Sarah Albrecht: "Gilt die Scharia auch im Westen? Zum innermuslimischen Diskurs über die Auslegung islamischer Normen für Muslime in nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaften", in: Andreas Goetze u.a. (Hg.): Religion-Macht-Politik: Wie viel Religion verträgt der Staat?, Wichern-Verlag, 2015
Was ist eigentlich die Scharia?
Islamisches Recht war immer im Wandel und Auslegungssache. Ein Gesetzbuch, das sich mit "Scharia" betiteln ließe, gebe es nicht, erklärt Islamwissenschaftlerin Sarah Albrecht. Es sei eine neue Entwicklung, dass zum Beispiel Salafisten diese Pluralität nicht mehr anerkennen.
Anne Francoise Weber: In der vergangenen Woche hat die CDU-Politikerin Erika Steinbach gefordert, muslimische Neumitglieder ihrer Partei sollten beim Eintritt in die CDU eine so genannte Anti-Scharia-Erklärung unterschreiben. Damit sollten sie versichern, dass die Scharia nicht über dem Grundgesetz stehe und sie keiner Organisation angehören, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, erklärte Steinbach gegenüber der "Huffington Post".
Ganz abgesehen von dem seltsamen Generalverdacht gegen Muslime, der hinter der Sache steht – so einfach ist es nicht, wie Erika Steinbach sich das vorstellt. Denn die Scharia ist im Gegensatz zum Grundgesetz kein klar umrissener Text, den man als vor- oder nachrangig betrachten könnte. Vielmehr ist es ein vielschichtiger Begriff, den wir uns jetzt ein wenig genauer anschauen wollen.
Das tun wir im Gespräch mit Sarah Albrecht. Sie ist Islamwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin und forscht zur Bedeutung islamischer Normen in westlichen Gesellschaften. Die einen verweisen darauf, dass Scharia eigentlich wörtlich nur "Weg zur Quelle" bedeutet und keinen klaren Gesetzestext meint, für die anderen ist die Scharia gleichbedeutend mit Körperstrafen und Frauenunterdrückung. Was ist es denn nun?
Sarah Albrecht: Ja, wie Sie in Ihrer Frage schon implizieren, ist es tatsächlich komplex. Gehen wir tatsächlich von der Urbedeutung des arabischen Begriffs shari'a aus, woraus sich das deutsche Scharia ableitet, so heißt es erst einmal ganz klassisch: der Weg zur Wasserstelle.
Und gucken wir in den Koran, dann kommt dieser Begriff dort genau einmal vor, nämlich in Sure 45 Vers 18. Und dort bedeutet er ganz unfachlich eigentlich nur den Weg zum Heil, den gebahnten Weg, sprich: Theologisch gesehen wird es gedeutet als der Weg zu einem gottgefälligen Leben.
"Ethische, moralische, rituelle und auch rechtliche Aspekte"
Was da nun alles dazugehört, das ist höchst umstritten. Ganz grob gesagt kann man sagen, dass die Scharia insgesamt zwei Bereiche abdeckt, den Bereich der religiösen Praxis und den Bereich des Zusammenlebens der Menschen. Was aber nun genau darin steckt, da kommt es darauf an, wen man fragt. Schaut man nach der normativen Antwort, also, fragt man sozusagen islamische Rechtsgelehrte, Juristen, was sich genau hinter Scharia verbirgt, so würden Juristen sagen, dass die Scharia insgesamt die islamische Normenlehre abdeckt. Das heißt, zum einen umfasst die Scharia sämtliche ethische, moralische, rituelle und auch rechtliche Aspekte des Lebens und zum anderen umfasst Scharia darüber hinaus aber auch die Frage der Normenfindung, sozusagen: die Frage danach, auf welchen Quellen eigentlich Scharia basiert und welche Methoden der Rechtsfindung zugrunde liegen. Also, wie leitet man überhaupt Normen aus diesen Quellen ab.
Weber: Weil diese Quellen eben keine expliziten Normen sind oder nur in ganz bestimmten Fällen? Und ansonsten muss man sich, weil das heutzutage vielleicht auch andere Probleme sind, das ableiten aus irgendwelchen Andeutungen?
