Wo die künftigen Islamlehrer ausgebildet werden
Das Institut für Islamische Theologie an der Uni Osnabrück leistet wahre Pionierarbeit: Es gilt, qualifizierte Mitarbeiter zu finden, Studiengänge und wissenschaftliche Standards zu entwickeln. Und nebenbei noch eine qualifizierte islamische Theologie zu formulieren.
"Islam bedeutet in Deutschland Glatteis. Egal, was Sie sagen, irgendjemand fühlt sich immer gestört. Sie haben im Grunde genommen eine Anwaltsfunktion, eine Brückenfunktion, Sie sitzen auf der Anklagebank zum Teil, müssen selber anklagen - es ist wirklich eine Aufgabe, in die man hineinwachsen muss."
Rauf Ceylan weiß, wovon er spricht. Fast von Anfang an hat der 40 Jahre alte Religionssoziologe das Institut für Islamische Theologie in Osnabrück mit aufgebaut. Es war und ist Pionierarbeit. Qualifizierte Mitarbeiter finden, Studiengänge und wissenschaftliche Standards entwickeln. Und immer wieder der Spagat zwischen den Erwartungen von Politik, Islamverbänden und eigenen Ansprüchen. Wir stehen für einen Islam der Mitte, sagt der stellvertretende Institutsleiter.
"Eine Theologie zu formulieren, die kompatibel ist mit europäischen Werten einerseits, aber andererseits auch der islamischen Wissenschaftstradition entspricht. Das ist das Ziel, im Grunde genommen auch eine Art Suche. Wie können wir hier ein theologisches Profil entwickeln, das für die europäischen Muslime charakteristisch ist? Das ist ein Prozess und das braucht Zeit."
Sieben Professuren, mehr als 370 Studierende - das Osnabrücker Institut gehört mit zu den größten bundesweit. Eine erste Evaluierung verlief positiv, die Förderung wurde - wie bei den anderen Zentren auch - um weitere fünf Jahre verlängert. Das nächste Ziel: den neuen Studienschwerpunkt "Soziale Arbeit" aufzubauen.
Ob in Osnabrück, Münster, Nürnberg/Erlangen, Tübingen oder Frankfurt/Gießen - alle Zentren sind nun dabei, ihr wissenschaftliches Profil zu schärfen. Aber noch sind nicht alle Lehrstühle besetzt. Es ist nicht einfach, genügend qualifizierte deutschsprachige islamische Theologen zu finden. Die ersten Studierenden machen gerade erst ihren Master.
Eigene Religion besser kennenlernen
Hüseyin Arapi zum Beispiel. Der 26 Jahre alte Muslim mit türkischen Wurzeln studiert Islamische Theologie auf Lehramt. Zurzeit kommt er nicht mehr so oft an die Uni, er schreibt gerade seine Masterarbeit. Arapi hat sich immer schon für seinen Glauben interessiert, besuchte auch den Koranunterricht in einer Moscheegemeinde in Bremen.
"Da hat man an den Wochenenden Koran gelernt, auch Prophetengeschichten angehört. Oftmals auf Türkisch und von anderen übersetzt oder in gebrochenen Deutsch. Das war halt anfangs schwierig. Jetzt freue ich mich, dass ich in Osnabrück die Chance bekomme, meine Religion auch besser kennenzulernen, um zu gucken, was sich dahinter wirklich verbirgt."
In den vergangenen Jahren hat Hüseyin Arapi viel gelernt. Was ihm besonders gut am Studium der Islamischen Theologie gefällt:
"Die Uni Osnabrück verbindet traditionelles Wissen mit dem Alltag der Studierenden. Und der Alltag ist oftmals vielfältig. Es war schon etwas Besonderes zu sehen, wie groß die Vielfältigkeit im Islam ist, so unterschiedliche Herangehensweisen und Interpretationen auch."
Mit umstrittenen Aspekten kritisch umgehen
Eine Vorlesung im Institut für Islamische Theologie in Osnabrück. Um die Hadithwissenschaft geht es, also um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Überlieferungen des Propheten Mohammed.
Die Vielfalt des Islam kennenzulernen, sich auch mit den umstrittenen Aspekten ihrer Religion, wie etwa der Gewaltfrage, kritisch auseinanderzusetzen, Theologie also als Wissenschaft zu begreifen - das ist für die meisten Studierenden schon eine Herausforderung. Die 31 Jahre alte Muslimin Dounia Strunk kann sich noch gut an ihre ersten Seminare erinnern.
