Islamic Banking

"Der Mensch ist ein Treuhänder auf Gottes Erden"

Eine Frau geht am 23.03.2015 in Mannheim (Baden-Württemberg) am Eingang einer Bankfiliale der Kuveyt Türk Bank vorbei. Die deutschlandweit erste Bank, die islamischen Regeln folgt, hat nach einem Medienbericht jetzt in Mannheim ihre volle Zulassung erhalten. Foto: Uwe Anspach/dpa
In Mannheim gibt es bereits eine Filiale der Kuveyt Türk Bank - deutschlandweit die erste Bank, die islamischen Regeln folgt. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Zaid El-Mogaddedi im Gespräch mit Kirsten Dietrich |
Islamic Banking umschreibt Bankgeschäfte, die mit den Prinzipen des Islams übereinstimmen. Zaid El-Mogaddedi berät seit über zehn Jahren zu dem Thema und erläutert die Besonderheiten solcher Finanzdienstleistungen.
Kirsten Dietrich: Bis zur großen Finanzkrise schien es noch ganz einfach: Wachstum ist das A und O, wirtschaftlich, finanziell, auf möglichst jedem Gebiet. Das sichert die Gewinne derer, die das Wachstum vorantreiben und dadurch auch das Wohl der Gesellschaft – zumindest in den westlichen Ländern, für den armen Süden hat das Konzept noch nie so richtig funktioniert. Eine nicht endende Bankenkrise später scheint klar: Das Konzept des Fortschrittsglaubens muss überdacht werden. Und genau das versucht an diesem Wochenende eine Konferenz in Köln unter dem Titel "Ihr aber glaubet – über Religion und Wachstumsdenken". Ich habe mit einem der Referenten gesprochen, der eine in Deutschland immer noch weitgehend unbekannte Form vorstellt, in der Finanzgeschäfte an ethische Prinzipien gebunden werden sollen: das Islamic Banking, also Bankgeschäfte in Übereinstimmung mit dem Islam. Zaid El-Mogaddedi war konventioneller Banker und berät seit über zehn Jahren zum Islamic Banking. Ich habe ihn gefragt, wo man die Unterschiede zum herkömmlichen Bankgeschäft am deutlichsten merkt.
Das Wirtschaften hat im Islam besondere Bedeutung
Zaid El-Mogaddedi: Nun, der größte Unterschied ist natürlich der, dass sich das Islamic Banking sehr stark auf religiöse Konzepte beruft, dort vor allem natürlich eben halt die zwei wesentlichen Quellen im Islam: der Koran, das offenbarte Wort, und die Lebensweise des Propheten. Wenn man das zugrunde legt und sich dann eben halt mit den entsprechenden Texten beschäftigt, erkennt man halt, dass der Islam als Lebenskonzept dem Wirtschaften eine besondere Bedeutung beimisst, und weil Wirtschaften eben so ein zentraler Begriff ist, müssen natürlich auch ökonomische Handlungen in den entsprechenden religiösen Kontext eingebettet werden. Und ich glaube, das ist der wesentliche Unterschied, der das islamische Banking von einem konventionellen Banking erst einmal unterscheidet, weil dort eine Bezugnahme auf einen religiösen Kontext im Regelfall nicht gegeben ist.
Dietrich: Nun ist der Koran ja vor 1300 Jahren entstanden, offenbart worden und bezieht sich auf eine Gesellschaft, die vollkommen anders strukturiert ist als unsere Gesellschaft – wie lassen sich aus diesen religiösen Worten dann Prinzipien für modernes Banking ableiten?
El-Mogaddedi: Gut, den Ball gebe ich gerne zurück: Wir haben nach wie vor natürlich auch noch die Predigten des Propheten Jesus, die natürlich immerhin als Bergpredigt zum Beispiel nach wie vor auch integraler Bestandteil einer christlichen Sozialethik natürlich ist. Das Thema ist demzufolge nicht, ob wir als Muslime uns an Texte halten können, die vor 1400 Jahren offenbart worden sind, sondern die Frage ist eher, was wir daraus ableiten. Ich bringe Ihnen ein einfaches Beispiel, weil es durchaus einen aktuellen Bezug hat auch zu einem mehrheitlich islamisch geprägten Land, was im Augenblick in der Presse ist: Es gibt eine Aussage des Propheten, dass gesagt wurde, der Lohn des Arbeiters ist zu zahlen, bevor der Schweiß auf seiner Stirn getrocknet ist. Das wurde vor 1400 Jahren gesagt. Die Aussage hat nach wie vor Bestand, natürlich heutzutage in einem anderen Kontext. Den Kontext, den ich erzielen will, ist natürlich mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft in Katar, dass natürlich wir dort Bedingungen haben, die islamisch konform überhaupt nicht gutzuheißen sind: Weder wird dort ein richtiger Lohn gezahlt, noch gibt es dort richtige Arbeitsverträge und dergleichen, das heißt, wir haben religiöse Vorschriften, die zu Recht, ja, vor 1.400 Jahren offenbart worden sind, die aber nach wie vor einen zeitlichen Bezug haben. Und die islamischen Gelehrten sind auch angehalten, die entsprechenden Vorschriften aus dem Koran und eben halt der Lebensweise des Propheten, der sogenannten Sunna, immer im aktuellen Licht auch zu bewerten, denn es gab natürlich viele Fragestellungen, nehmen wir gerade wirtschaftliche Ökonomie, die wir heute haben, die aber seinerzeit gar nicht präsent waren. Demzufolge ist der Gelehrte, so er in der Lage ist, Ökologie, Ökonomie und Theologie zu verbinden, damit konfrontiert, kann ich heutzutage richtige Antworten geben, die islamisch konform sind.