"Kein festgeschriebenes Gesetzeswerk"
Albrecht: Ganz genau. Die beiden Hauptquellen der Scharia sind der Koran, also das heilige Buch des Islams und die sogenannte Sunna, also die Prophetentradition. Gemeint damit sind Berichte über Handlungen und Aussagen des Propheten Mohammed, des Religionsgründers im Islam. Nun wissen wir, dass der Koran als heiliges Buch selbstverständlich kein festgeschriebenes Gesetzeswerk ist, und man kann sagen, dass nur einige Dutzend der insgesamt über 6000 Verse im Koran überhaupt explizite rechtlich relevante Aussagen beinhalten.
Weber: Das ist weit weniger als in der hebräischen Bibel, würde ich mal vermuten, oder?
Albrecht: Da würde ich jetzt mich quantitativ nicht festlegen, aber die Vermutung würde ich durchaus teilen. Das heißt, dass man jede heilige oder religiöse Schrift, also auch in diesem Falle den Koran natürlich auslegen muss. Und selbst die Stellen, die explizite rechtlich relevante Aussagen beinhalten, müssen selbstverständlich interpretiert werden. Das heißt, man kann sich das so vorstellen, dass die Scharia zwar insgesamt immer wieder als ein religiöses, göttliches oder gottgegebenes Konstrukt verstanden wird, gleichzeitig aber sind die Quellen gottgegeben beziehungsweise die Quellen leiten sich her aus Gottes Wort, nach muslimischem Verständnis, oder eben nach den Handlungen, Aussprüchen des Propheten Mohammed. Zugleich aber ist die Interpretation, das heißt das Verständnis dieser Quellen immer das Produkt menschlicher Reflexion, das heißt des menschlichen Verstehens dieser Quellen. Und wie wir wissen, ist menschliches Verstehen von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort sehr unterschiedlich.
Weber: Und das wird auch anerkannt in der islamischen Tradition, dass letztendlich das doch Auslegungssache ist und nicht so festgeschrieben, wie wir uns das immer vorstellen?
"Anerkannte Pluralität an Meinungen"
Albrecht: Wenn wir das historisch betrachten, auf jeden Fall. Wir sehen schon, dass sich in der Frühzeit des Islam, als sich überhaupt diese Idee von Scharia und fiqh – das ist das arabische Wort für die Interpretation der Scharia – herausgebildet hat, sind unterschiedliche Rechtstraditionen, sogenannte Rechtsschulen entstanden.
Diese unterschiedlichen Rechtstraditionen, die ganz unterschiedliche Auffassungen zu einzelnen Bereichen der Interpretation der Scharia, aber auch zur Methodik der Auslegung ganz unterschiedliche Ansichten dazu haben, diese Rechtstraditionen haben immer, über 1400 Jahre hinweg parallel existiert und sich gegenseitig anerkannt.
Das heißt, es hat immer schon eine anerkannte Pluralität an Meinungen von Interpretationen gegeben. Zugleich aber gibt es gerade heutzutage – und das ist in Teilen ein deutlich modernes Phänomen – die Tendenz, dass in einigen muslimischen Kreisen eben diese Pluralität bestritten wird. Damit meine ich explizit Kreise, die häufig als salafistisch bezeichnet werden, das heißt Gruppierungen, die für sich in Anspruch nehmen, sich noch mehr als andere Muslime auf den Ursprung des Islam zu berufen, auf die Zeit der rechtgeleiteten Kalifen, die Zeit der ersten drei Generationen von Muslimen, und die eben behaupten, dass es eine solche legitime Pluralität an Meinungen nicht geben kann.
Weber: Aber selbst die … Also, wenn es jetzt einen Scharia-Richter gibt in einem wirklich islamisch geprägten Land, auch der wird nicht einen Text vor sich haben, an dem er seine Urteilssprüche orientiert, sondern wird verschiedene … - also, wird den Koran vor sich liegen haben, aber auch verschiedene Auslegungen, verschiedene Hadith-Sammlungen? Also, es gibt wirklich nicht so die eine Referenz?