"Klar war das schwierig, weil damals, als ich in der Schule war, wurden die Gruppierungen im Islam gar nicht thematisiert. Waren Sunniten, punkt und fertig. Aber hier war das erst mal so ein Schock. Warum stellen die alles in Frage, warum oh, die Schiiten sagen das, die Sunniten sagen das und die Rechtsschulen, usw - das war schon am Anfang für mich so: Wow!
Die meisten kommen aus einer bestimmten Rechtsschule, Konfession, und das große Spektrum, das wird ja völlig ausgeblendet. Erst mal die aufzurütteln und zu schütteln und zu schockieren. Das ist ganz wichtig."
Zusammenarbeit mit christlicher Theologie
Denn das Ziel sei, so Rauf Ceylan, das notwendige Handwerkszeug zu vermitteln, um auch historisch kritisch denken zu lernen. Die Zusammenarbeit mit den christlichen Theologien ist eng. Martina Blasberg- Kuhnke, katholische Theologin und Beauftragte der Universität Osnabrück für das Islam-Institut, bietet regelmäßig Seminare an.
"Es gibt durchaus Studenten, die das Studium abbrechen, die sagen, das ist nichts für mich, hier verliere ich meinen Glauben. Die Mehrheit braucht ein, zwei Semester, und dafür ist die Studieneinführungsphase auch da, und die dann zunehmend genießen, dass es keine Denkverbote gibt. Dass es keine Schere im Kopf gibt, sondern dass alles fraglich ist."
Was junge Muslime vom Studium der Islamischen Theologie erwarten und was für sie die größten Hürden sind - darüber liegen bisher kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Rauf Ceylan hat mit anderen Wissenschaftlern die Einstellungen von angehenden Religionslehrern untersucht. Fast alle sehen sich als Vorbilder. Vielleicht, so Ceylan, weil sie selbst oft keine Vorbilder hatten als Lehrer und Akademiker. Im Gegenteil. Der Religionssoziologe beobachtet, dass Diskriminierungserfahrungen weit verbreitet sind.
"Viele hatten vielleicht irgendwelche Erlebnisse mit einem Lehrer. Die kommen dann auch und studieren islamische Theologie, um einfach zu wissen, wo komme ich her? Und das ist der Migrationskontext. Ich glaube, wenn Sie in der Türkei, in Sarajewo mit Theologie-Studenten sprechen, die werden eine ganz andere Motivation haben."
Männer und Frauen sitzen zunächst getrennt
Ein weiteres Ergebnis der Studie: Viele künftigen Islamlehrer möchten vor allem Wissen über ihre Religion vermitteln. Doch sie orientieren sich dabei, kritisiert Ceylan, noch zu sehr an ihren Erfahrungen in den Moscheegemeinden und seien zu wenig in der Lage, ihre Schüler zu einer eigenständigen Auseinandersetzung mit dem Islam zu befähigen.
"Also, dass man junge Leute ermutigen sollte, viel, viel stärker Religion kritisch zu reflektieren, unabhängig davon, was das Ergebnis ist."
Nichtmuslime sind manchmal verunsichert, wenn sie ein Seminar in einem der Zentren für Islamische Theologie besuchen. Es kommt immer wieder vor, dass Männer und Frauen gerade in den ersten Semestern getrennt voneinander sitzen. Martina Blasberg-Kuhnke versucht, bewusst dagegen zu steuern. Mit gemischten Referatsgruppen etwa.
"Da haben sich einige mit schwer getan, in aller Regel haben die Gruppen richtig gut funktioniert. Ich würde das nicht überbewerten, aber das ist ein Thema, das wir auch beobachten. Denn das geht gar nicht. Geschlechtergerechtigkeit ist ein zentrales Thema gerade auch in der schulischen Bildung. Und wenn sie darauf nicht vorbereitet sind, sind sie fehl am Platze, auch in den Moscheegemeinden."
Auch in Niedersachsen war es lange nicht möglich, mit Kopftuch in der Schule Mathe und Deutsch zu unterrichten. Bis das Bundesverfassungsgericht vor mehr als zwei Jahren das sogenannte Kopftuchurteil kippte. Seitdem ist die Anzahl der Lehramtsstudentinnen gestiegen.
