Mehr als Allahu akbar
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Alhamdullilah, Maschallah, Inschallah - arabische Redewendungen sind in migrantisch geprägten deutschen Großstädten inzwischen häufig zu hören. Ihr Ursprung ist islamisch, doch spricht im Alltag aus ihnen wirklich noch ein religiöses Bekenntnis?
"‚Astaghfirullah‘ – ich feiere diesen Begriff sehr, weil… äh, oh Gott, weiß ich eigentlich die Bedeutung richtig davon? Ich kenne es nur so als ‚Schämst du dich nicht?‘ oder so ‚Gott verbietet es‘. Oder: ‚Gott findet es iiih, ba, pfui‘."
Marcel Sonneck ist Mitglied der "Datteltäter", einem Satireformat von "Funk", dem Jugendangebot von ARD und ZDF. Die Datteltäter bekämpfen Vorurteile von und gegen Muslime mit Satire. In einem Video erklärt Marcel, der einzige Nichtmuslim in der Runde, islamische Begriffe. Die Begriffe wählt ein Glücksrad aus. Wenn er richtig rät, steigt ein digitaler Daumen auf, wenn er falschliegt, geht der Daumen wieder runter.
"Inschallah. So Gott will. Diesen Begriff habe ich, glaube ich, mit am meisten gehört. Am häufigsten habe ich den gehört, wenn sich verabredet wird: ‚So, dann sehen wir uns ja morgen. Dann machen wir das am Wochenende. Inschallah.‘"
"Wallah" kennt sogar der Duden
Es sind Ausdrücke, die bei vielen Deutschen ohne Kontakt zu Muslimen wohl für hochgezogene Augenbrauen sorgen würden. Bei vielen Jüngeren wie Marcel gehören sie längst zur Alltagssprache – zumindest in migrantisch geprägten Großstädten. Die zum Ausruf gewordene Schwurformel "Wallah – ich schwöre [bei Gott]!" verzeichnet sogar der Duden als Jugendsprache.
Man muss nicht gläubig sein, nicht einmal muslimisch geprägt, um diese Begriffe zu verwenden. Unter vielen Türkisch- und Arabischsprachigen wird "Inschallah" genauso alltäglich verwendet wie das deutsche "um Gottes willen". Auch viele Atheistinnen benutzen die Formeln. Doch ihr Ursprung ist religiös.
"Die Seele des Moslems ist, sozusagen, aus heiligen Formeln gewoben. In diesen arbeitet er, in diesen ruht er, in diesen lebt er und in diesen stirbt er", schreibt der Schweizer Religionswissenschaftler und Metaphysiker Frithjof Schuon in seinem 1961 erschienenen Werk "Den Islam verstehen".
Laut Schuon strukturieren diese Redewendungen das ganze Leben von Muslimen. Sie verankern die Gläubigen im Diesseits, horizontal in der Zeit. Und sie verbinden sie zugleich vertikal ins Jenseits mit Gott.
"Im Namen Gottes, des Barmherzigen, des Allerbarmers. Gepriesen sei Gott, der Herr der Welten", mit diesen Worten beginnt der Koran – für die meisten Muslime das unverfälschte Wort Gottes. Und so wie Gott selbst seine Botschaft mit dem "Bismillah" beginnt, sprechen es auch viele Gläubige zu Beginn jeder neuen Handlung: vor dem Essen, zu Beginn der Gebetswaschung oder wenn sie im Ramadan den ersten Schluck Wasser trinken.
Alles Handeln geschieht im Bewusstsein Gottes
Milad Karimi ist Professor für islamische Philosophie an der Universität Münster. Er sagt, sogar vor diesem Gespräch habe er das Bismillah leise für sich gesprochen: "Weil es darum geht, dass dies einfach gelingt, dass ich mich jetzt nicht ständig verhaspele, grammatisch falsch rede oder mir Gedanken nicht in den Sinn kommen, die hier relevant wären."
Für Karimi geht es darum, dass Gläubige alles, was sie tun, im Bewusstsein Gottes tun sollten – selbst das vermeintlich Leichte: "Über all das verfüge ich nicht. Im Grunde genommen: Diese Aufrufung Gottes zeigt auch, dass ich mich in jedem Augenblick nicht in Sicherheit wiege, sondern mich dem Ewigen anvertraue."
"Allahu Akbar" als Ausdruck der Demut
So wie ein gläubiger Mensch jede neue Tat mit dem "Bismillah" beginnt, so endet eine vollbrachte Tat im Ausdruck der Dankbarkeit, dem "Alhamdulillah – Gepriesen sei Gott". Schuon schreibt über diese beiden Ausdrücke:
"Die Basmalah beschwört den göttlichen Ursprung – und damit die Gegenwart Gottes in vergänglichen Dingen – herauf. Und die Hamdalah löst die Dinge wieder auf, indem sie sie auf ihren Ursprung zurückführt."