"Es gibt faktisch kein Gesetzbuch, das man als Scharia übertiteln könnte"
Albrecht: Auf jeden Fall. Es gibt faktisch kein Gesetzbuch, das man als Scharia übertiteln könnte. Es hat im Laufe der Geschichte durchaus Versuche gegeben, Scharia zu kodifizieren, das heißt schriftlich festzuhalten in einzelnen Bereichen. Diese Versuche der Kodifizierung sind aber nie universell geworden, es hat nie ein Verständnis von Scharia gegeben. Und wenn wir uns heute überlegen, was passiert, wenn in einem islamisch geprägten Land, in dem es einen, ja, Scharia-Richter gibt, und das ist selbstverständlich nicht überall institutionell so verankert, aber wenn es das gibt, so kommt es erst einmal auch darauf an, welcher Rechtstradition, welcher sogenannten Rechtsschule dieser Richter angehört und auch welcher Rechtstradition diejenigen angehören, die dem Richter gegenüberstehen. Und darüber hinaus ist es wie gesagt immer eine Frage der Interpretation. Denn ganz grundsätzlich sollte man sich auch vor Augen führen, dass es das Prinzip gibt, dass die Scharia, sozusagen Gottes Wille, immer im Kontext des jeweiligen Ortes, der jeweiligen Zeit und der jeweiligen gesellschaftlichen Umstände interpretiert werden muss.
Weber: Das heißt, wenn in Saudi-Arabien jetzt als angebliche Scharia-Strafe so etwas wie Handamputation wegen Diebstahl vorgenommen wird, muss man sagen: Das ist eine Interpretation, das ist eine bestimmte Rechtsschule oder Festlegung in diesem tatsächlich sehr islamisch geprägten Land, heißt aber in keiner Weise, dass die Scharia das immer als Strafe für Diebstahl vorschreibt?
Albrecht: Also, nun ist Saudi-Arabien sicherlich nicht repräsentativ für die gesamte islamisch geprägte Welt, sondern das ist ein Land, das tatsächlich für sich in Anspruch nimmt zu sagen, dass das Rechtssystem auf der Scharia basiert. Was das genau bedeutet, ist immer eine große Frage, denn diesen Anspruch erhebt man in allerlei Ländern.
Wenn man das faktisch untersucht, so kommt man zu dem Schluss, dass nur gewisse Bestandteile – meistens sind das übrigens familienrechtliche Bestandteile des Rechtssystems, sehr selten strafrechtliche – tatsächlich aus der Scharia hergeleitet werden können. Der größte Teil der Rechtssysteme in der islamisch geprägten Welt besteht ja tatsächlich aus Übernahmen europäischer Rechtssysteme, die zum großen Teil aus der Kolonialzeit herrühren, also vor allem britische und französische Rechtssysteme.
Kommen wir aber zu der Frage mit dem Handabhacken, da geht es ja um den Straftatbestand des Diebstahls. Und nun gibt es im Koran tatsächlich in den einzelnen Versen, die ich schon genannt hatte, die eben explizite rechtlich relevante Aussagen treffen, dort gibt es tatsächlich die sogenannten hudud-Strafen. Das sind explizite Körperstrafen, die man ganz häufig medial auch vor Augen geführt bekommt, wenn man eben Handamputationen sich anschaut oder verschiedene Formen von Todesstrafen, Steinigung et cetera. Das bezieht sich auf einige wenige Straftatbestände, für die der Koran tatsächlich benennt, dass es bestimmte Sanktionen, Strafen dafür geben muss. Diese umfassen zum einen eben Diebstahl, daneben den sogenannten Straßenraub, Alkoholkonsum, außerehelicher Geschlechtsverkehr und die falsche Bezichtigung außerehelichen Geschlechtsverkehrs, also sehr spezifische Angelegenheiten.