Dietrich: Ich wollte gar nicht bestreiten, dass es möglich ist, das abzuleiten, ich wollte mehr wissen, was man denn daraus für Prinzipien ableitet. Also was bedeutet das, was machen Sie heute, wenn Sie beraten für islamisch verstandene Bankgeschäfte?
"Wir haben einen gewissen Prinzipienkanon"
El-Mogaddedi: Ja, wir haben im Prinzip einen gewissen Prinzipienkanon – das Bekannteste natürlich hier in Europa ist das sogenannte Geldzinsverbot, das kennen wir auch aus alttestamentarischen Texten oder christlich motivierten Texten. Hier geht es ganz klar darum, dass hier eine Politik des starken Schuldenmachens am Ende unter verschiedenen Aspekten – Stichwort Fairness, Stichwort gerechte Gewinnverteilung, Stichwort Vermeidung von Abhängigkeiten – nicht gewünscht ist, also das ist ein zentrales Element. Wir haben eine ganz klare Vorgabe, dass exzessive Spekulationen nicht gewünscht sind. Wir wissen das aus der Finanzmarktkrise seit 2008, dass hochspekulative Geschäfte, natürlich gerade im Investmentbanking, in erheblichem Fall dazu beigetragen haben, dass eine Vielzahl von Banken in die Schieflage geraten sind. Wir haben ein klares Verbot von Glücksspielaktivitäten, das heißt da, wo ein Prinzip schon im Vorherein klar ist, dass einer gewinnt und viele verlieren werden. Und wir haben klare Vorgaben im Bereich, in welche Bereiche denn investiert werden soll, und diese Bereiche werden dann noch mal durch einen Filter geschoben, um einfach zu schauen, ist der einzelne Bereich – nehmen wir jetzt zum Beispiel den Automobilbereich –, haben wir dort sehr starke, festverzinsliche Einnahmen, ja, nein, haben wir dort eventuell Bedingungen, Stichwort Kinderarbeit, die auch nicht gewünscht sind. Und am Ende müssen sämtliche Produkte, die im Bereich Islamic Banking angeboten werden – das ist sicherlich auch ein Novum und Abgrenzungskriterium gegenüber westlichen Banken –, von einer Ethikkommission abgezeichnet werden. Das heißt, die Ethikkommission übernimmt hier auch die Aufgabe, auch aus Sicht des Anlegers oder des potenziellen Kunden, die Brille aufzusetzen und zu fragen, ist es islamisch konform, haben wir hier im Prinzip unter dem Aspekt Klarheit und Wahrheit alles aufgezeichnet, oder gibt es versteckte Fußangeln im Vertragstext, auf der letzten Seite, die der Kunde nicht versteht. Das sind so wesentliche Bestandteile, auf die man im Bereich Islamic Banking achten muss.
Dietrich: Aber ums Gewinne machen geht es schon auch?
El-Mogaddedi: Ums Gewinne machen geht es auch – wir machen das jetzt im Bereich der islamischen Ökonomie jetzt nicht nur aus reiner Nächstenliebe, es ist auch überhaupt nichts dagegen einzuwenden, Gewinne zu erzielen. Die Frage ist immer eben nur, mit welchem Instrument wird Gewinn erzielt und in welchem Rahmen werden entsprechende Gewinne dann am Ende des Tages auch unter dem sozialen Aspekt verteilt. Ein wesentlicher Grundsatz aus der islamischen Perspektive ist einfach, dass der Mensch ein Treuhänder auf Gottes Erden ist, und daraus ergibt sich im Prinzip, dass jedwedes Handeln, das der Mensch hat, eine gottesdienstliche Tätigkeit ist. Islamic Banking ist also auch Banking, aber es ist Banking unter anderen Vorgaben, es hat andere, sag ich mal, es hat andere Bandbreiten, und es hat vor allem andere Regularien, die durchaus dazu führen können – und das hat die Finanzmarktkrise gezeigt –, dass islamische Banken nicht so in eine Schieflage geraten, wie es westlichen Banken ergangen ist.
