Die Ängste der Muslime endlich ernst nehmen
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Nicht erst seit dem Anschlag in Hanau weisen Muslime auf eine zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland hin. Viele versuchen seit Jahren, das Problem sichtbar zu machen und fordern von Politik und Gesellschaft mehr Schutz.
Zekeriya Altug sitzt in seinem Büro im Komplex der Großen Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld. Er scrollt mit der Maus durch eine PDF-Datei, deren Inhalt mit Hilfe eines Beamers an der Wand steht. Altug, beim türkisch-islamischen Verband DITIB für die Außenbeziehungen zuständig, hat das Schaubild gefunden, in dem die Übergriffe auf Moscheen nach Bundesländern erfasst sind. Mit knapp 900 Moscheen ist DITIB der größte Verband. Die Grafik ist bereits ein paar Jahre alt, doch Altug hat die jüngsten Entwicklungen genau im Blick:
"Wir erfassen diese seit 2014, und in der Tat, wenn wir generell uns die Entwicklungen anschauen, dann nimmt es zu. Es gibt dann Phasen, wo es wieder ein bisschen weniger wird. Dann steigt es erneut. Und wenn wir jetzt dieses Jahr, dieses sehr junge Jahr, nehmen, ich glaube, wir steuern auf ein Rekordjahr zu."
Mehr Angriffe, wo weniger Muslime leben
Es ist eine bittere, ja durchaus skurrile Situation. Während in der vergangenen Woche in Köln draußen auf den Straßen der Domstadt, auch jetzt unmittelbar vor der Zentralmoschee, Karneval gefeiert wird, redet Altug drinnen über den rechtsextremen, islamfeindlichen Anschlag von Hanau, über die Verunsicherung unter den Muslimen in Deutschland, über Angriffe auf Moscheen:
"In den Regionen, wo die Muslime schon sehr lange Zeit ihre Moscheen haben. Und in Nordrhein-Westfalen sind übrigens auch die meisten Moscheen mit Kuppel und Minarett ausgestattet, auch als Neubauten, die als solche erkennbar sind. In den Regionen, wo die Muslime einen wesentlichen Teil in der Gesellschaft ausmachen, wo sie bekannt sind, wo man sie kennt, wo man sie auch sieht, da ist die Zahl der Übergriffe eher geringer als in den anderen Regionen, wo man Muslime überhaupt nicht kennt."
Altugs Erkenntnis: In den Regionen, wo wenige Muslime leben, ist die Anzahl der Angriffe verhältnismäßig deutlich höher:
"Das zeigt uns übrigens, dass die Muslime nicht Ursache des Problems sind, sondern sie nur Ziel eines anderen Problems sind. Und insofern sind Muslime auch nicht diejenigen, die das lösen können. Also, wir können dagegen wenig tun. Die Gesellschaft ist hier aufgerufen, die Muslime zu schützen, sich schützend vor ihre muslimischen Bürgerinnen und Bürger zu stellen."
Islamfeindlichkeit als solche benennen
Für den Alltag, so Altug, für die Situation heute, bedeute das:
"Die Islamfeindlichkeit nicht mehr länger zu verschweigen. Das ist auch meine persönliche Kritik sowohl an Herrn Bundespräsident Steinmeier gewesen als auch an den Innenminister wie auch alle anderen Politiker. Sie haben nach Hanau nicht ein einziges Mal das Thema der Islamfeindlichkeit benannt. Sie haben nicht ein einziges Mal Bezug genommen auf die Übergriffe auf Moscheen, auf die Bombendrohung, auf die Gefahr."
Man könne aber, so Altug, eine Gefahr nicht bekämpfen, die man nicht benenne:
"Ein Arzt kann einen Patienten nicht heilen, indem er ihm seine Krankheit verschweigt und sagt 'Vertraue einfach auf mich. Ich mach das schon.' Das geht nicht. Das ist nicht die Methodik. Wir müssen das Problem beim Namen benennen. Rassismus und rechter Terror ist richtig. Aber es ist nicht ausreichend. Man muss auch sagen, dass der rechte Terror ein islamfeindlicher rechter Terror ist."
Denn:
"Ich sage, das ist kein Problem der Fremdenfeindlichkeit. Weil die Menschen, die Ziel der Angriffe werden, das sind keine Fremden mehr. Die sind in der dritten, vierten Generation und somit Deutsche. In Deutschland geborene, aufgewachsene Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Sie sind den ehemaligen Heimatländern heute viel fremder als Deutschland. Also, sie sind hier keine Fremden. Aber diejenigen, die gegen diese Menschen hetzen, sind unserer heutigen Gesellschaft fremd geworden."
Bereits seit Jahren, so Altug, weise man auf das Problem hin.
Gesellschaftliche Debatten als Nährboden für Angriffe?