"Für Strafen gibt es explizite Regelungen"
Nun ist aber die Frage: Was sagen eigentlich Muslime, muslimische Rechtsgelehrte dazu, wann diese Sanktionen für diese Strafen eigentlich angewandt werden können und müssen? Darüber gibt es eine große Diskussion. Wenn wir das in der Rechtspraxis anschauen, so kommen wir zu dem Schluss, dass in den allermeisten islamisch geprägten Ländern diese Strafen heutzutage nicht angewandt werden. Fragt man sich natürlich: Sind das dann nicht wirklich islamische Interpretationen?
Nun würden Rechtsgelehrte in diesen Ländern sagen: Doch, das ist die explizit heutige islamische Auslegung dieser Vorschriften aus dem Koran. Und argumentiert wird hier unter anderem damit, dass gesagt wird: Diese Strafen, die sind nicht einfach so im Koran benannt, sondern dafür gibt es ganz explizite Regelungen, wie sie angewandt werden müssen. Und eine ganz klare Regelung ist die Frage von Zeugenschaft. Nehmen wir beispielsweise eine Anklage wegen außerehelichen Geschlechtsverkehrs, so ist dort vorgesehen, dass es vier Zeugen geben muss, die dieses Vergehen unabhängig voneinander beobachtet haben müssen. Wenn man sich das nun so vorstellt, mag man meinen, dass das doch recht selten vorkommen würde, dass es vier Zeugen gibt.
Weber: Aber wenn es vorkommt, das ist ja das Gefährliche an dieser Argumentation, dass, wenn es vorkommt, dann könnte man sagen, muss es auch so angewendet werden, weil es im Koran steht. Aber selbst das tun nicht alle.
Albrecht: In einzelnen Ländern wird das heutzutage angewandt, heutzutage ist die Praxis der Anwendung der Strafe übrigens weitaus weniger restriktiv, als das in der Vormoderne war. In der Vormoderne wurden diese Strafen, so wie wir aus historischen Studien wissen, faktisch nicht angewandt oder sehr, sehr selten, muss man sagen, angewandt. Denn häufig führte diese Vorgabe der Zeugenschaft dazu, dass letztlich diese Strafen nur dann angewandt werden konnten, wenn die Bestraften tatsächlich ein Geständnis abgelegt haben. Was nicht unbedingt häufig vorgekommen sein mag. Darüber hinaus gibt es aber noch einen weiteren Kritikpunkt, den heutige Gelehrte und auch Intellektuelle gegen diese Strafen anwenden. Denn sie sagen: Wenn man sich die Verse im Koran genau anschaut, dann ist es so gemeint, dass diese Strafen nur dann angewandt werden können, wenn sie unter einer gerechten islamischen Herrschaft stattgefunden haben.
Weber: Gibt es die?
Albrecht: Das ist die große Frage. Und viele heutige Gelehrte und Intellektuelle verneinen das und sagen: Solange wir keinen gerechten islamischen Herrscher haben, sondern mehr oder weniger korrupte Regime, die von sich sagen, dass sie sich auf den Islam berufen, so lange können und dürfen diese Strafen nicht angewandt werden.
Weber: Jetzt ist ja noch die interessante Frage: Was ist mit Muslimen, die in explizit nicht islamischen Gesellschaften leben, also im Westen, die da eine Minderheit sind, bei denen es also gar nicht darum geht, ob das staatliche Gesetz sich irgendwie auf die Scharia beruft. Wie sehr muss ich als Einzelperson versuchen, diese Scharia-Richtlinien und -Normen einzuhalten, oder inwiefern gibt es da Ausnahmen?
"Muslime haben sich an das geltende Recht zu halten"
Albrecht: Das ist natürlich eine Frage, die man einzelnen Musliminnen und Muslimen auch stellen muss, wie das tatsächlich gelebt wird, wie sie selber beurteilen, welchen Stellenwert die Scharia für sie in ihrem Leben hat. Gucken wir uns das Ganze normativ an, also was muslimische Gelehrte und Intellektuelle dazu sagen, so gibt es auch da sehr unterschiedliche Meinungen.