Dabei sind diese Formeln keineswegs nur Ausdruck besonders konservativer Frömmigkeit. Leyla Jagiella ist Ethnologin und muslimische Trans-Aktivistin. Auch sie spricht viele dieser Formeln regelmäßig:
"Man sagt zum Beispiel, wenn man in den Spiegel schaut, soll man dreimal ‚Allahu Akbar‘ sagen, um sich daran zu erinnern, dass Gott über dieser äußeren Erscheinung steht, die man da präsentiert bekommt. Das finde ich sehr schön."
Ein Spruch gegen den "bösen Blick"
Ein weiteres Beispiel, das auch popkulturell inzwischen Karriere macht, ist der Ausdruck "Maschallah – was Gott will". Es gehört zum guten Ton, "Maschallah" zu sagen, wenn einer anderen Person etwas Gutes passiert, um auszudrücken, dass man nicht neidisch ist.
So hört sich das dann etwa bei den "Datteltätern" an:
"Ey, nices Auto."
"Sag Maschallah, Bruder"
"Hä. Wieso?"
"Du sollst Maschallah sagen. Mach kein Auge, hab ich gesagt. Sonst knallt's hier."
"Sag Maschallah, Bruder"
"Hä. Wieso?"
"Du sollst Maschallah sagen. Mach kein Auge, hab ich gesagt. Sonst knallt's hier."
Maschallah - mehr als nur eine Alltagsfloskel
Wie alle Satire enthält auch dieser Datteltäter-Sketch einen Funken Wahrheit. Denn es gibt Muslime, die einen schief angucken, wenn auf ein Lob kein "Maschallah" folgt. Sie fürchten, dass ihnen der Neid der anderen in Form des sogenannten bösen Blicks Unglück bringen könnte.
Doch es geht nicht nur um Rivalität mit anderen. Jagiella sagt "Maschallah" auch dann, wenn ihr selbst etwas Gutes passiert ist: "Alles Schöne ist ja irgendwie bedroht. Egal, ob das jetzt der Neid ist, der böse Blick oder ob das einfach die Unwegsamkeiten des Lebens sind. Es ist immer irgendwie in Gefahr, wieder genommen zu werden. Dessen machst du dich in diesen Momenten bewusst."
Soweit zumindest die Theorie. In der Praxis verkommen die Formeln allzu oft zu leeren Floskeln, sagt Jagiella:
"Eigentlich ist es ständig eine Praxis, die du selbst aufrechterhalten musst, dass du diese Worte auch immer wieder mit Bedeutung füllst und dich gleichzeitig auch daran erinnerst, dass das nicht nur etwas ist, was du gerade sagst, sondern auch eine Bedeutung trägt."
Eine Aufforderung, bewusster durch die Welt zu gehen
Auch Milad Karimi sieht in diesen wiederkehrenden Verweisen auf etwas Höheres eine Aufforderung, bewusster durch die Welt zu gehen: "Das hat schon Aristoteles eingesehen. So etwas wie gut zu sein, eine Tugend in sich zu tragen, mit Ethos in die Welt hinzugehen, heißt: zu üben. Sich im Guten zu üben. Immer wieder."
Ihn ärgert es, wenn Muslime religiöse Formeln nur nutzten, um ein Zeichen zu setzen: "Es kann auch natürlich unglaublich nerven, wenn sich jemand ständig einfach nur noch mit diesen Worten bekleidet, um eine Art Habitus, eine Art Show, um zu zeigen: Ich bin superreligiös, weil ich ständig diese Floskeln verwende."
Die Tugend hinter der Floskel vermitteln
Wer so handelt, sagt Karimi, habe den Sinn der Formeln missverstanden. Denn es gehe nicht um die äußere Form:
"Diese Redensformen sind im Grunde genommen das Ergebnis der Tugenden. Zum Beispiel, indem wir etwas loben. Das heißt, dass wir dabei keinen Neid empfinden sollen. Insofern ist eigentlich das, was dahintersteckt, das, was sein muss – und nicht diese Floskeln selbst."
Ein Gefühl für die Tugend hinter der Floskel vermitteln. Zumindest bei den Datteltätern scheint das geklappt zu haben, sagt der Nichtmuslim Marcel Sonneck: "Also ‚Inschallah‘ ist in meinen eigenen Wortschatz absolut eingeflossen. Es hat tatsächlich auch immer ein bisschen was Spirituelles, weil ich finde, dieses Wort ist einfach sehr treffend und man kann es im Deutschen nicht so schön ausdrücken, wie es sich im Arabischen anhört."