Die Jahrespressekonferenz der DITIB hat Kazim Türkmen, der Vorsitzende des Verbandes, mit einem aktuellen Hinweis eröffnet. Tags zuvor hatte es eine Bombendrohung gegen das Gebäude gegeben und die Moschee musste stundenlang evakuiert werden:
"Die DITIB-Gemeinden sind im höchsten Maße besorgt über die Entwicklungen der letzten Wochen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Debatten und Angriffen auf Moscheen und Muslime. DITIB weist seit Jahren darauf hin", sagt Türkmen.
Es sind solche Töne, solche Forderungen aus dem vergangenen Jahr, die nun, nach dem Anschlag von Hanau, noch einen etwas anderen Klang haben. Das weiß auch Herbert Reul, Nordrhein-Westfalens Innenminister von der CDU. Reul hat sich einen Namen gemacht als Hüter des Rechtsstaates. Er lässt Razzien gegen Clan-Kriminalität durchführen, versucht, gegen linksextremistische Besetzungen wie im Hambacher Forst vorzugehen und hat nun nach Hanau auch seine Behörden angewiesen, besonders sensibilisiert zu sein.
"Wir können nicht vor jede Moschee einen Polizisten stellen. Will ich auch überhaupt nicht, was ist das für eine Gesellschaft. Aber wir werden einfach Streife systematischer fahren in den Gebieten, wo Muslime zuhause sind. Das wird sich wahrscheinlich noch nicht mal auf die Moscheen konzentrieren lassen, sondern das können auch ganz andere Einrichtungen sein", erklärt Reul.
"Hundert Prozent Sicherheit gibt es nicht"
Er weiß, dass die Situation schwierig ist: "Ich kann nur das versprechen, was ich auch halten kann. Hundert Prozent Sicherheit gibt es nicht. Wir haben unsere Kontakte in die muslimischen Gemeinden ausgebaut und versuchen auch Rat zu geben."
Mehr Präsenz, mehr Dialog, mehr darüber reden. Reul ist eben ein Politiker, der – Stichwort Clan-Razzien – die Kraft von Symbolen einsetzt. Er weiß aber auch:
"Man muss Symbole setzen, um denen gegenüber zu zeigen, wir nehmen das genauso ernst wie alle anderen Gefahren. Aber man muss wissen, es sind Symbole."
In der muslimischen Community jedenfalls ist die Unsicherheit naturgemäß groß. Es besteht die Sorge, dass das Problem weiterhin nicht ernst genommen wird. Yusuf Sari nickt:
"Als wir das dann näher untersuchen wollten und gemerkt haben, dass es immer mehr wird und problematischer und auch schwerwiegendere Fälle vorgekommen sind. Neben Beleidigungen, Bedrohungen, Graffitis gab's dann Schweinekadaver und Sachbeschädigung, Zerstörungen. Es wurden Molotow-Cocktails gefunden. Teilweise angezündete, teilweise welche, die kaputt gegangen sind und nicht in Flammen aufgegangen sind."
"Brandeilig" dokumentiert islamfeindliche Straftaten
Sari könnte diese Aufzählung fortführen. Der junge, türkischstämmige Mann aus Krefeld arbeitet bei FAIR international. "FAIR" steht für "Federation against Injustice and Racism". "FAIR" hat seinen Sitz in Köln und finanziert sich durch Spenden. Seit knapp fünf Jahren sammelt der Verein Daten über Moschee-Angriffe und veröffentlicht diese nun seit einiger Zeit unter dem Projekt "Brandeilig". Denn bis zum Jahr 2017 wurden islamfeindliche Straftaten in Deutschland nicht von öffentlicher Stelle separat erfasst, so wie es bei rechtsextremen oder antisemitischen Taten schon länger der Fall ist. Und auch nun sei die Dunkelziffer wohl hoch. Doch die Tendenz sei dennoch eindeutig, so Sari:
"Es wurden nicht weniger Hakenkreuze geschmiert oder es wurden nicht weniger Bombendrohungen gemacht, sondern es geht immer in Richtung oben."
Auf ihrer Website "Brandeilig" dokumentieren Sari und seine Mitstreiter alle Fälle, tragen Informationen zusammen. Und auch bei der DITIB haben sie nun extra eine Stelle geschaffen und besetzt, die die Übergriffe und Anschläge dokumentieren und auswerten soll. Saris Gesicht ist ernst:
"Wir haben jetzt keine Wahl mehr oder nicht diesen Luxus, uns hinter irgendwelchen Relativierungen zu verstecken, weil wir haben jetzt hier konkrete Todesfälle. Zehn Menschen sind gestorben. Wir haben einfach nicht mehr diese Ausweichmöglichkeit. Wir müssen es deswegen ganz klar und deutlich benennen und ganz klar entschieden dagegen vorgehen."
Obwohl der Monat März gerade erst angefangen hat, gibt es bereits einen Eintrag: Farbschmierereien auf einer Moschee in Schwerin.