Ein Mufti zwischen Belgrad und Melbourne
06:32 Minuten
Abdullah Nu'man ist Obermufti der Islamischen Gemeinschaft Serbiens. Der 69-jährige muslimische Geistliche wurde serbisch-orthodox getauft. Seinen Weg zum Islam fand er als buddhistischer Sinnsucher in Indien.
Ein Mittag in Belgrad: Der Muezzin ruft zum Gebet, Vogelgezwitscher begleitet ihn. Aus den Ahornkronen lugt das Minarett der Belgrader Bajrakli-Moschee in den Himmel. Im Innern der 100 Quadratmeter großen Moschee lauschen die Gläubigen den Worten von Dr. Abdullah Nu'man, dem Mufti der Islamischen Gemeinschaft Serbiens. Er sagt: "Unsere Aufgabe ist, das Wort Allahs zu verstehen. Muslim zu sein ist kein Ritual, der Gang zur Moschee keine Theatervorstellung, nur gerechtes, faires und ehrenhaftes Benehmen zeichnen einen Muslimen aus."
Mufti in Jeans und Sandalen
Im Gebäude neben der Moschee warte ich auf meinen Gesprächspartner. Arabische Zeichen auf den Tischen, Lampen mit Ornamenten verziert, niedrige Sofas, gedrechselte Stühle, ein Ambiente wie aus Tausendundeiner Nacht. Dann geht die Tür auf, ein großer Mann mit dunkler Brille und silbergesprenkeltem Bart tritt herein. Er trägt Sandalen, Jeans und ein kariertes Hemd.
Ich bräuchte aber ein Foto in "offizieller Uniform", sage ich, "Nö", sagt er, "ein Mufti bin ich auch in Jeans". Und lacht. Und erzählt von seiner ersten Suche nach Gott in den düsteren 1950er-Jahren in Belgrad, als Religion im Kommunismus verpönt war: "Als kleines Kind bin ich ein paar Mal zum Religionsunterricht gegangen, ohne Wissen meiner Eltern. Offiziell hieß es, Religion mache dumm, und ich wollte herausfinden, ob das wirklich stimmt."
Rebellische Fragen gestellt
Ivan Trifunović wächst gut behütet in einer bürgerlichen, serbisch-orthodoxen Familie in Belgrad auf, spielt Fußball mit den Nachbarjungs. Kurz vor dem Abitur bleibt er sitzen, weil er "rebellische Fragen" stellt, das Abitur wird nachgeholt. Ende der 1960er-Jahre ist er 20 Jahre alt, seine Suche nach Gott führt ihn nach Indien. Bei einem buddhistischen Mönch lernt er meditieren, während er seinen Garten pflegt. Ganz zufällig liest er Bücher über den Islam, und in Rajastan wird aus Ivan Trifunović Abdullah Nu'man:
"Ich glaubte schon immer, dass es einen Gott gibt, wollte aber wissen, wer dieser Gott ist. Ich wollte den Glauben nicht von außen betrachten, sondern von innen. Und ich fühlte mich, als es so weit war, so glücklich, als ob ich fliegen würde. Als ob ich aus einem Brunnen rettendes Wasser getrunken hätte. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass der Mensch im Islam den Gott und die Wahrheit findet."
Zum Studium nach Australien
Zurück in Belgrad lehnen Mutter und Großmutter Abdullahs neuen Glauben ab, er leidet darunter. In der Bajrakli-Moschee trifft er seine zukünftige Frau Razija. Sie ist Australierin, ihr Vater ist ein bosnischer Moslem, ihre deutsche Mutter ist zum Islam übergetreten. Der junge Abdullah verliebt sich in Razija und folgt ihr nach Australien:
"Ich habe sie so geliebt und liebe sie noch immer, dass ich mit ihr auch in einem Schuhkarton hätte leben können. Sie aber wollte zurück und so kam ich mit."
Abdullah Nu'man studiert in Melbourne, dort macht er sein Diplom in Philosophie, Soziologie und Management, später promoviert er in arabischen und islamischen Wissenschaften in Mekka. Anschließend unterrichtet er an der Universität in Melbourne islamische Wissenschaften, bis er 2017 nach Belgrad gerufen wird.
Im Kopf wohnt das Wesentliche
Dieser Mann, dieser hoher islamische Geistliche, dem ich gegenübersitze, ist mit seinen 69 Jahren noch immer ein "Belgrader Junge", voller Anekdoten, scherzend, lachend. Als ich ihn frage, ob seine Frau und seine Tochter verschleiert sind, wird er ernst:
"Nein. Das haben sie selbst entschieden. Denn es ist unwichtig, was du auf deinem Kopf trägst, wichtig ist, was du im Kopf hast. Sich zu verschleiern ist nicht der Grund des Lebens für eine Frau."
Wir bleiben bei ernsten Themen. Muslime, die Terroranschläge verüben, seien keine richtigen Muslime, so Abdullah Nu'man, weil sie nicht nach Regeln des Korans handeln. Aber: "Als wir handeln sollten, am Beginn der Terroranschläge, als wir uns dagegen stellen sollten – da haben unsere Imame geschwiegen."
Plädoyer für friedliches Zusammenleben
Die europäischen Imame sollten an europäischen Universitäten studieren und nicht in Islamschulen in den Ursprungsländern ausgebildet werden, sagt Nu'man. Das würde ihnen helfen, die westliche Welt besser zu verstehen.
Abdullah Nu'man scheut sich nicht, seine Meinung zu äußern, er plädiert für ein friedliches Zusammenleben zwischen mittlerweile verfeindeten islamischen Gemeinschaften, die es in Serbien gibt. Seine Botschaft: "Wir alle haben einen Gott."
Am Ende des Gesprächs gibt es Mokka. Lejla Alomerović, die gute Seele der Islamischen Gemeinschaft und rechte Hand vom Mufti Nu'man, trägt Mokkatassen in den Raum. Ihre blonde Mähne ist teilweise unter dem roten Tuch versteckt, das sie locker um den Kopf gewickelt hat.
Predigt auch auf Englisch
"Ein neuer Wind weht in der Gemeinschaft, seit Mufti Nu'man hier ist", sagt sie. "Mufti Nu'man lebt in der Moschee, genau im Haus neben der Moschee. Er ist hier für jeden da, seine Hingabe gilt Gott, Gläubigen, Reisenden, Unglücklichen."
Am Abend hält Abdullah Nu'man wieder eine Predigt, diesmal auf Englisch, für diejenigen, die kein Serbisch verstehen:
"Wir dürfen nicht glauben, dass niemand unsere Fehler sieht und wir sie deshalb behalten dürfen. Und sie von einer Hosentasche in die andere schieben, um bloß nichts zu verändern. Nein, das ist nicht der Weg!"