Dietrich: Ist mit diesen Vorgaben Spekulation wirklich ausgeschlossen? Sie betonen ja die starke Bindung an Realien, aber kann man das nicht irgendwie unterlaufen und dann trotzdem weiter spekulieren?
El-Mogaddedi: Das Problem wie bei jedem Ansatz ist natürlich, dass nicht der Ansatz oder die Konzeption im Prinzip das Hindernis ist, sondern die kriminelle Energie, sage ich immer, zwischen den Ohren des Beteiligten. Natürlich kann das jemand unterlaufen, wenn er das will. Wenn ich sage, Spekulation ist nicht erwünscht, dann meine ich nicht sozusagen die Spekulation, die Sie haben – nehmen Sie ein Beispiel: Sie sind ein islamischer Kaufmann, Sie betreiben Handel, Sie kaufen Ware ein, Sie wissen aber nicht, ob Sie die Ware verkaufen können, ja oder nein. Das heißt, da haben Sie natürlich ein spekulatives Element, weil Sie planen natürlich. Unternehmerisches Risiko im Sinne von Spekulation, ja, Spekulation, so wie wir es aber im Rahmen der Finanzmarktkrise auch sehr plastisch dargestellt bekommen haben, wohlwissend, dass das zulasten von vielen geht, indem Sie halt Agrarmittelspekulation oder dergleichen, das ist definitiv nicht erlaubt.
Dietrich: Sie sprachen am Wochenende bei einer Konferenz, wo es um die religiöse Hinterfragung des Fortschrittsdenkens geht – was hat Islamic Banking da beizutragen?
"Wir alle werden für unser Handeln zur Verantwortung gezogen"
El-Mogaddedi: Wenn ich sage, dass die Muslime eben das Prinzip haben, dass sie als Treuhänder Gottes auf Erden sind und Verantwortung übernehmen müssen, dann haben wir natürlich in diesem Thema Verantwortung auch das Wörtchen Antwort, und aus der islamischen Perspektive ergibt sich, dass Antwort für die eigene Generation, Antworten geben für die Folgegeneration, und dann sind wir aber noch sehr stark im diesseitigen Bezug, und dann kommt der entsprechende religiöse Aspekt, Antworten auch gegenüber dem Schöpfer im Jenseits geben. Will heißen, wir alle werden für unser Handeln natürlich zur Verantwortung gezogen in irgendeiner Form, und wir müssen mit der Ressource und den Gegebenheiten, die wir hier haben, haushalten. Es gibt einen bekannten Ausspruch des Propheten, der einfach mal in eine Moschee gegangen ist, dort jemanden gesehen hat, der vertieft in Koranstudien war, und der Prophet hat den Betreffenden gefragt, was er denn da mache, worauf er gesagt hat, er widme sich dem Studium der religiösen Texte.
Worauf der Prophet ihn wiederum fragte, wer denn in der Zwischenzeit sozusagen sein Einkommen sichere, seinen Lebensunterhalt sichere. Darauf meinte dann der Betreffende, das mache mein Bruder, und die Antwort, die der Prophet gab, ist ein Indiz dafür, dass man dies weltliche und die gottesdienstlichen Tätigkeiten zusammenbringen sollte: Der Prophet antwortete, dein Bruder ist der bessere Gläubige. Also man soll natürlich seinen gottesdienstlichen Tätigkeiten nachgehen, man soll aber gleichzeitig die Verantwortung, die man hat – aus der Treuhänderschaft, die ich vorhin beschrieben habe –, auch im Weltlichen beachten, und das bedeutet automatisch natürlich auch Fortschritt, weil ohne Fortschritt wären wir jetzt nicht hier an diesem Ort, hätten nicht die wundervolle Technik hier zur Verfügung, sondern würden wir vielleicht noch irgendwo in der Höhle sitzen und hätten Angst, den Kopf rauszustecken. Also ich denke, Islam, Religion, Christentum, Judentum sind per se nicht fortschrittsfeindlich, sie begründen aber eine bestimmte Struktur, innerhalb derer sich Fortschritt entwickeln soll, und zwar nicht im Sinne von grenzenloser Fortschritt oder schrankenloser Fortschritt, sondern Fortschritt basierend auf einer Ethik, die sich ableitet von religiösen Prinzipien.
Dietrich: Was ist das besondere am Islamic Banking? Ich sprach mit dem Unternehmensberater Zaid El-Mogaddedi.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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