Dounia Strunk wollte schon als Kind Lehrerin werden. Wie viele andere Studierende möchte sie dazu beizutragen, das Islambild positiv zu verändern. Es ist ihr wichtig, die religiöse Identität ihrer Schüler zu stärken, sie dialogfähig zu machen. Die meisten ihrer Schüler wissen zwar schon einiges über ihre Glauben, aber sie haben viele Fragen.
Berufsfelder: Jungendarbeit und Seelsorge
"Das Thema Fasten. Der Imam hat gesagt, Frauen müssen ab zehn, zwölf Jahre alt anfangen zu fasten. Kann ich aber gar nicht, ich habe Sportunterricht. Darf ich das? Oder Klassenfahrt, dürfen Mädchen mit Jung - in unseren Gemeinden wird das immer getrennt. Das sind so Fragen, die im Plenum besprochen werden."
Sorgen um ihre Zukunft muss sich Dounia Strunk nicht machen. Islamlehrer werden händeringend gesucht. Die Berufsaussichten für islamische Theologen und Imame dagegen sind noch ungewiss. In der Jugend- und Sozialarbeit entstehen neue Berufsfelder und auch in der Seelsorge. Es wird jedoch noch eine Weile dauern, bis es genügend Imame "made in Germany" gibt. Die meisten der rund 2200 muslimischen Geistlichen sind türkische Beamte und werden vom türkischen Staat bezahlt. Das stößt zunehmend auf Kritik angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Türkei, stellt auch Martina Blasberg-Kuhnke fest.
"Man wird jetzt überlegen müssen, Modelle der Unabhängigkeit von politischen Verhältnissen im Ausland zu entwickeln. Solange nicht geklärt ist, wie die Imame und Seelsorgerinnen in Moschee- gemeinden bezahlt werden, wenn sie nicht weiterhin aus der Türkei finanziert werden, solange wird das ein Problem bleiben."
Ein weiterer Grund: Die Zentren bilden zwar muslimische Theologen aus, es fehlt aber noch eine praktische theologische Ausbildung, wie sie etwa am Priesterseminar stattfindet. Hinzukommen ganz profane Probleme:
"Ganz viele Gemeinden können sich keinen Imam leisten. Die haben das Geld gar nicht, es gibt ja keine Kirchensteuer."
Imam ist kein Traumjob
"Imam" ist übrigens kein Traumjob für die Studenten der Islamischen Theologie. Nur die wenigsten möchten als muslimischer Geistlicher arbeiten. Nicht nur weil Moscheegemeinden oft kein üppiges Gehalt bieten können. Hüseyin Arapi hat sich auch dagegen entschieden, Imam zu werden.
"Ich wollte mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, mit ihnen über ihr Leben und ihre Werte sprechen, ihre Vorstellungen über Gott und das Leben diskutieren. Das hat mich schon immer mehr interessiert, als jeden Freitag 300 Menschen anzusprechen. Das ist nicht mein Ding."
Was also tun, damit möglichst bald mehr deutsche muslimische Geistliche in den Moscheen arbeiten? Im Gespräch ist u.a. eine Übergangslösung: Islamlehrer als "Teilzeit-Imame". Arapi hält davon nicht viel.
"Ich gehe gerne in die Moschee und mache da auch Sachen ehrenamtlich. Um da wirklich Imam zu spielen, bin ich nicht genügend ausgebildet. Zum Beispiel als Lehrkräfte haben wir nur zwei Semester Arabisch, allein die Koranrezitation - all das kommt im Lehrerberuf viel zu kurz."
Eine Diskussionsveranstaltung am Institut für Islamische Theologie in Osnabrück.
"Die politische Situation in der Türkei merken wir immer wieder auch im Rückgriff, Vorsicht, wen ihr einladet, passt gut auf, dass ihr keine Fehler macht, wer ist denn Mitglied im Beirat ..."
DITIB und ihre Beziehung zur Türkei
Die Debatte um den Islamverband DITIB hat die Hochschulen längst erreicht. Doch Vertreter des Verbandes sitzen nach wie vor in einem Beirat des Instituts und können so Lehre und Personalentscheidungen mit beeinflussen. Auchwenn es um den Islamunterricht in staatlichen Schulen geht, ist der Verband ein wichtiger Partner in Niedersachsen.
