Islamischer Staat

Brutal und ideologisch

Gruppe von IS-Kämpfern an der syrisch-irakischen Grenzen auf einem nicht näher bezeichneten Foto, dass die den Dschihadisten nahestehende Gruppe Albaraka News am 17. Juni 2014 auf Twitter veröffentlicht hat.
Gruppe von IS-Kämpfern an der syrisch-irakischen Grenze © dpa / Albaraka News
Moderation: Liane von Billerbeck |
Etwa 12.000 Kämpfer aus 74 Staaten seien in den vergangenen Jahren nach Syrien und in den Irak gegangen, um dort für den Islamischen Staat zu kämpfen, glaubt der Terror-Experte Peter Neumann. Insgesamt stünden derzeit etwa 50.000 Kämpfer unter Befehl des IS.
Liane von Billerbeck Es werden immer mehr junge Männer, die sich der erfolgreich mordenden, schwarz vermummten Terroristenarmee, der IS, anschließen. Sie sind bestens ausgerüstet und bewaffnet, ihre Strategie scheint aufzugehen, ihr Vormarsch im Irak und in Syrien geht fast ungehindert weiter, grausame Fanatiker, wie die Ermordung des US-Journalisten James Foley gezeigt hat – und er war nicht der einzige: Meldungen besagen, dass die ISIS 160 Soldaten einfach ermordet hat. Wie lassen sich solche Terrorkämpfer stoppen? Darüber will ich jetzt sprechen mit Professor Peter Neumann, er ist Terror-Experte am Londonder King's College und jetzt ist er am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Neumann!
Peter Neumann: Guten Morgen!
von Billerbeck: Im heutigen "Guardian" ist ein Bericht über ein Video eines Briten mit Londoner Akzent, der andere junge Männer aufruft, in diesen Kampf einzutreten, und er spricht von der "goldenen Ära des Dschihad". Womit wirbt der? Was zieht junge Männer wie ihn dorthin?
"Wenn es euch ernst ist mit eurem Muslimsein, müsst ihr kommen"
Neumann: Ja, also wir beobachten ja diese jungen Männer, wir haben eine Database mit den Profilen oder sozialen Medien von 450 von diesen Auslandskämpfern, die derzeit in Syrien und im Irak sind und aus Europa kommen, und da sehen wir eigentlich drei Themen: Also das erste ist so eine Art persönlicher Appeal, da geht es um Abenteuer, um Brüderschaft, da geht es um kämpfen, die Möglichkeit, ein Held zu werden. Aber dann gibt es natürlich auch eine relativ seriöse Botschaft, und die besteht aus zwei Teilen, zum einen daraus, dass man sagt, im Irak und in Syrien wird ein Genozid verübt an den Sunniten, die werden gefoltert, vergewaltigt, ermordet, und ihr, wenn es euch ernst ist mit eurem Muslimsein, müsst ihr kommen und eure Brüder und Schwestern verteidigen; und zum anderen – und darauf zielt ja auch das ab, was Sie gerade zitiert haben – geht es darum, zu sagen, hier ist die goldene Ära des Islam, wir haben jetzt gerade dieses Kalifat gegründet, in 1000 Jahren werden die Menschen von euch noch sprechen, von diesen mutigen jungen Männern aus dem Westen, die hierher gekommen sind, um diesen Staat aufzubauen. Und das ist also auch etwas ganz Aufregendes, an was man hier teilnehmen kann. Also es gibt verschiedene Motivationen, aber alle sind im Prinzip wichtig.
von Billerbeck: Die Terroristen haben ja offenbar ungehinderten Zulauf von solchen jungen Männern, man spricht von 50.000 Männern, die da kämpfen, die Zahl hat, habe ich gelesen, der Leiter der syrischen Beoachtungsstelle für Menschenrechte genannt. Stimmen diese Zahlen? Sind das so viele?
