen Netzwerke, die treffender Hetzwerke heißen sollten?"
"Wir schrumpfen und schrumpfen und schrumpfen und irgendwann sind wir alle weg. Nun stellen Sie sich vor, das sei ein Gestüt mit Lipizzaner Pferden oder sonst irgendetwas, und irgendwie will es der Zufall, dass dort in jeder Generation einmal ein belgischer Ackergaul eingekreuzt wird. Völlig klar: Die genetisch bedingte Fähigkeit zum Laufen sinkt. Gleichzeitig steigt die genetisch bedingte Fähigkeit, einen Karren durch den Lehm zu ziehen. Und genauso ist es auch beim Menschen."
430 Kilometer entfernt in München. Der Städtetag hat zu einer großen Integrationskonferenz geladen. Die "Vorteile der Vielfalt" will man hier diskutieren. Aber das passt etlichen Islamgegnern nicht. Die Konferenz muss von Sicherheitsleuten geschützt werden. Es kommt zu Tumulten.
"Hört mal genau hin, dieser Mann ist nicht rechtsradikal, der will auch nicht irgendwas gegen den Islam sagen."
"Moment, Moment, Moment!"
"Ich bin nicht gegen Muslime. Ich bin gegen den Islam."
Es sind Szenen wie diese, die den bis dato als besonnen bekannten Integrationsforscher Klaus Bade zu seinem Buch "Kritik und Gewalt" veranlassten. Wer seine 400 Seiten umfassende, oft wütend, manchmal beleidigt wirkende Schrift verstehen will, muss sich noch einmal erinnern an die Wucht, die die Sarrazin-Debatte entfachte, an die unwissenschaftlichen Vererbungsthesen, die damals ernsthaft diskutiert wurden, an den lauten Applaus, den er für seine pauschale Ablehnung von Arabern und deren angeblichen "Kopftuchmädchen" erhielt. Bade damals:
"Die Diskussion ist intensiver geworden, aber auch flacher, radikaler und aggressiver."
Seine These: Im Kielwasser der Sarrazin-Debatte habe sich in Deutschland eine Koalition der Islamhasser gebildet. Agitationskartell nennt Bade sie. Er zählt dazu neben Sarrazin auch Publizisten wie Henryk M. Broder, Necla Kelek oder den Schriftsteller Ralph Giordano und wirft ihnen vor, immer wieder den Islam zu diffamieren. Und er beschreibt, wie ihre Kritik von einer wütenden Meute im Internet aufgegriffen und breit gestreut wird.
Auch Bade, der seit Jahrzehnten das Zusammenleben von Eingewanderten und Einheimischen erforscht und dabei keiner ist, der Probleme verschweigt, geriet ins Visier der Islamgegner. Der Internetpranger "Nürnberg 2.0" stellte sein Foto auf eine virtuelle Fahndungsliste. Der größte islamfeindliche Blog, "Politically Incorrect", veröffentlichte folgenden Appell:
"Der Kopf der 'Forscher', die Kritik an Sarrazin übten, ist Prof. Dr. Klaus J. Bade."
Es folgten die kompletten Kontaktdaten Bades.
"Wenn jeder hier mal eine höfliche (!) Mail an den Herrn schickt und nur ein- bis dreimal dort anruft (wiederum höflich bleiben), spürt er vielleicht auch den Gegenwind. Höflich nicht weil er es verdient hätte, sondern um keine Anzeige zu provozieren."
Wochenlang wurde Bade mit Drohungen, Hassbriefen und Wutmails überzogen.
"Du verdammter dreckiger Hurensohn. (…) Halte bloß Deine beschissenen Empfehlungen für Dich sonst wirst Du Dreckskerl zu Hölle geschickt. Wir wissen wo Du und Deine Drecksfamilie wohnen."
"Dieser arrogante, islamverliebte Volksverräter, der verzweifelt nach einer Daseinsberechtigung sucht, will den Menschen, die die Wahrheit aussprechen, einen Maulkorb anlegen? Ich wünsche mir sehnlichst, dass er das nächste Opfer wird, das auf einer U-Bahnstation zusammengetreten wird."
"Es sind typisch Sozialwissenschaftler, die Deutschlands Integrationsmisere hervorgerufen haben. Leute wie Sie sind schuld, dass Menschen von meist türkisch-arabischen Schlägern auf Bahnhöfen niedergemetzelt werden."
Behörden und Politik reagieren hilflos
Bade beschreibt, dass die Islamgegner im Internet inzwischen hervorragend organisiert seien. Fast jeder, der sich zu Migrationsthemen äußere und der nicht ihre Meinung teile, werde mit unerträglichen Kampagnen überzogen, meint Bade, und er schildert, wie hilflos Behörden und Politik auf diese islamfeindlichen Wutbürger reagieren. Er selber stellte mehrfach Strafanzeige. Vergeblich. Die Gewaltaufrufe reichten der Polizei nicht. Die Blogbetreiber waren presserechtlich nicht zu belangen. Empört weist Bade darauf hin, dass diese Hetzseiten nicht einmal vom Verfassungsschutz beobachtet würden und zitiert aus einer – in seinen Augen – verharmlosenden Einschätzung der Bundesregierung:
"Die Mehrheit der Einträge bediene sich 'keiner klassischen rechtsextremistischen Argumentationsmuster'. Islamkritische bis hin zu muslimfeindliche Einstellungsmuster seien insgesamt Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung und müssten nicht zwangsläufig Ausdruck einer verfassungsschutzrelevaten Bestrebung sein."
Wobei sich das ändern könnte. Inzwischen hat das Bayerische Innenministerium den dortigen Arm des Blogs für verfassungsfeindlich erklärt; der Münchner Verfassungsschutz beobachtet.
Bades Buch ist nicht leicht zu lesen. Die Abrechnungen mit einigen Islamkritikern wie Necla Kelek sind lang und viel zu persönlich. Die Quellenlage ist an einigen Stellen fragwürdig. Da wird Keleks Leben anhand von Wikipedia-Einträgen analysiert. Die Sprache ist unnötig aufgebracht. Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe wird zum Beispiel stets als "Mörderbraut" beschrieben.
Noch beeindruckender wäre Bades Analyse der Islamphobie geworden, wenn er sie im Ton sachlich und ruhig gehalten hätte. Aber alles in allem folgt man ihm - bis zu seiner hilflosen Frage ganz am Ende:
"Wo war und bleibt die gesellschaftliche Ächtung der immer einflussreicher und mächtiger werdenden, geschickt an der Grenze der Verfassungskonformität operierenden antiislamischen Netzwerke, die treffender Hetzwerke heißen sollten?"
Klaus J. Bade: Kritik und Gewalt. Sarrazin-Debatte, 'Islamkritik' und Terror in der Einwanderungsgesellschaft
Wochenschau Verlag, Schwalbach i. Ts.
398 Seiten, 26,80 Euro
Wochenschau Verlag, Schwalbach i. Ts.
398 Seiten, 26,80 Euro