Das Osnabrücker Institut hat von Anfang an besonders eng mit den muslimischen Landesverbänden DITIB und Schura kooperiert. Es gibt immer wieder Stimmen, die genau das kritisieren. Die Glaubwürdigkeit von Lehre und Forschung stehe auf dem Spiel, heißt es unter anderem. Dennoch: Rauf Ceylan und Martina Blasberg-Kuhnke bedauern ihre Entscheidung auch im Nachhinein nicht.
"Die ganzen Probleme der Strukturen, also der türkischen Verbände mit der Politik, das ist nicht das, was wir in Angriff nehmen können. Wir müssen dafür sorgen, dass wir unseren wissenschaftlichen universitären Auftrag erfüllen, Religionslehrerinnen und -lehrer auszubilden. Da haben wir bisher keinen Grund, uns über DITIB Niedersachsen zu beklagen."
Aber auch in Niedersachsen wird die Forderung immer lauter, sich von der Türkei zu lösen. Der DITIB-Landesvorsitzende Yilmaz Kilic kann das nicht so ganz nachvollziehen.
"Dass wir immer diesen Vorwurf haben, wir wären fern gelenkt, wir müssen dies und jenes tun. Ich habe es zigmal gesagt: Ich kriege keine Anweisungen als Landesvorsitzender aus der Türkei. Dass einige versuchen, hier Einfluss zu nehmen, darauf müssen wir aufpassen und das tun wir."
Die zahlreichen Verflechtungen zwischen DITIB und der türkischen Religionsbehörde Diyanet sind schon seit vielen Jahren bekannt. Man habe sie zu lange hingenommen, weil der politische Wunsch da war, zu kooperieren.
"Im Grunde genommen müsste man das in Form von Konferenzen, Tagungen aufgreifen. Jede Krise ist eine Chance, über solche Themen zu sprechen. Wie realistisch ist das, dass die DITIB autark wird oder muss man andere Strukturen überlegen?"
Die Etablierung als Wissenschaft
Darüber wird zwar an den Hochschulen und auch innermuslimisch diskutiert, doch viele möchten mit Journalisten lieber nicht darüber sprechen. So mancher schweigt sicherlich auch aus Sorge, die Islamdebatte dann noch weiter anzuheizen oder als "Nestbeschmutzer" dazustehen.
Ein Schulhof in Osnabrück. Im kommenden Jahr beginnt Hüseyin Arapi mit seinem Referendariat. Das Praxissemester an einer Grundschule hat er bereits hinter sich. Alles ist gut gelaufen.
"Der Wunsch, Lehrer zu werden, hat sich dadurch nur vergrößert."
Werden die künftigen, in Deutschland ausgebildeten Islamlehrer, Theologen und Sozialarbeiter aber in der Lage sein, einen aufgeklärten und weltoffenen Islam zu vermitteln? Das ist zurzeit schwer einzuschätzen. Die Islamische Theologie in Deutschland steht noch am Anfang.
Rauf Ceylan und Martina Blasberg-Kuhnke sind sich einig: Die Studierenden müssen künftig noch besser darauf vorbereitet werden, wie sie Schülern beibringen, sich auch kritisch mit ihrer eigenen Religion auseinanderzusetzen. Wichtig sei ebenfalls, Motivation und Einstellungen der Studierenden an den Zentren für Islamische Theologie umfassend zu erforschen. Martina Blasberg-Kuhnke ist jedoch optimistisch, was die Zukunft angeht. Vor allem wegen der Studentinnen.
"Wir haben viele sehr kluge junge Frauen. Die meisten Studierenden sind Frauen, die sind sehr selbstbewusst, sehr klar, sie wollen in die Schule, sehen sich als Lehrerin und sehen sich auch mitten in dieser Gesellschaft, sie sind hier aufgewachsen."
Wie erfolgreich das neue Studienfach sein wird, hängt auch davon ab, inwieweit man in der Lage ist, sich mit den anderen zentralen Herausforderungen auseinanderzusetzen: der Imam-Ausbildung etwa oder dem Einfluss der großen muslimischen Verbände auf Forschung und Lehre. Entscheidend wird aber letztendlich auch sein, inwieweit es gelingt, die Islamische Theologie als Wissenschaft zu etablieren.