Islamischer Staat am Ende?

Warum der IS noch nicht besiegt ist

03:29 Minuten
Auf einer Toreinfahrt eines zerbombten Areals in der Region um Rakka in Syrien ist das Logo der vertriebenen Terrormiliz Islamischer Staat zu sehen.
IS-Logo auf der Toreinfahrt: Ein zerbombtes Areal der vertriebenen Terrormiliz in der Region um das syrische Rakka © imago / Sebastian Backhaus
Ein Kommentar von Ramon Schack |
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Nichts ist vorbei: So warnt der Publizist Ramon Schack. Trotz der Berichte einer bevorstehenden Eroberung seiner letzten Gebiete, sei der sogenannte Islamische Staat nicht am Ende. Die Ursachen für den dessen Aufstieg bestünden weiterhin.
Vor einigen Wochen reiste ich durch Nordirak, auch durch Gebiete die vormals zum Herrschaftsgebiet des sogenannten Islamischen Staates gehörten. Ich besuchte Orte, deren muslimische, christliche oder jesidische Bevölkerung noch gezeichnet war, von dem erlebten Grauen und den Auswirkungen von Fall und Aufstieg des selbsternannten Kalifats.
Während im Westen zur Stunde die These verbreitet wird, der IS sei schon besiegt, flankiert von der Debatte, wer die IS-Kämpfer und Angehörigen mit westlichen Staatsangehörigen aufzunehmen hat, ist hier noch lange nichts vorbei. Denn das Schicksal der vom IS verschleppten Angehörigen wühlt die Menschen in der Region auf.

Ursachen für den Aufstieg bestehen weiterhin

Dass der IS schon besiegt ist, glaubt hier keiner. Denn die Ursachen, die zu seinem rasanten und beängstigenden Aufstieg führten, existieren weiter - lokal wie auch geopolitisch.
Saudi-Arabien hat in den vergangenen Jahrzehnten den Wahhabismus in der ganzen Welt verbreitet und auch dschihadistische Gruppierungen unterstützt. Der Aufstieg von Al-Kaida, wie auch des IS, sind Ergebnis dieser Politik, die auch durch westliche Waffenlieferung an Riad unterstützt wurde und wird.
Zwar hat das saudische Königshaus bereits nach den Anschlägen vom 11. September 2001 einige dubiose Stiftungen geschlossen und die Finanzierung solcher Strömungen deutlich reduziert, in erster Linie aber um terroristische Anschläge im eigenen Land zu verhindern.

Der IS macht weiter Geschäfte

Während meines Besuches im Nordirak traf ich in einem Flüchtlingslager drei jesidische Mädchen: Schwestern, die im Sommer 2014 im Sindschar-Gebirge vom IS verschleppt wurden, nachdem man deren Vater vor ihren Augen ermordet hatte. Die Schwestern lebten jahrelang als Sklavinnen, die jüngste, sie ist heute 14, geriet als 10-Jährige in die IS-Gefangenschaft - und wurde in den folgendem mehrfach verheiratet.
Einige Tage später, an einem anderen Ort, traf ich jenen Mann, den man den "Imker" nennt und dem die Schwestern ihre Freiheit verdanken. Er ist ein jesidischer Geschäftsmann, der selbst Dutzende Angehörige vermisst. Einige sind vermutlich immer noch in den Fängen des IS. Mittels V-Männern kaufte er in den vergangenen Jahren unzählige Geiseln frei, denn der IS ist eine durchaus gewinnorientierte Organisation. Er glaubt, dass der IS noch nicht besiegt ist, auch wenn er keine Territorien mehr kontrolliert.

Grundlegende Änderung der US-Politik nötig

Was ihm in die Karten spielte, ist der Alles-oder-nichts-Ansatz der Trump-Administration und Saudi-Arabiens gegenüber dem gemeinsamen Feind Iran. Der saudische König Mohammed bin Salman fühlt sich durch Aufkündigung des Nuklearabkommens in seinem Vorgehen bestärkt.
So wird sich die Lage in der Region weiter destabilisieren und der iranisch-saudische Konflikt weiter angeheizt. Erst eine grundlegende Änderung der Politik der USA gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten könnte eine Änderung herbeiführen.
Der IS ist noch nicht besiegt, weil in Washington die Erdöllobby merkantile Interessen vertritt, die wie immer auf kurzfristige Rendite setzt, statt einer nachhaltigen Strategie zu folgen.

Ramon Schack, Jahrgang 1971, ist Diplom-Politologe, Journalist und Publizist. Er schreibt für "Neue Zürcher Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Die Welt", "Berliner Zeitung", "Wiener Zeitung" und "Handelsblatt". Seit 2018 moderiert Schack die Internetsendung "Impulsiv TV", in der er Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur interviewt.

© Quelle: privat
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