Grob gesagt kann man aber doch sagen, dass es einen historischen Grundsatz gibt, der sich bis heute durch diese Debatten zieht. Und dieser Grundsatz lautet, dass Muslime sich jeweils an das an ihrem Aufenthaltsort geltende Recht zu halten haben. Das ist recht unbestritten, immer wieder Bestandteil der Debatten. Die Frage ist aber doch: Wie werden nun die Bestandteile der Scharia interpretiert und auch gelebt, die überhaupt nicht in einem Konflikt stehen mit geltenden Rechtsnormen? Nehmen wir zum Beispiel den ganz großen Bestandteil der Scharia von rituellen, religiösen Fragen.
Weber: Beten, fasten und solche Dinge.
Albrecht: Genau, oder auch Bekleidungsvorschriften et cetera. Nehmen wir das Fasten. Das Fasten im Monat Ramadan steht in keinem direkten Widerspruch zu geltendem Recht zum Beispiel hier in der Bundesrepublik. Es kann aber doch Konflikte geben, denken wir an das Fasten am Arbeitsplatz.
Weber: Bei Fußballspielern.
Albrecht: Bei Fußballspielern zum Beispiel, das ist ein sehr gutes Beispiel. Da gibt es auch tatsächlich eine Rechtsdiskussion, eine ethische Diskussion darüber, wie das ausgelegt werden muss. Beim Fußball war es so, da gab es einmal vom FSV Frankfurt eine Anfrage – das ist ein Zweitligist –, wie das eigentlich sei, wenn professionelle Fußballspieler, die also ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Fußball zu spielen, wenn nun Ramadan ist und sie fasten. Dann können sie ihre Leistung nicht erbringen und sie können eigentlich ihren Arbeitsvertrag nicht mehr erfüllen.
"Es kann einen regen Austausch zu praktischen Fragen geben"
Da hat der Fußballverein eine Anfrage gestellt bei Rechtsgelehrten der Azhar-Universität in Kairo, einer sehr renommierten islamischen Universität. Und die Antwort, die der Verein – so hat er selber erklärt – bekommen hat, war, dass diese Fußballspieler ausnahmsweise im Ramadan nicht fasten müssen. Denn – so die Argumentation – der Arbeitsvertrag, also das Einhalten des Arbeitsvertrags, wird höher gewertet als das Fasten im Ramadan. Das ist sicherlich eine Meinung, die nicht von allen geteilt wird, aber diese Fatwa zeigt, dass es eben ganz unterschiedliche Diskussionen darüber geben kann und dass sicherlich nicht alle Gelehrten, alle Muslime das immer teilen, aber dass es eben einen ganz regen Austausch zu solchen praktischen Fragen auch geben kann.
Weber: Fatwa ist ja so ein anderes Reizwort in Deutschland, man denkt da immer an so ein Dekret, dem alle Muslime folgen müssen. Auch das stimmt nicht, es ist ein Rechtsgutachten und letztendlich kann jeder entscheiden, ob er dem jetzt folgt oder ob er sich möglicherweise noch ein anderes holt, was in eine andere Richtung geht. Es gibt da auch durchaus sich widersprechende Fatwas, oder?
Albrecht: Genau. Also, zum einen sind es ganz klar Gutachten. Gutachten, das heißt, das sind Meinungen. Es sind Meinungen der Interpretation der Scharia. Das heißt, man kann denen folgen, man kann das aber auch nicht tun. Wie Muslime das im Einzelnen handhaben, das ist sehr unterschiedlich. Manche würden vielleicht der Fatwa folgen, die sie von dem Imam oder dem Gelehrten des Vertrauens erfragt haben, andere würden weiterschauen – man kann ja viele Fatwas heutzutage online auch abrufen – und vergleichen und sehen, was man selber aufgrund sozusagen der Anwendung des eigenen Verstands für die passendste Fatwa erachtet.
Weber: Vielen Dank, Sarah Albrecht, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Islamwissenschaften der Freien Universität Berlin und Autorin einer Studie zur Vereinbarkeit islamischer Normen mit dem Leben in westlichen Gesellschaften. Die hat die Bertelsmann Stiftung im Zusammenhang mit einer Veranstaltungsreihe mit Deutschlandradio Kultur in Auftrag gegeben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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