Neumann: Ja, ich habe mit dieser 50.000er-Zahl einige Probleme. Also im Prinzip vor zwei Monaten war es so, dass alle eigentlich übereingestimmt haben, dass ISIS oder der Islamische Staat ungefähr 10.000 bis 15.000 Kämpfer hat, und ich glaube, die Zahl hat sich erhöht, aber nicht so stark, wie hier behauptet wird. Ich glaube, unter dem Befehl des Islamischen Staates kämpfen möglicherweise 50.000 Leute, das betrifft allerdings nicht nur den Islamischen Staat selbst, sondern eben auch Organisationen, mit denen der Islamische Staat in einer Koalition ist, also nicht der Islamische Staat selbst. Der Islamische Staat, glaube ich, hat momentan zwischen 20.000 und 25.000 Kämpfer, von denen sind möglicherweise vielleicht ein Drittel bis zur Hälfte Ausländer. Wir glauben, dass innerhalb der letzten drei Jahre 12.000 Leute aus 74 Staaten nach Syrien und in den Irak gefahren sind. Das ist eine sehr hohe Zahl, und das ist auch eine sehr internationale Beteiligung.
von Billerbeck: Nun mögen die Zahlen so oder so sein, entscheidend ist ja wahrscheinlich vielmehr, wie radikalisiert diese jungen Männer sind. Wie sind da Ihre Einschätzungen?
"Es geht darum, dieses Kalifat aufzubauen"
Neumann: Ja, es hat sich so etwas gewandelt. Also es war wirklich so: Am Anfang, 2012, 2013 sind viele Leute wirklich noch aus einem altruistischen Motiv gekommen. Man sah die humanitäre Krise in Syrien, man wollte helfen. Und da waren natürlich von Anfang an schon eine recht ideologische Typen dabei, aber es waren nicht alle. Es gab immer noch viele, die recht altruistisch motiviert waren. Aber mittlerweile ist es sehr ideologisch geworden, weil es jetzt mittlerweile auch ein ideologisches Projekt ist. Also es geht jetzt den Leuten, die kommen, nicht mehr so sehr darum unbedingt, hier humanitäre Hilfe zu leisten, sondern es geht darum, dieses Kalifat aufzubauen – was ja nur attraktiv ist, wenn man tatsächlich auch an diese Ideologie glaubt. Also es hat sich schon etwas gewandelt. Und natürlich ist jetzt auch mittlerweile mit den ganzen Videos und mit der ganzen Aufmerksamkeit auch allen klar, um was es geht: Es geht um eine sehr brutale Organisation, um eine sehr rücksichtslose Organisation, die an einem ideologischen Projekt arbeitet. Das heißt, es ist jetzt nicht mehr so attraktiv für die Leute, die tatsächlich einfach nur den Menschen in Syrien und im Irak helfen wollen.
von Billerbeck: Man merkt ja vielleicht an sich selber auch so eine Veränderung in der Beobachtung, also wenn man in Vierteln unterwegs ist in deutschen Großstädten oder in anderen europäischen Großstädten und man beobachtet muslimische junge Männer, dann guckt man die an und denkt, war der vielleicht auch da, geht der vielleicht auch dahin? Es ist so eine merkwürdige Entwicklung. Was kann der Westen eigentlich tun gegen diesen Terror? Man hat ja das Gefühl, es gibt zwar Luftschläge, aber irgendwie sind die gar nicht zu stoppen.
"Letzten Endes liegt die Lösung in der Region"
Neumann: Ja. Ich denke, dass natürlich letzten Endes die Lösung in der Region liegt. Also es geht darum, zum einen natürlich den Islamischen Staat zurückzudrängen, es geht, was jetzt speziell die Auslandskämpfer angeht, auch darum, zu sagen, okay, wir machen es euch schwieriger, nach Syrien und in den Irak zu reisen. Es ist zum Beispiel leider immer noch zu einfach, über die Türkei nach Syrien zu gelangen. Aber natürlich – und das ist die Hauptsache: Die Hauptaufmerksamkeit sollte in den westlichen Ländern selber liegen. Es geht darum, nicht eben nur darum, zu sagen, ja, wir sperren euch alle ein, wenn ihr zurückkommt, sondern auch zum Beispiel zu sagen, gut, wir sperren natürlich die Extremisten und Terroristen ein, aber wir machen auch Leuten ein Angebot, die zurückkehren wollen und die möglicherweise desillusioniert sind. Und es geht natürlich auch um Prävention.
von Billerbeck: Der Terrorexperte Peter Neumann vom Londoner King's College. Danke Ihnen für das Gespräch!
Neumann: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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